Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Auratransfer

Sein Tod in den Pyrenäen im September 1940 ist mythenumrankt, seine kunsttheoretischen Schriften sind bis heute vieldiskutiert: Leben und Werk Walter Benjamins bieten genügend Anknüpfungspunkte für Künstler, die sich ja ohnehin immer gerne der Denker annehmen, mit denen sich die akademische Philosophie schwertut. Nach einer Nietzsche-Ausstellung vor vier Jahren ist nun im Haus am Waldsee eine Ausstellung zu sehen, die künstlerische Reaktionen auf Walter Benjamin versammelt – und mit Arbeiten konfrontiert, die in einem weiteren, assoziativen Sinne auf Benjaminsche Themen anspielen.

Wer sich nicht eingehender mit Benjamin beschäftigt hat, dem sagen doch zumindest die Stichwörter „Aura", „Passagen" oder „Engel der Geschichte" etwas, der hat von dem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" wenigstens gehört. Eine Reihe von Arbeiten kommt über oberflächliche Bezugnahmen denn auch nicht hinaus, wenn etwa Anselm Kiefer mythenschwanger oder Aura Rosenberg recht kitschig den Engel herbeizitieren. Tiefer in die Materie eingedrungen ist Lutz Dammbeck, der in einer pseudo-dokumentarischen Installation ausmalt, was Benjamin widerfahren wäre, wäre ihm die Flucht in die USA geglückt. Oder Werner Mahler, der 1989 den Sterbeort Port Bou fotografisch vermessen hat. Die Ausstellung informiert auch über Dani Karavans Benjamin-Denkmal, das dort inzwischen errichtet wurde, und zeigt Skizzen des Jüdischen Museums von Daniel Libeskind, das angeblich vor Benjamin-Bezügen strotzt. Eine Arbeit, die Laune macht, ist ein Stück Copy Art von Timm Ulrichs aus den sechziger Jahren: Er hat das Suhrkamp-Bändchen mit dem Kunstwerk-Aufsatz so oft auf den Kopierer gelegt, bis davon nichts mehr zu erkennen war (Die Photokopie der Photokopie der Photokopie). Die Spaßkunst unserer Tage ist mit Benjamin-Tonfiguren von Volker März (Auratransfer) vertreten, die auch zum Verkauf angeboten werden. Zu sehen sind aber auch Fotos von Karl Blossfeldt, über die Benjamin selbst geschrieben hat, und zeitgenössische Porträts.

Die bisher umfangreichste Ausstellung im Haus am Waldsee wird abgerundet mit Arbeiten wie den Fotos von Candida Höfer, die den Lesesaal der Pariser Bibliothèque National zeigen, in dem der Exilant gearbeitet hat, während Assemblagen von Arman auf das Thema Sammeln und Archivieren verweisen.

Peter Stirner

„Schrift Bilder Denken. Walter Benjamin und die Kunst der Gegenwart", noch bis zum 30. Januar im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf, Di bis So 12 bis 20 Uhr, am 24. und 31. Dezember sowie am 1. Januar. geschlossen

 
 
 
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