Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Beseitigungsanordnungen und durchgeschnittene Telefonkabel

Neues vom Kampf um Häuser und Wagenburgen

Als die Artisten Feuer spuckten, war die Geduld der Polizei am Ende: Innerhalb weniger Minuten erzwang sie am 22. Oktober die Beendigung einer Varieté-Aufführung am Schlesischen Tor in Kreuzberg. Diese bildete den Abschluß einer bunten „Fahrradrallye gegen Umstrukturierung". Hintergrund der Aktion ist die prekäre Lage mehrerer linker Wohnprojekte.

So ist die Zukunft der Wagenburg „Schwarzer Kanal" weiterhin ungesichert. Obwohl die Bewohner bekanntlich über einen Nutzungsvertrag für ihr Grundstück an der Michaelkirchstraße verfügen, geben die Betreiber des benachbarten Bürokomplexes „Spree-Carree" keine Ruhe. Nachdem diese im letzten Herbst eine vollständige Räumung des Grundstückes Köpenicker Straße 54 durchsetzten (s. scheinschlag 9/03), fordern sie seit dem Frühjahr unter Berufung auf die bestehende Bauordnung eine vollständige Räumung der Wagenburg. Aufgrund der düsteren Rechtslage sah sich der Bezirk gezwungen, im März eine Beseitigungsanordnung auszusprechen ­ diese wird nun vom „Schwarzen Kanal" juristisch angefochten. Das ständige Hin und Her zerrt nicht nur an den Nerven der Bewohner. Es belastet auch deren Geldbeutel, insbesondere seit das zuständige Gericht den Streitwert auf 50000 Euro erhöhte und damit allen im Rechtsstreit entstehenden Kosten kräftigen Auftrieb gab. Eine Einigung zwischen den Büroverwaltern und der Wagenburg kann wohl ausgeschlossen werden, da hier Überzeugungstäter am Werk sind.

Dies gilt auch für den Konflikt zwischen den Bewohnern des Hinterhauses der Yorckstraße 59 in Kreuzberg und deren neuem Hausbesitzer. Das Hinterhaus der Yorckstraße 59 wurde vor 15 Jahren gemietet und ausgebaut, ein Hausverein sicherte seitdem die weitgehende Selbstverwaltung. Mittlerweile leben dort nicht nur 60 Menschen, es sind auch einige wichtige politische Initiativen in dem Projekt angesiedelt, u.a. die Antirassistische Initiative (ARI), das Anti-Hartz-Bündnis und selbstorganisierte Flüchtlingsgruppen. Nachdem der vorherige Hausbesitzer pleite ging, stand die Yorckstraße 59 im letzten Jahr unter Zwangsverwaltung. Schon zu diesem Zeitpunkt bemühten sich die Bewohner um einen Kauf des Objekts.

Die zweite Zwangsversteigerung, auf der sie mitbieten wollten, wurde aber abgesagt, und im Januar diesen Jahres tauchte plötzlich ein neuer Besitzer, Marc Walter aus Hamburg, auf. Da dieser um die Situation und Bewohnerschaft der Yorckstraße 59 wußte, war ­ wie in ähnlich gelagerten Fällen (z.B. Rigaer Straße 94) ­ Grund zur Skepsis gegeben. Daß diese nicht unbegründet war, zeigte denn auch eine baldige Mieterhöhungsforderung von 100 Prozent. Im folgenden Schiedsverfahren wurde die Mieterhöhung zwar auf 55 Prozent gesenkt, doch auch dies ist für die Bewohnerschaft aufgrund der umfangreichen Gemeinschaftsflächen und Projekträume nicht tragbar. Außerdem verlangte Eigentümer Walter, daß der Hausverein einen Vertrag unterzeichnet, in welchem er einen „freiwilligen" Auszug nach fünf Jahren garantiert. Derart unakzeptable Forderungen machten eine Einigung unmöglich, und so lief der alte Mietvertrag für den Hausverein am 30. September aus.

Seitdem versuchen der Eigentümer und die von ihm beauftragte Hausverwaltung, die Bewohner des Hinterhauses der Yorckstraße 59 durch individuelle Räumungsklagen zu vertreiben. Und wie so oft häufen sich plötzlich seltsame Gegebenheiten: Telefonkabel werden zerschnitten, im Hof stehende Fahrräder beschädigt, Bewohner nachts von Unbekannten beschimpft und bedroht. Da dem Bezirk außer einer unverbindlichen Solidaritätserklärung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg nicht viel einfällt, bleibt den betroffenen Menschen und Projekten nur die Möglichkeit, den Spekulanten Walter durch öffentlichkeitswirksame Aktionen zu einem Verkauf des Hinterhauses zu bewegen. Denn die Idee, daß Hinterhaus gemäß eines Modells des Freiburger Mietshäuser-Syndikats zu kaufen und zu sanieren, verfolgen die Bewohner der Yorckstraße 59 noch immer.

Relativ günstig hat sich hingegen zuletzt die Lage für die Wagenburg „Laster & Hänger" in Friedrichshain entwickelt. Der Standort der Wagenburg an der Revaler Straße war gefährdet, da die Diskussion aufgekommen war, die Fläche mit Mitteln des Programms „Soziale Stadt" für den Freizeitsport herzurichen. Dieser vom Senat und der SPD-Fraktion in der BVV lancierte Vorschlag hätte wohl nur mit einer Räumung von „Laster & Hänger" realisiert werden können. Der Bezirk wird aber weiterhin an seinem Planungsziel festhalten, dort einen für Schulen nutzbaren Sportplatz zu errichten. Da ein Erwerb der hierfür benötigten Privatflächen jedoch vorerst nicht möglich ist und Baustadtrat Schulz (Bündnis 90/ Die Grünen) ohnehin keine zumutbare Ersatzfläche für die Wagenburg „Laster & Hänger" sieht, können deren Bewohner optimistisch ins neue Jahr sehen.

Thorsten Friedrich

Vom 13. bis zum 18. Dezember findet im Hinterhaus der Yorckstraße 59 eine Kunst- und Kulturwoche zum Thema städtische „Umstrukturierung" statt. Vorgesehen sind Ausstellungsprojekte, Filmvorführungen, ein Kindertag und vieles mehr. Informationen unter www.yorck59.net

 
 
 
Ausgabe 10 - 2004 © scheinschlag 2004/2005