Ausgabe 10 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Willkommen in der Jobgesellschaft

Die Zukunftsängste junger Menschen in den letzten Tagen der alten BRD waren erdrückend: Die Ausbildung konnte immerhin noch als sanfter Ausklang der Jugend gelten. Aber dann der Horror: 40 Jahre lang denselben Beruf ausüben, auf Partys immer die gleiche Antwort parat haben müssen auf die Frage, was man denn so mache. Und dazwischen ab und zu mal bezahlter Urlaub, womöglich noch in der Toskana. Kündigungsschutz, betriebsinterne Aufstiegschancen und bezahlter Urlaub – Worte, die heute fast schon so antiquiert klingen wie „Postkutsche" oder „Telegraphie" – ließen den 20jährigen Schauer des Grusels über den Rücken laufen. Wie um alles in der Welt soll man es in diesem Land noch schaffen, nicht zu werden, was sein Alter ist?

Natürlich gab es auch noch die paar Idealisten, die von Freiheit träumten: Aufhebung des Unterschieds zwischen Arbeit und Freizeit, Selbstverwirklichung in selbstverwalteten Betrieben, in denen man gemeinsam die Verantwortung und das finanzielle Risiko trägt. Und es gab auch diejenigen, die von Firmen schwärmten, in denen sie das Büro nicht mit Kollegen, sondern mit Freunden teilten, gar den Chef duzten. In denen sie sich mit der Arbeit identifizierten, sich weiterentwickeln konnten, vielleicht auch mal von der regulären Arbeit freigestellt wurden, um Kurse zu belegen, um auf dem neuesten Stand zu bleiben oder zumindest zu lernen, wie man das Betriebsklima, die kollegiale Zusammenarbeit, die Kommunikationsstruktur verbessern kann. Firmen eben, denen man alles geben konnte, nicht nur seine schnöde Arbeitskraft.

Diese Menschen ereilte das Schicksal aller Idealisten. Sie wurden irgendwie bewundert, aber auch belächelt. Hätten wir nur auf sie gehört ­ wir wären immerhin gewarnt gewesen, in den letzten Tagen der alten BRD. Heute fragt man uns auf Partys nicht mehr, was wir denn so machen, sondern wovon wir leben. Wer bezahlten Urlaub nimmt, gilt nicht als Spießer, sondern als gewitzt, als jemand, der noch die alten Errungenschaften der Arbeiterbewegung aufrechthält ­ oder einfach als unglaubwürdiger Aufschneider. Und wir anderen gehen keinen Berufen nach, sondern haben Jobs. Denn wer würde freiwillig behaupten, er sei zum Callcenter-Agenten oder Zeitungsverkäufer berufen? Es verlangt auch niemand mehr von uns, daß wir diese Jobs über mehrere Jahre machen. Wir müssen nicht einmal dafür ausgebildet werden, dürfen dabei noch das prickelnde Gefühl eines Hochstaplers genießen.

Arbeit wird uns auch keine mehr versprochen: Selbst die Regierung spricht von Jobs, bald womöglich von Joblosigkeit. Auch in den staatlich ausgegebenen Formularen, die uns wohl die Zeit vertreiben sollen, fragt man uns nicht mehr nach unserem Beruf. Und wenn wir gerade keinen Job haben, bilden wir uns weiter, bleiben auf dem neuesten Stand, lernen mögliche Verbesserungen der Teamarbeit und der Kommunikationsstruktur, in Kursen, die uns das Arbeitsamt – nein: natürlich das Jobcenter – bezahlt. Und im Urlaub oder auf Partys tauschen wir Jobangebote aus. Mitunter können wir uns auch ein Büro leisten – natürlich nur zusammen mit guten Freunden.

Georg Manolesco

Welchen Jobs scheinschlag-Autoren in ihrem Leben schon nachgegangen sind, lesen Sie im Special.

 
 
 
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