Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Amtsmißbrauch

In den letzten Wochen konnte man immer wieder die gleichen, etwas widersprüchlichen Meldungen zu der Antragsflut auf Arbeitslosengeld II in den Zeitungen lesen: Einerseits wird behauptet, die Arbeitsämter hätten alles unter Kontrolle. Doch da niemand das Gegenteil behauptet hat, klingt das ungefähr so beruhigend, wie wenn in einem Passagierflugzeug der Co-Pilot plötzlich durchsagt, es gebe keinerlei Anlaß, in Panik zu geraten. Aber die Beruhigung der Bevölkerung ist offensichtlich auch gar nicht die Absicht dieser Meldungen, werden sie doch stets von der mehr oder weniger ausdrücklichen Drohung begleitet, wer seinen Antrag nicht bald einreiche, könne eventuell Anfang nächsten Jahres ohne staatliche Unterstützung dastehen. Vervollständigt werden diese kurzen Artikel dann zynischerweise auch noch mit dem Hinweis auf die Überlastung der Amtsmitarbeiter, die ganz offensichtlich nicht unter Arbeitsmangel leiden wie ihre Klienten.

Seit den Montagsdemonstrationen rufen viele Arbeitslosen-Initiativen dazu auf, die Anträge möglichst spät einzureichen. Zweck dieser Verzögerung ist hauptsächlich, die Mitarbeiter in den Arbeitsämtern solange mit dem Bearbeiten der Fragebögen zu beschäftigen, daß sie nicht die Zeit finden, die Arbeitslosen möglichst zügig in irgendwelche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wie Ein-Euro-Jobs, Profiling-Kurse oder Bewerbungstrainings zu stopfen. Einige linke Gruppierungen sehen zwar durchaus die Gefahr, daß es durch das späte Einreichen der Anträge zu Verzögerungen bei der Auszahlung kommen könnte, erkennen aber gerade darin die Chance, daß es endlich zu einem Aufstand gegen den Sozialabbau kommen könnte. Ein wagemutiges Argument, sind die Betroffenen doch trotz Montagsdemonstrationen und einigen Erwerbslosenversammlungen immer noch ziemlich vereinzelt. So werden sich die Arbeitslosengeld II-Empfänger, wenn sie im Januar keine staatliche Unterstützung bekommen, wohl eher um Geldbeschaffung kümmern denn um die Vorbereitung zur Revolution.

Die Aktion „Agenturschluß" will gleichzeitig Chaos in den Ämtern stiften und die Betroffenen zum gemeinsamen Handeln anregen. Am 3. Januar ist ein bundesweiter Protesttag geplant mit dezentralen Aktionen vor oder ­ wenn nicht zuvor von der Staatsmacht vereitelt ­ in den Arbeitsämtern und Personal Service Agenturen am Morgen und Demonstrationen zu einem ausgesuchten Arbeitsamt am Mittag, in Berlin möglicherweise im Arbeitsamt in der Charlottenstraße in Mitte oder in der Müllerstraße in Wedding.

Sympathisch an der Aktion ist, daß sich die Proteste ausdrücklich nicht gegen die Arbeitsamtsmitarbeiter wenden, sondern diese sogar miteinbeziehen möchten. Sind doch die Beschäftigten durch Überstunden, Arbeitsverdichung, die Unsicherheit über ihren zukünftigen Arbeitsplatz bei der Zusammenlegung der Ämter und auch durch die verständliche Empörung ihrer „Kunden" ganz besonders von den derzeitigen Umstrukturierungen betroffen.

ks

Informationen zur Aktion „Agenturschluß" unter www.labournet.de/agenturschluss

 
 
 
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