Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Eine Schaumparty zur Verteidigung des Humanismus

Live and Let Die! im Oktober in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Andreas Fanizadeh ist ein höflicher Mensch. Getragen begrüßt er die Besucher von Live and Let Die!, einem „Konvent zur Verteidigung von Humanismus, Glück und Freiheit", bei dem es um „USA, globale Weltordnung, Multitude" und eine „Mittelmeer-Schaumparty" gehen soll. Fanizadeh, der diese Veranstaltung zusammen mit Schorsch Kamerun kuratiert hat, bedankt sich bei der Volksbühne dafür, daß sie ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Er wird im Laufe seiner kurzen Begrüßungsrede noch vier weitere Male Gelegenheit zum Dank finden. Man versucht, in dieser expressiven Dankbarkeit die gleiche jakobinisch-plebejische Subversivität zu erkennen, die dem per Video aus Zürich eingespielten Willkommensgruß von Co-Kurator Kamerun innewohnt. Aber Fanizadeh ist ebenso beflissen wie höflich. Er meint es wirklich ernst.

Auf der Bühne sieht man Thomas Atzert, Rahel Jaeggi und den Stargast des Abends, Antonio Negri. Sie sitzen in Sesseln und trinken Sprudel. Während man darüber nachsinnt, wer hier eigentlich wem danken sollte, und sich in Erinnerung ruft, was die Leitung der Volksbühne nicht schon alles veranstaltete, um das Flair der Revolte zu erhaschen, ergreift Atzert das Wort. Er ist der Übersetzer von Empire und Multitude und möchte eine „Einführung" in besagte Werke vortragen. An diesem Vortrag beeindruckt allein das wissende Lächeln des Vortragenden. Man wartet darauf, daß Toni Negri endlich sprechen darf.

Negri ist drahtig, laut und gestikuliert viel, während er versucht, dem Publikum den Begriff der Multitude näherzubringen. Das am Revers befestigte Mikrofon reißt er mit seinen wild herumfuchtelnden Händen immer wieder ab. Er könnte es am Boden liegen lassen, auch so hört man ihn im letzten Rang. Denn er brüllt. Aber es ist ein sehr sympathisches und enthusiastisches Brüllen. Negri brüllt begeistert und vielleicht begeisternd, daß es das Individuum nicht gibt und der Begriff der kritischen Öffentlichkeit in dem Ansatz von Michael Hardt und ihm keinen Platz habe. Stattdessen verkündet er, auf den Spuren Spinozas, die Utopie der Multitude: eine Gemeinschaft der Liebe, welche voller Solidarität sei, sich zugleich jedoch durch eine Vielfalt der Differenzen auszeichne. Wie man sich das genau vorzustellen hat, bleibt etwas im Dunkeln. Aber es ist ein sehr emphatisches Dunkel.

Das mit der Solidarität und den Differenzen möchte auch Rahel Jaeggi in der anschließenden Diskussion genauer wissen. Jaeggi ist Philosophin aus Frankfurt am Main und auch sehr höflich, vielleicht zu höflich. Denn, wenn sie die nachdenkliche Verständnisfrage stellt, ob Negris und Hardts Konzept nicht auf einen Zustand entpolitisierter Harmonie hinausliefe, dann brüllt Negri freundlich zurück, daß er in dieser Frage keine Kritik entdecken könne, sondern nur eine anregende Ergänzung. Obwohl Jaeggi die heiklen Punkte der Multitude benennt, entfaltet ihre treffende Kritik bei Negri, Atzert und dem Publikum nicht allzu viel Wirkung. Die Ränge leeren sich. Vielleicht hätte Jaeggi einfach mehr herumfuchteln, brüllen und wissender lächeln müssen.

Gut zehn Tage später wird Live and Let Die! fortgesetzt. Der Abend beginnt mit einem Vortrag der Stadtsoziologin Saskia Sassen. Neo-Liberalismus bedeute nicht weniger Staat, sondern nur anderer Staat, so Sassen. Ein Moment dieses anderen Staates sei die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Legislative und der gleichzeitige unkontrollierte Machtzuwachs der Exekutive. Die klandestine Regierungspolitik der Bush-Administration sei ein besonders augenfälliges Beispiel für diese Entwicklung.

