Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Polnische Wurst, antiquarische Plastikwaren, Türschloßenteiser

Von Trödel und wilden Märkten

Ein Gelände neben dem Mauerpark. Vor einigen Wochen noch gab es hier nichts als stille Remisen und Schotter. Jetzt hat ein Flohmarkt seine Tore geöffnet. Das Feld ist eben freigegeben, der Basar ist in vollem Gange. Die Waren liegen auf Tischen oder Decken. „Ich verkaufe drei CDs und kann mir dafür beim Imbiß eine Cola kaufen", erzählt ein Mädchen, das sofort zugibt, keine Standmiete bezahlt zu haben. Von Woche zu Woche seien mehr Händler gekommen, sagt einer. Und eine Kundin: „Es ist gut hier, billiger als auf dem Arkona- oder dem Boxhagener Platz und ein besseres Angebot als am Nordbahnhof." Es klingt wie ein Ranking von Discountern. Preisvergleich und Qualitätsvergleich. Gibt es immer mehr Flohmärkte in der Stadt? Auf jeden Fall, meinen manche. Flohmärkte gab es eigentlich schon immer, sagen die anderen.

Wer es wirklich wissen möchte, hat es nicht leicht. Die Zeitungen nehmen sich der Trödelmärkte gern im Sommerloch an und drucken meist liebevolle Impressionen. Zusammenhängende Darstellungen über die Entwicklung der Flohmärkte, seit wann es sie gibt oder gar welche wirtschaftliche Bedeutung sie haben, sind kaum zu finden.

Der erste Flohsprung

Das Wort „Flohmarkt" geht auf wilde Märkte für Altwaren in Paris zurück. Ende des 19. Jahrhunderts wurden dort im Zuge der Sanierung die Altwarenhändler und Lumpensammler vor die Tore der Stadt verwiesen. Sie schlossen sich zusammen, und es entstand ein großer, recht bunter Markt vor den Stadtmauern. Die Kaufleute nannte man „puciers", von „la puce", der Floh. Unzweifelhaft eine Anspielung auf die Hygiene der Händler. Der Markt wurde entsprechend „marché aux puces" genannt. Bald schon soll eine Modewelle eine feine Besucherschaft im Sonntagsstaat und mondäne Sammler in makellosen Gamaschen angezogen haben, die sich hier nach Trödelwaren umsahen. Daß Flohmärkte auch zum „Lifestyle" gehören können, ist offenbar nichts Neues.

Der nächste große, unkontrollierte Markt, der in das geschichtliche Gedächtnis eingegangen ist, ist der Schwarzmarkt 1945. Auf offener Straße boten scharenweise Privatleute alle nur erdenklichen Dinge feil, weil das rationierte offizielle Lebensmittelangebot die Versorgung nicht mehr gewährleistete. Der Schwarzmarkt hatte solche Ausmaße angenommen, daß er Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens wurde. Es finden sich zeitgenössische Schilderungen von Kunden, die das Einkaufen auf dem Schwarzmarkt als gefährliches, aber auch faszinierendes Abenteuer beschreiben. Ungewohnt und aufregend war für die braven Bürger die ungebändigte Feilscherei ­ man konnte Waren zu Spott- oder Wucherpreisen erwerben ­ und die Möglichkeit, lang vermißte Konsumgüter zu erstehen. Diese Situation war ein Ausnahmezustand und hat bei vielen einen tiefen Eindruck hinterlassen. („Es ist ein Rausch über die Menschen gekommen, zu tauschen, zu handeln, etwas lang entbehrt Schönes wieder einmal zu genießen...", Tagebucheintrag aus dieser Zeit). Mit den heutigen Flohmärkten hat der Schwarzmarkt von damals nur teilweise zu tun. Das Gemeinsame ist, daß Privatleute handeln und daß die Kontrolle über den Handel im einen Fall gar nicht stattfindet, im anderen zumindest stark einschränkt ist. Mitunter gehen aber die auf Altwaren beschränkten Flohmärkte und Märkte, die illegal Neuwaren verkaufen ­ also nichts anderes sind als moderne Schwarzmärkte ­ ineinander über.

