Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Neues aus der Förderwelt

Ich-AG: Was ändert sich für Existenzgründer?

Für diejenigen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus in die Selbständigkeit trauen und bei ihrer zuständigen Arbeitsagentur den auf drei Jahre angelegten Existenzgründerzuschuß („Ich-AG") beantragen (s. scheinschlag 3/04), gelten jetzt einige neue Rahmenbedingungen. Zukünftig muß der wagemutige Gründer seinem Antrag ein Geschäftskonzept und ein darauf bezogenes Gutachten einer fachkundigen Stelle (IHK, Steuerberater o.ä.) beilegen. Dagegen ist erst einmal nichts zu sagen. Wer sich auf das Wagnis einer Unternehmensgründung einläßt, sollte das Für und Wider vorher auch finanziell abwägen. Und die Kosten für das Gutachten können als Betriebsausgaben voll geltend gemacht werden.

Dahinter steht allerdings weniger die Fürsorge der Regierung, sondern die Befürchtung, daß sich Antragsteller über die Ich-AG vor dem Arbeitslosengeld II (Alg II) retten wollen. Ein gefährlicher Trugschluß: Die Hartz IV-Leistungen für die heutigen Empfänger von Sozial- und Arbeitslosenhilfe umfassen ab 2005 nicht nur die heftig diskutierten 345 oder 331 Euro, sondern auch Pauschalen für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie Miete und Heizung. Sie liegen damit insgesamt deutlich höher als die 600 Euro monatlich im ersten Jahr der Ich-AG. Verschlechtern werden sich aber die Zuverdienstmöglichkeiten für Alg II-Empfänger: Die bisherige 165 Euro-Freigrenze entfällt, ab Januar werden 85 Prozent der erzielten Einkünfte von der Arbeitsagentur verrechnet. Da bleiben von einem 400 Euro-Job nur noch 60 Euro. Neu ist, daß Alg II-Empfänger ­ zumindest sieht das Antragsformular solches vor ­ auch selbständig dazuverdienen dürfen. Wie das in der Praxis halbwegs legal funktionieren soll, wird (noch) nicht verraten.

Eine Ich-AG darf zunächst unbegrenzt verdienen. Übersteigt der Gewinn im ersten Jahr allerdings 25000 Euro, entfällt die weitere Förderung ­ aber wen betrifft das schon? Wer also wirklich Hartz IV mit einer Ich-AG vermeiden will, sollte dies nur dann probieren, wenn er 1. eine halbwegs brauchbare Idee, 2. schon vor der Gründung Aussicht auf Einnahmen aus dieser Idee und 3. noch irgendwelche Rücklagen (Sparguthaben, reiche Verwandte, eine Ölquelle im Garten usw.) hat, die sowieso auf das Alg II angerechnet würden. Aber bei wie vielen dürfte das der Fall sein, zumal nach jahrelanger Arbeitslosenhilfe-Karriere? Sozialhilfeempfänger erhalten nach derzeitiger Rechtslage ohnehin keine Ich-AG-Förderung.

Ein anderes Problem für die Ich-AGs entstand durch das „RV-Nachhaltigkeitsgesetz": RV steht für Rentenversicherung. Seit August sind alle Ich-AG-Geförderten gesetzlich rentenversicherungspflichtig. Auch diejenigen, die bisher wegen eines durchschnittlichen monatlichen Gewinns von höchstens 400 Euro davon befreit waren. Der Mindestbeitrag sind 78 Euro, ein Jahr davon bringt nach aktuellem Rentenwert eine zukünftige monatliche Rentensteigerung von etwas über 4 Euro.

Anders ausgedrückt: Der Staat verlangt jetzt auch Versicherungsbeiträge für nicht existierendes Einkommen. Denn bekanntlich machen Jungunternehmer in den ersten Jahren nicht ausschließlich Gewinn. Im Steuerrecht gibt es ein steuerfreies Existenzminimum, im Sozialrecht nicht: Da nimmt der Staat, wo er kriegen kann ­ für immer weniger Leistungen. Klärung, wenn auch erst im nächsten Jahr, könnte ein Sozialgerichtsverfahren zu dieser Frage bringen, das derzeit in Berlin vorbereitet wird. Ohne eine Verfassungsbeschwerde wird es da aber kaum abgehen ­ es bleibt weiter spannend. Gründerinnen und Gründer, Kopf hoch: Gefördert werden ist nicht schwer, gefördert sein dagegen sehr!

Mario H. Kraus

 
 
 
Ausgabe 09 - 2004 © scheinschlag 2004