Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Arbeit der Faulen

Nicolas Mönch und Severin Most aka Postfuck International, Talent-Seher im Schatten der Hochglanzprospekte

Postfuck International
Foto: Jörg Gruneberg

Nicolas Mönch & Severin Most aka Postfuck International, sind als Talent-Seher im Schatten der Hochglanzprospekte und Meinungsschlaraffias unterwegs, um zu gucken, zu gucken, zu gucken...und um Knie auf die Füsse zu bringen.

Die Statthalter neuer Ideen

Immer wenn es um den Warencharakter der Musik ähnlich steht, wie um jenen der Mode, nämlich miserabel, subsumiert der gefrustete Systemkritiker gern diese Phänomene unter einem ähnlichen Aufmacher wie weiland die linientreue Junge Welt, als das Urteil über die Rock'n'Roll-Kultur gefällt wurde: "Philopsophie des Stumpfsinns". Und damit lag sie um 1958 bekanntermassen kongruent zur Headline des Klassenfeinds. Wenn sich heute Redakteurinnen des Berliner Stadtmagazins Zitty in möchtegernmalaltbesetzer(gewesensein)-Stil über das neue Album von Das Bierbeben "No Future - No Past" hilflos beugen, aber emsig schwadronieren, es handele sich offenbar um Texte, "die man jahrelang nicht mit der Kneifzange anfassen mochte" und die "jetzt ausgestellt werden wie Edelsteine", dann merke ich, wie gemütlich dort gedacht wird. Und ich bekomme eine erste Ahnung von dem, was Nicolas Mönch und Severin Most - aus eben dieser gemütlichen Stadt - mit ihrer Arbeit, und jetzt auch mit ihrem Sampler "Agenda 2010", der im allerbesten Mix-Kassetten-Stil eigenhändig produziert, designed und benotet wurde, bereits bewegt haben. Und, was sie mit diesem Produkt - das sich gut dazu eignet allzu abgeklärte Lifestyle-Zyniker einfach gar nicht mehr zu erreichen - noch bewegen könnten. Es ist etwas kleines - vielleicht/vielleicht aber aber auch nicht? - Neues auf dem Weg. Und die Hoffnung regt sich, es mögen die Faulen wieder weniger arbeiten und mehr in Urlaub fahren, statt fett auf ihren Thronen sitzend weiter Däumchen zu drehen, um dies dann als richtungsweisende Geste an ihr ausgemergeltes Unterbewusstsein abzuhaken.

Nevermind Generals & Majors

Mit dem Aufkleber "The Great German Underground-Sellout" haben die Leute vom Label L'Age D'Or (Lado) - wobei der Text hier auch von Nicolas und Severin stammt - ganz sophisticated ihr Produkt ettikettiert. Dahinter steckt laut Severin zunächst einmal der Sub-Pop-T-Shirt-Spruch: "The Most Indie Of The Sellouts". Offensichtlich wurde hier aber auch Malcolm McLarens "The Great Rock'n'Roll Swindle" in die Zitatmelange mit eingerührt. Severin sagt dazu, dass "die (von Sub-Pop, A.d.A.) dann einfach auch ein bisschen gespielt haben mit diesen Indie-Major-Kategorien. Wo wir eigentlich überhaupt nicht mehr drüber reden wollen. Sowohl die Indies, als auch die Majors haben ja alle Mega-Probleme. Wobei das am Markt liegt, größtenteils - wo ich aber denke, ey, das kann' s doch jetzt nicht gewesen sein!? Ihr könnt Euch doch jetzt da nicht zurücklehnen. Ich finde bei den Indie-Labels teilweise die Musik auch einfach extrem langweilig. Und das ist auch ein Grund, warum die Leute das nicht mehr kaufen." Den großen Rock'n'Roll-Schwindel auch noch kaufen?! Das gleichnamige Sex Pistols-Album verkaufte sich bisher wohl lange nicht so gut, wie das mythenstrotzende "Never Mind The Bollocks", oder? Soll hier heute der Mythos "Revolte" gleich mit dem Mythos "Ausverkauf" gebrochen werden, bevor sich einer von beiden irritierend einnisten kann? Eine Platte zur entsprechenden Party darf es sein. Darüber hinaus machen sich die einzelnen Bands/Interpreten aber eben lieber selbst Gedanken über ihren Kult-Status und ihre Verwertbarkeit. Das hört sich zunächst nach purer Selbstlosigkeit an. Aber Nicolas relativiert: "Da kann man auch meinetwegen Platten mit verkaufen. Also, das ist ja nicht so schlimm. Es soll ja jetzt nicht darum gehen: Wir machen fünfhundert Platten und dann sind wir cool oder so. Im Gegenteil."