Mit Leinenkleidern gegen Nylonpullis

Wann genau in Deutschland die ersten Flohmärkte entstanden, weiß niemand. Ins Blickfeld der Forscher gerieten die Flohmärkte erst, als sie Bestandteil der Kultur der Alternativbewegung wurden. Soziologen schrieben, wie die Flohmärkte in den siebziger Jahren in Mode kamen. Galt früher noch als deklassiert, wer sich über den Altwarenhandel versorgte, wurde Second-Hand nun schick, erklären Andreas Klocke und Annette Spellerberg in einem Buch von 1990. Schuld sei die bei Soziologen allseits beliebte, von Bourdieu beschriebene „Ausdifferenzierung der Lebensstile". Die Menschen schafften sich in immer rascherer Folge neue Sachen an, um neue Stile zu kreieren. Zugleich würden stilprägende Gegenstände immer schneller entsorgt. Diese Altwaren würden nun auf Flohmärkten gehandelt, wo andere sie ihrerseits als einmalige, besondere, stilprägende Möbel und Accessoires aufspürten. Der Flohmarktboom habe nichts mit der ökonomischen Lage der Leute zu tun, schreiben die Autoren. Im Zuge der Trödelbegeisterung schrieben Autoren Essays mit Titeln wie „Sammeln und sich sammeln". Das Einkaufen auf dem Trödelmarkt wurde als Akt gegen die Lieblosigkeit, Hast und schnelle Vernutzung der Konsumwelt angesehen. Der Fetisch der Leute ging eindeutig in Richtung Echtheit, Beständigkeit, Eichenholz versus verlogene Glitzerwarenwelt, Elastan und Nylonpullis, die Schweißgeruch erzeugen.

„Blödsinn", sagt dazu einer der erfolgreichsten Berliner Flohmarktbetreiber Michael Wewerka. Es habe keinen Boom in den Siebzigern gegeben. 1973 gründete er als ersten Berliner Flohmarkt den Trödelmarkt am 17. Juni. In anderen deutschen Städten habe es lange vorher schon Flohmärkte gegeben, sagt er. Nicht sehr viele, aber ein paar. In kleineren Städten solche, die einmal jährlich stattfanden, wie den Pfennigsmarkt in Karlsruhe, aber auch ständige Märkte wie den Hamburger Fischmarkt. Diese Märkte habe er sich zum Vorbild genommen. In Berlin fehlt so etwas, dachte er. Wewerkas Konzept ging auf, doch er hatte, wie er erzählt, anfangs unzählige bürokratische Schwierigkeiten. Ein Flohmarkt ist eine legale Einrichtung. Betreibt man ihn auf öffentlichem Grund, bedarf es einer Genehmigung vom Ordnungsamt. Man muß ihn beim Wirtschaftsamt anmelden und eine Versicherung nachweisen. Gewerbliche Händler brauchen einen Gewerbeschein und eine Buchführung.

Und da gehen die Probleme schon los. Wer kann unterscheiden, wer „gewerblich" ist ­ und wer nicht? Privathändler, die immer wieder kommen und ihr Angebot langsam spezialisieren ­ sind das „Gewerbliche" oder nicht? Die Buchführung der Händler ist kaum zu kontrollieren. Immer wieder sind Händler dumm genug, Hehlerware zu verticken. Einmal entdeckten zwei Nonnen bei einem Händler ein Bild, das just aus ihrem Kloster entwendet worden war. Zum Beispiel. Wer kann die Regel überprüfen, daß auf einem Flohmarkt nur „Altwaren" verkauft werden dürfen. Wie neu ist neu? Die Berliner Bürokraten hätten sich anfangs sehr schwer getan, sagt Wewerka, diesen Freiraum einzuräumen. Die Idee eines halbwegs wilden Marktes stieß auf Unbehagen. Mittlerweile seien die Behörden toleranter geworden.

Der Markt am 17. Juni war lange der einzige Flohmarkt in Berlin. Er fing mit vielen Privathändlern an und entwickelte sich zum Sammlermarkt für Antiquarisches, Hölzernes, Gutes und Echtes. Das Preisniveau stieg. Später gründeten sich in Westberlin die Märkte am Fehrbelliner Platz und am Reichpietschufer. In Ostberlin gab es Flohmärkte bei Volksfesten. Es blieb eine sehr überschaubare Angelegenheit. Einen Flohmarktboom, sagt Werwerka, habe es erst nach der Wende gegeben.

