Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Warten auf Farbkleckse

Kritik am Bau (VI): Die neue Universitätsbibliothek von TU und UdK

Das nördliche Ende der Fasanenstraße ist eine stille Ecke. Es liegt hinterm Bahnhof Zoo, hinterm Tiergarten, hinter dem TU- und dem UdK-Campus. Es gibt einen Busbahnhof, ein altes Asylantenheim, ein zugewuchertes, wegloses Kanalufer – kaum zu glauben, daß diese Wüstenei einmal Teil der City West werden sollte.

Das war in den Neunzigern und ist längst vergessen. Dafür hatte die TU noch etwas in der Schublade: die zentrale Unibibliothek, die auch die Bestände der HdK einbeziehen sollte, eine Planung aus den frühen Achtzigern. Das Bauschild, an dem man als Architekturstudent jahrelang vorbeiradelte, zeigte kräftige Farben, vulgäre Rundungen, einen leichten Öko-Touch. Achtziger eben, voll daneben. An den Architekturfakultäten nebenan wurde derweil post-postmoderne Kargheit gelehrt.

Das dürfte nun einfacher werden, denn aus der bunten Kinderarchitektur ist ein Lehrstück für karges Bauen geworden. Irgendwann hatte die TU das Geld zusammen, 25 Millionen Eigenmittel, 25 vom Bund und fünf vom Volkswagen-Konzern, der sich damit das Recht erwarb, zwar nicht „Volkswagen-Universität", aber doch immerhin „Volkswagen-Universitätsbibliothek der TU Berlin und UdK Berlin" an den Eingang zu schreiben. Auf den Verkauf des Bindestrichs verzichtete die TU dann aber doch. Stattdessen sparte man nach Kräften, verlor dabei den Architekten des ursprünglichen Entwurfs und setzte Walter Noebel, einen ehemaligen Ungers-Partner, als „Optimierungsplaner" ein.

Wie sein berühmter Ex-Partner hat Noebel eine Vorliebe fürs Quadrat, die er bei seiner düsteren Moabiter Ausländerbehörde und erst recht bei der Erweiterung der Messe bis zum Exzeß ausgelebt hat. Bei der Bibliotheksfassade wechselte er zum Querformat. Mit ihren breiten Fenstern und dunklen Klinkern wirkt sie wie eine alte Fabrik. Das einzige spielerische Element ist der Eingang, der aus der Mitte gerückt wurde. Davor ist eine lange Reihe kantiger „Lichtsäulen" aufmarschiert, die Tageslicht in den darunterliegende Zeitschriftenlesesaal lenken sollen. Unten merkt man davon nichts, aber oben, auf dem schmalen Vorplatz, haben sie die disziplinierende Wirkung von Schildwachen. Man mag an Preußen denken, wenn man sich dem Gebäude nähert, oder an das Wolfsburg der Dreißiger. Eine Bibliothek erwartet man jedenfalls nicht.

Auch innen ist alles sehr kühl. Völlig identisch stapeln sich die Geschosse. Über dem langen Lichthof ein Sheddach, wie man es aus Montagehallen kennt. Die aufregende Treppe, die einmal der Länge nach durch den Raum rauschen sollte, wurde eingespart und durch zwei doppelläufige offene Treppenhäuser ersetzt. Kopierräume, Toiletten und Aufzüge sind irgendwo versteckt, ebenso der Bürotrakt. Und nicht nur Formen und Räume wirken seltsam matt, sondern auch die farblichen Kontraste: Warmer hellgrauer Beton, kalt glänzendes hellgraues Blech, mattes hellgraues Aluminium, so geht es durchs ganze Haus. Nach einer Stunde meint man, im Nebel zu stehen.

Man würde schnell wieder gehen, wären da nicht die Details. Sie erklären das ganze Gebäude: unverputzter Kalksandstein, glatter, roher Beton, unverkleidete Decken mit Rohren, Kabeln, senkrecht herabhängenden Akustik-Platten. Das ist mehr als sparsam und neutral. Das ist so demonstrativ spartanisch wie ein unlackierter Volkswagen.

Ein Bibliotheksneubau mag in diesen Zeiten als unangemessener Luxus erscheinen. Dieser ist ganz das Gegenteil. Vorher vernetzte man nur die Kataloge, jetzt teilt man sich Aufsichten, Ausleihen und Archiv. Mit den eingesparten Stellen kann man nun ­ zumindest für eine Probephase ­ auch abends und während der Semesterferien öffnen. Dafür müssen die Studenten durch die halbe Stadt reisen, um von ihrem Institut zur Bücherei zu kommen. Perfekt ist das nicht, ja nicht einmal praktisch. Eigentlich, bestätigt eine Mitarbeiterin, waren die dezentralen Institutsbibliotheken die bessere, nur eben auch die teurere Lösung.

Das große neue Haus ist also eigentlich eine Sparmaßnahme, noch dazu eine, für die man zwei Jahrzehnte Geld sammeln und sogar seinen guten Namen verkaufen mußte. Da paßt Noebels Bau freilich wie die Faust aufs Auge und der Finger in die Wunde. Denn so abweisend, leer und kühl die Konstruktion auch ist, so offen und flexibel ist sie auch. Mühelos wird sie spätere Ein- und Umbauten verkraften; jeder alte Eichentisch, jedes Sofa dürfte größte Wirkung entfalten; ein handgemaltes Schild, ein Farbklecks beim nächsten Studentenstreik – hier paßt einfach alles. Diese Bibliothek ist ein Provisorium. Das ist nicht das Schlechteste, was man von einer Berliner Steinkiste sagen kann.

Johannes Touché

Am 9. November wird die Bibliothek offiziell eröffnet. Dabei wird auch ein Film zum Bau zu sehen sein.

 
 
 
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