Mehr oder minder Zustimmung murmelnd schleppt sich das Publikum ins Sternfoyer der Volksbühne, um dröge in der Mittelmeer-Dekoration herumzulungern, die mit viel Liebe zum Detail hergerichtet wurde. Dann kommt das Konzert von Von Spar. Das sind fünf Jungs aus dem Rheinland, die an sich keine schlechte Musik machen, weil sie beharrlich die Goldenen Zitronen imitieren. Sie haben allerdings das Problem aller Epigonen: Sie wecken lediglich Erinnerungen an das Original.

Als das Imitat sich ausgetobt hat, bittet der Sänger des Originals zur ersten jakobinisch-plebejischen Mittelmeer-Schaumparty Berlins. In einem sehr großen Bottich voller Schaum darf man zu gewohnt fetten Beats tanzen und mit Wasserbällen spielen. Das ist sehr lustig und feucht. Alle haben Spaß, manche sogar die englische Übersetzung davon. Aber es hat ein weitgehender Schichtwechsel des Publikums eingesetzt. Die Zuhörer Sassens scheinen kein Herz für Schaum zu haben. Die zum Spaß entschlossenen Schaumschläger scheren sich dagegen nicht allzu sehr um Kameruns phantasievolle Verweise auf die Migrationsbewegungen an der südlichen EU-Außengrenze. Der von Fanizadeh zur Eröffnung des Konvents so ernst vorgetragene Hinweis, daß man die Mittelmeer-Schaumparty keinesfalls mit einem der üblichen Mitte-Events verwechseln dürfe, versinkt im Schaum zwischen echt krassen Visuals und süß gekleideten Mitte-People.

Am nächsten Tag geht alles etwas bedächtiger zu. Man muß in den kuscheligen Roten Salon, um „Workshops" zu absolvieren. Zuerst schaut man sich Ausschnitte aus Antonio Negri. Eine Revolte, die nicht endet an. Diese Fernseh-Dokumentation von Alexandra Weltz und Andreas Pichler (Erstausstrahlung am 19. November um 22.15 Uhr auf arte) zielt auf größtmögliche Breitenwirkung und tappt nicht in die Falle exklusiver linker Selbstgenügsamkeit. Von derlei ist die anschließende Diskussion allerdings nicht frei. Die Diskussionsteilnehmer verlieren merkwürdigerweise kein Wort über die gezeigten Filmausschnitte. Stattdessen stellen sie recht langatmig ihre eigenen Projekte vor oder schildern ihre ganz persönlichen Leseerfahrungen mit Empire.

Darauf folgt eine Lesung und eine Diskussion zum „Verhältnis von Pop, Literatur und Protest angesichts der argentinischen Pleite". Danach zeigt Mark Terkessidis ein paar Fotos, die er an der Costa del Sol gemacht hat, und klärt uns dabei über die eigentümlichen Urbanisierungsformen auf, die der Massentourismus und der Zuzug nordeuropäischer Residenten dort hervorgebracht hat. Wenn man sich für persönliche Leseerlebnisse, argentinische Verlage und südspanische Tourismussiedlungen interessiert, sind diese „Workshops" vielleicht interessant. Aber vom neuen Anfang, den die Multitude darstellen soll, ist hier ebensowenig zu spüren wie von Negris und Hardts neuen begrifflichen Kategorien.

Von neuem Vokabular merkt man auch nichts bei der abschließenden Podiumsdiskussion. Inga Rogg (Bagdad-Korrespondentin der taz und NZZ), Nancy Fraser (Philosophin), Bahman Nirumand (Publizist) und Hans-Christian Ströbele (MdB) sollen über die globale Weltordnung, die USA und den Irakkrieg diskutieren. Nirumand und Ströbele erklären dem Publikum, daß der Krieg im Irak eine schlimme Sache war, die kein glückliches Ende nehmen wird. Inga Rogg sagt, daß Europa zu unkritisch gegenüber Saddam war und daß viele Iraker die US-Invasion als Befreiung empfanden. Nirumand und Ströbele erklären Inga Rogg, daß der Krieg im Irak eine schlimme Sache war, die kein glückliches Ende nehmen wird. Nancy Fraser merkt an, daß die schlimmsten Folgen des US-amerikanischen „Kampfs gegen den Terror" innenpolitischer Art seien.

Getragen verabschiedet Andreas Fanizadeh die Diskutanten und weist höflich darauf hin, daß im Sternfoyer der Volksbühne nun die Abschlußparty beginne.

Thomas Hoffmann

 
 
 
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