Der bare Handel

Legendär in der Geschichte der Berliner Flohmärkte wurde der Krempelmarkt am Reichpietschufer, den auch Wewerka betrieb. Hier verkauften viele private Händler wirklich billige Ware. Türkische Händler mit Sortimenten von Wasserhähnen, Werkzeug oder Elektrogeräten ergänzten das Angebot. Studenten und ähnliches Volk benutzten den Markt wie ein großes Kaufhaus. Berühmt wurde der Krempelmarkt durch den sogenannten Polenmarkt, der 1989 direkt neben dem offiziellen Markt lagerte. Die Polen nutzten die Kombination aus Visafreiheit und eklatantem Preisgefälle und boten zu Pfennigpreisen polnische Waren aller Art an ­ Klamotten, Wodka, polnische Würste. Der Markt lockte Scharen von Besuchern an. Doch überschritt er für viele Leute deutlich eine Grenze. Hatte ein gewöhnlicher Flohmarkt doch immer mehr oder weniger den Charme von „Sammeln und sich sammeln", ging es hier sichtbar um das nackte Geschäft. Entsprechend wurde der Polenmarkt bald vertrieben, wich auf diverse andere Standorte aus und verschwand schließlich, als die Visafreiheit aufgehoben wurde.

Tatsächlich schienen nach der Wiedervereinigung die Flohmärkte wie Pilze aus dem Boden zu sprießen. 1990 entstand der Markt auf dem Arkonaplatz, '92 der Trödelmarkt am Kupfergraben, bald danach der am Nordbahnhof, der am Humboldthain, der am Moritzplatz. '96 kam ein großer Basar in den Treptower Hallen hinzu, '97 der Flohmarkt am Boxhagener Platz, 2001 der am Ostbahnhof, 2002 der am Leopoldplatz, 2003 einer in Marzahn und neuerdings der Markt auf dem Metroparkplatz Buckower Chaussee, auf dem IKEA-Parkplatz am Sachsendamm und der Flohmarkt am Mauerpark. Und diese Liste der Flohmärkte ist längst nicht vollständig. Achtzig Märkte gebe es mittlerweile in Berlin, sagt Michael Schrottmeyer, der diverse von ihnen organisiert.

Unter diesen Märkten gibt es Sammler- und Liebhabermärkte nach dem Muster der Soziologen mit ihren Lifestyle-Accessoires. Sammeln und sich sammeln. Allerdings sammeln die Flohmarktgänger aus Nostalgie nicht mehr nur Echtes aus Holz oder Leinen. Längst haben sie die Plastikwarenwelt der siebziger Jahre für sich entdeckt ­ denn die steht heute für eine gute alte Welt. Zu den Sammlerflohmärkten gehören der Trödelmarkt am Kupfergraben ebenso wie die Retrofundgrube am Arkonaplatz. „Was aber den derzeitigen Boom ausmacht, ist ein ganz anderes Kunden- und Verkäufersegment", sagt Flohmarktbetreiber Hans Jürgen Müller, der unter anderem den gediegenen Trödel am Kupfergraben betreut. Müller hat vor einem Jahr einen neuen Markt eröffnet ­ in Marzahn. „Der Flohmarkt in Marzahn ist dazu da, privates Hab und Gut zu Geld zu machen und günstige Angebote zu schaffen", sagt er.

Für das Kind ein billiges Handy

Mehrere Flohmarkt-Großbetreiber sagen übereinstimmend, daß wir es mit einer regelrechten Explosion von Flohmärkten zu tun hätten, die, anders als die von den Soziologen in den Siebzigern beschriebene, sehr wohl mit der sozialen und ökonomischen Lage der Nutzer zu tun hat. „Die Märkte, die gerade in den letzten Jahren gegründet wurden, sind billige Flohmärkte, oft auf Parkplätzen und solche an der Peripherie", sagt Marktbetreiber Michael Schrottmeyer. Es entstehen kleine Jobs, die Händler merken, daß es sich lohnt, daß Nachfrage besteht. Angeboten werden mitunter auch Neuwaren, aufgekaufte Restposten. Das ist eigentlich nicht legal.

Wer sich ein Bild davon machen will, wie ein Trödelmarkt aussieht, der ausschließlich der randständigen Warenzirkulation dient, besuche die Treptower Hallen. Dort sitzt der Klassiker der Billig-Versorgungsmärkte. Jedes Wochenende zählt man 10000 bis 12000 Besucher. Es riecht muffig, dafür ist es trocken. Massenweise gibt es Videogeräte, Telefone, Badezimmerarmaturen. Wer hier einkaufen will, muß sich gut auskennen, denn die Hallen sind weitläufig. Woher soll man wissen, wo es den Türschloßenteiser im Angebot gibt? Die Händler sind zu 60 Prozent Nichtdeutsche. Keine Russen, wie viele meinen, sondern meist Türken. Sie haben mit der Idee von „Sammeln und sich sammeln" nicht viel im Sinn. Lieber lassen sie alle Fernseher gleichzeitig laufen und probieren die Handyklingeltöne.

Tina Veihelmann

Fotos: Knut Hildebrandt

 
 
 
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