Auf Euren Knien oder auf Euren Füßen

Sie scouten einen Haufen talentierter junger Bands und pushen diese via Veranstaltungsmarathon quer durch die Lande. Die Indielabels reiben sich die Hände und verkaufen nur noch. Alles Marktschreien nehmen die DJs und Konzertveranstalter in Personalunion als "Postfuck International" in ihre Hände!? Klingt etwas nach Märchen mit möglichem Alptraum-Showdown. Und das Label pinselt seinen neuen Aussendienst-Managern wirklich nur ein bisschen den Bauch und läßt ganz anständig alle Organe drin? Nur Bäuerchen gemacht? Würde ich unter anderen Umständen schwer glauben. Aber das alles kommt eben nicht von ungefähr, ist kein doofer Reissbrettplan. Schon vor Monaten hat Alfred Hilsberg vom ZickZack-Label einer Personengruppe - sprich Band - aus Darmstadt, den Woog-Riots, die Zusammenstellung und Erfindung jenes "The Fall-Tribute-Albums" bis hinein ins Finishing anvertraut. Und im Jahr davor war es ebenfalls Hilsberg, der unerwartet kühn die Zusammenstellung "Bis Auf Weiteres Eine Demonstration" herausbrachte, auf der es - im Stile wild zusammengewürfelter, selbstgemachter und selbstfinanzierter Indipendentszene-Sampler - endlich mal wieder richtig viel Diskussionsstoff, d.h. ungares, rohes Material gab. Ohne, dass eine der Bands eine Tour, ein Album, oder sonstwas schon im Hinterkopf, im Gepäck dabei zu haben schien. Da stand gegen den Ausverkaufsgedanke ganz klar ein Originalitäts- und Diskursgedanke im Vordergrund. Und wenn Du dann mal bei Alfred Hilsberg anfragtest, ob beispielsweise ein Album von Peter Pixel existiere, geplant sei, und er dann nur höflich antwortet "Hallo,... Hm, keine Ahnung was Peter Pixel jetzt macht... Ich glaube nicht, dass eine Platte bald kommt. Werde mich mal erkundigen.", dann zeigt dies eine Haltung zum Geschäft des Tonträgerhandels, bei der nicht die Verkaufszahlen und die abgestandenen Werbe-Hudeleien auf der ersten Seite der Agenda stehen. Mit Postfuck passiert jetzt offenbar der Dammbruch guter Einfälle. The year that Punk regains its feets?! Nicolas: "Wir haben letzten Sommer angefangen das zu planen. Und bis zum März dieses Jahres war die Idee immer, dass wir es selbst machen. Das wir sozusagen als Label auftreten und die Platte selbst rausbringen und einen Vertrieb suchen. Und es war dann so, dass tatsächlich Lado auf uns zu kamen und gesagt haben: "Hey, super Sache. Wollen wir machen. Da sind natürlich einige Lado-Bands drauf. Und wir haben mit denen 'nen sehr guten Kontakt. Das war halt so für uns das einzige Label, wo das dann auch Sinn gemacht hat. Mit Ausnahme von Tolerantes Brandenburg und Das Bierbeben haben wir alle Bands veranstaltet, die auf der Zusammenstellung drauf sind. Daher kam dann auch die Idee. Weil wir irgendwann ein bisschen müde waren von diesem Ganzen, was deutsche Indiemusik sein sollte." Severin: "Und deswegen haben wir mit Jens (Oberthür, A.d.A.) von Proton von Anfang an die Idee gehabt eine Tour zu machen, d.h. also wir als DJs mit ein paar Bands - um das Ganze live zu supporten."

Passion Is The New Loud

Und Lado erkennt das Potential und hilft. Severin: "Na, ja. Sagen wir mal so. Die kümmern sich, sind auch untenrum aktiv. Und allein so'ne Tatsache, dass die dann so'ne - ja eigentlich eine Quatsch-Compilation - 'rausbringen, wenn man sich das mal überlegt! Ich meine, wo passiert das, dass ein Label auf Leute zugeht und sagt: >Ey, wir wollen jetzt die 'rausbringen, weil wir die geil finden?< Und das innerhalb kürzester Zeit. Und sich wirklich da commited haben." Eine neue Marktidee, die zugleich für mehr Spass und Parties sorgt. Alles prima - und alle scheinen zufrieden, auch das Publikum. Dass aber die Bombenstimmung gleichsam auch für neue politische Akkumulation in der Dancehall sorgt, ist dabei ein nicht zu unterschätzendes Moment. Und das geht weg von Electronik-Dancefloor und Electroclash. Nicht gegen, eher trotz Fisherspooner-Glamour und Peaches-Bodytalk wird die Schraube weiter angedreht. Wesentlich eloquenter wird hier das Bier verschüttet, wackeln die Hüften der Minderheiten-Mainstream-Mauerblümchen zum aktuellen Zustandsbericht im Wirtschaftsraum. Die Sehnsucht verwässert nicht länger am Kummer-Busen des neuesten Hype. Der Welt-Schmerz wird zur konkreten Unwillensbekundung. Leiden ja, aber sich nicht länger kultiviert trösten lassen, gar dazu dandyhaft tänzeln oder etwa ein Erlösungs-Hallelujah mitsingen. Nicht-Zufriedensein mit Zombie-Dasein und Auferstehungsvisionen! Und wir wollen kein Recht bekommen und den Serben zusehen beim Gründen ihrer Grünen Partei "Sterbien/Jäger99". Es geht eher wieder mehr in diese progressive Punkrichtung. Und Severin erwähnt dann auch noch mal The Rapture, und wie er diese neue Richtung aus den Staaten, mit Tanz, Disco, Slogans und Punk sehr positiv fand und gleich begeistert war von der Energie, die plötzlich wieder konkret wurde, im Raum spürbar war. Severin: "Das fanden wir eben toll. Du kannst damit auch ganz andere Sachen machen. Zunächst hing das erstmal ein bisschen zwischen den Stühlen. Aber man sieht ja auch an der Resonanz der Bands, dass auch viele andere Leute einfach drauf gewartet haben." Und natürlich spüre ich da gleich eine Bewegung - ganz und gar verwandt mit dem Geschimpfe und Gemotze der Sex Pistols. Also eher dieses - um mit Greil Marcus zu sprechen - Anarchische: erstmal "Unordnung schaffen, ohne diese zu lieben" (Debord). Weniger das bierernste Parteitags-Ding. Ende auch mit dem Peer-Group-Lifestyle. Ja, gut, da ist noch eine richtige Musikgruppe mit Gitarre, Bass et cetera. Und dort stehen ein paar DJs. Aber neuerdings ist dies Nebensache. Musik darf ruhig auch wieder Basis und Transfergerät sein.

