Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Geschenkartikel, solange der Vorrat reicht

Russenplunder am Checkpoint Charlie

„Wir stehen hier ganz legal", sagt einer der Verkäufer, ohne daß ich ihn überhaupt danach gefragt habe, „das ist ein privates Baugrundstück, und wir werden hier geduldet." Er ist Türke, genauer Kurde, sagt er, wie fast alle, die am Checkpoint Charlie Schapkas, Matrjoschkas, ausgediente Parteiabzeichen und Bernsteinplunder an Touristen verkaufen. Eigentlich wollten sie meine Fragen gar nicht beantworten. Zu oft hätte die Presse schlecht über sie berichtet: „Wenn wir sagen, daß wir zehn Euro eingenommen haben, schreiben die Journalisten, es wären 1000 Euro gewesen. Wenn wir sagen, es waren 1000 Euro, schreiben sie, es wären 10000 Euro. Und daß wir keine Geschenkartikel verkaufen, sondern illegale Waren, daß wir Kriminelle wären." Wenn ich wissen wolle, wie das Geschäft laufe, dann solle ich mich einfach einen ganzen Tag dazusetzen, dann würde ich ja sehen, wie schlecht es ginge.

Und die Waren würden auch immer teurer. Von wem sie eigentlich den Krams erwerben, wollen sie mir nicht genau sagen. Nur, daß die Großhändler aus Osteuropa kämen, aber keine Russen seien ­ schlaue Menschen nennt einer sie, die rechtzeitig das Zeug aus Armeebeständen eingelagert hätten. Er scheint es wirklich zu glauben, obwohl das meiste auf den Tapeziertischen fabrikneu daherkommt und vermutlich nie in Rußland gewesen ist. Meine Frage, ob sie es nicht merkwürdig fänden, als Türken oder Kurden in Berlin Russenplunder zu verticken, verstehen sie nicht ganz. Was sie denn sonst tun sollten? Etwa stehlen oder betteln? Man müsse doch von irgendetwas leben! Vorne am Stand schimpft ein Händler über einen Anzugträger, der die gerade bestaunten alten Postkarten unachtsam wieder auf den Tisch pfeffert: „Keinen Respekt haben die Menschen. Als wären wir Bettler..."

Keine einzige Mütze habe er heute verkauft, berichtet mir ein älterer Herr. „Die sind alle schon satt", sagt er und zeigt auf die Touristenströme, die an uns vorbeiziehen. Früher stand er am Potsdamer Platz, zuerst mit zwei Kollegen, doch dann kamen die anderen nicht mehr wieder, und er machte das Geschäft seines Lebens. Jetzt ist der inoffizielle Handel dort verboten. Hier am Checkpoint hat er den schlechtesten Platz erwischt. Er steht in der Mitte der Reihe, mit seinen 60 Jahren habe er keine Chance, sich durchzusetzen und einen Randplatz zu ergattern, dort, wo die Touristen als erstes stehenbleiben. Ganz links, kurz vor dem Mauermuseum, habe sich der Boss niedergelassen. Er sorgt für Ordnung, daß alles immer schön sauber ist, daß Neuankömmlinge sich an der richtigen Stelle in den Markt einfinden. Der Boss sei früher Boxer gewesen und deshalb besonders gut für diese Aufgabe geeignet.

Der Boss erzählt mir, der Markt werde bald geschlossen, weil das Grundstück bebaut wird. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, auf dem wilden Parkplatz ­ neben dem albernen Glaskasten des „größten Gästebuchs der Welt" ­, auf dem auch ein paar Verkaufsstände stehen, sind schon Bauarbeiter angerückt. „Morgen müssen wir hier weg", sagen die drei Händler dort. Die Bauarbeiter versuchen noch zu beruhigen: Sie sollen doch nur ein paar Poller um den Platz in die Erde rammen, weil der wilde Parkplatz sich der Parkraumbewirtschaftung entzieht und so dem Staat Geld abhanden komme. Sie sagen das so, als sei der Staat irgendein märchenhafter König, dem die umliegenden Ländereien gehören. Der Markt dürfe aber natürlich bleiben. Die Händler glauben ihnen nicht. Sie rechnen jeden Tag damit, daß sie weg müssen. Wohin, wissen sie nicht, notfalls müssen sie ihre Waren zu Hause vor der Tür verkaufen.

Bevor ich mich verabschiede, kauft doch noch ein Gymnasiast aus Süddeutschland eine russisch anmutende Mütze aus schwarzem Plastikfell. Er jubelt sogar, als er endlich das gute Stück sein Eigen nennen darf. Vielleicht haben die Händler doch noch eine Chance, ihr Zeug bei denen loszuwerden, die zur Zeit der Vereinigung noch in der Wiege lagen. Wenn man sie denn läßt.

Susann Sax

 
 
 
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