Unlimited Supply

Das "Agenda 2010"-Cover zitiert dazu auch ganz emotionslos jene Hochglanz-Prospekt-Werbe-Inszenierungen, die unter Aufwendung therapeutischen Eifers um ihre Zielschicht buhlen. Die sich scheinheilig um deren Verhaltens-Kodex-Scheiss kümmern. Das Cover zeigt ein Paar, das sich - inmitten eines hochkarätigem Markenparks (Vorderseite) - ganz banal unter den dafür aufgestellten Tisch säuft (Rückseite). Zur Musik von Postfuck-Bands, versteht sich... Nicolas: "Wir fanden halt, der Titel und die Ästhetik passen ganz gut zusammen. Also, wenn man so'ne Platte macht, die sich ganz tief im Untergrund bewegt... Als wir das alles geplant haben, da war das halt so. Gerade fünf Prozent der Bands hatten schon mal was draussen, was irgendwo schon mal besprochen wurde. Und aus der Zeit kommt auch der Titel. Und wir fanden, dazu muss dann dieser Gegenpol da sein. Wenn die Platte "Agenda 2010" heisst, dann passt das sehr gut, wenn Du dazu auch eine Ästhetik hast, bei der die Leute sich einfach fragen: >was soll'n das jetzt - was iss'n das?<"

Zwei Leute touren unermüdlich durch die Lande - die Tour wird noch weitergehen, nach Skandinavien und zurück nach Berlin, dann auch deutschlandweit, schweizweit vielleicht. Derweil lehnt sich die Musikpresse ein bisschen in ihrer Label-Schick-Demo-Mach-Mal-Werbung-Hörbar zurück, verschleisst verbissen ihre frischen Layouter und geht mit Selbstkritik eher ironisch um. Severin: "Man hat ja schon den Eindruck, das die alle mal mutiger waren. Ich habe zum Beispiel den Aprilscherz, dass Spex und Intro zusammengelegt werden ernst genommen." Nicolas: "Also, man könnte da viel mehr machen. ich weiss eigentlich nicht, warum die es nicht machen, weil - verlieren kann man doch heutzutage eh nicht mehr viel!? Ich meine, wenn man jetzt wirklich etwas Gutes machen will, ob man jetzt ein Magazin macht, oder eine Platte, ein Label, oder was weiss ich, dann muss man halt immer gucken, gucken, gucken! Und nicht nur einfach abwarten, was kommt. Das kann nur langweilig sein. das kann nie innovativ sein. Und das haben wir halt ausprobiert. Natürlich klappt das nur hin und wieder." Severin: "Dass man auch mal wieder zu Konzerten geht, wo man nicht auf der Gästeliste steht, einfach so rausgeht, aktiv so rausgeht und sich neue Musik anhört. Ich glaube, dass es viele Leute gar nicht mehr können, oder gar keinen Bock mehr drauf haben." Nicolas: "Es läuft alles nicht gut, keiner verdient richtig viel Geld. Und trotzdem - da wird nicht gesagt, da mach ich es jetzt leidenschaftlicher, guck ich halt, was geht und mach halt - ziehe für mich wenigstens 'was raus. Ja, das passiert halt nicht, irgendwie."

Jörg Gruneberg

Das Gespräch mit Severin & Nicolas fand am 15. Juli im Café Kuchenkaiser/Kreuzberg statt.

CD: "Agenda 2010" (Interpreten u.a.: Das Bierbeben, Spillsbury, Von Spar, Saalschutz, Tolerantes Brandenburg), Postfuck International/L'Age D'Or (Mailorder: www.ladoshop.de)

 
 
 
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