Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Flick-Filz-Installation, nicht von Beuys

Foto: Knut Hildebrandt

Wenn man Kunst wirklich als politische Tätigkeit begreift, geht sie über das Spielen und das Rollenspiel hinaus.

(Bruce Nauman, 1978)

Menschen bewegen sich in Ideen fort, während sie in Kunstwerken erstarren und absterben.

(Joseph Beuys, 1986)

Was hat Wolfgang Tillmans zur Flick-Debatte gesagt (Die Zeit, 39/04), alles „scheinheilig"?! Und wie heilig kann Kunst sein? Kann sie das Versprechen der Politik, nämlich moralische Kategorien in die Praxis umzusetzen, eigentlich stellvertretend erfüllen? In diese Verlegenheit wird ein Werk in der Regel nicht kommen. Die künstlerische Haltung dagegen sollte hinterfragt werden.

Was den Sammler Mick Flick betrifft, so ist er der Enkel eines wohl nicht ausreichend zur Verantwortung gezogenen Nazi-Verbrechers. Die herrschende Klasse aus Industrienationalisten hat es schlichtweg unterlassen, der Familie Flick aufs Portemonnaie zu fühlen, den Opa einzubuchten. Anläßlich einer Flick-Vernissage in unserem Staatsmuseum staut sich der Bewußtseinsstrom plötzlich wieder auf. Und der Gedanke, daß dein Staat, die BRD, immer noch durchsetzt ist mit politischem Filz und den dazugehörenden Namen, die dich piesacken, wie Hakenkreuze im Familienalbum, erwacht wieder.

Aus dieser seltsam verwirrten, latenten Symbol-Katerstimmung heraus faselt nun auch die Kunstelite träge ihre Interviewsätze ins Telefon. Und Wolfgang Tillmans hat recht, wenn er sagt, daß doch einige Leute reichlich naiv spielen, wenn sie bislang nicht gesehen haben wollen, mit wem sie da am Kunstmarkt eigentlich so ihre Geschäfte machten. Flick ­ den Tillmans kaum kennt ­ sei ihm gegenüber halbwegs korrekt aufgetreten und er spekuliere offenbar auch nicht mit Kunst. Richtig übel sei dagegen z.B. ein Charles Saatchi.

Rein juristisch gesehen kann sich jeder Gauner eine Ausstellung kaufen. Einzig die Moral-Behörde Politik ­ oder, Moment mal... doch die Kunst, wenn die Politik versagt? ­ wird intervenieren, wenn eine große Al-Capone-Ausstellung im MoMA geplant wird oder etwa Mussolinis Enkelin mit einer großen Dali-Retrospektive sich ankündigt. An Synonymen für Verbrechen entzündet sich ja im Kern die Diskussion. Und die Frage, sind unsere Politiker Kunstdeppen und von Verbrechern geschmiert bzw. sind unsere Künstler Politikdeppen mit moralischen Scheuklappen, würde bei Nachforschungen wohl zu überraschenden Antworten führen.

Entsetzt stellen sich politisch engagierte Leute die Frage, auf welcher Metaebene sich eine Kunstpraxis heute überhaupt noch ereignen kann. Daß die Philosophie die bildende Kunst in Teilen praktisch schon ersetze, ist so ein frommer Standardwunsch. Und der Mut-Schizo-Mix verführt dich spätestens auf der Kunstmesse wieder, ein flottes Installations-Tänzchen mit den seriösen Galeristen zu wagen.

Was neben der Blasenvielfalt bleibt und was rar ist, sind Personen mit Haltungen. Gegen Phrasendrescherei sprach sich einst Bruce Nauman (Hauptkünstler der Flick-Collection) aus, wenn er (s. obenstehendes Zitat) Rollenklischees und harmlose Spielchen in der Kunst ablehnte. Eine Haltung zu haben, war für eine Person wie Joseph Beuys die wichtigste Kunstaktion. Erst an zweiter Stelle kam sein Werk. Das war logisch, denn die Ausstellungsobjekte sollten allein diese Haltung stützen, nicht eine nicht vorhandene nur vorgaukeln. Wer wird tatsächlich die Flick-Diskussion zum Anlaß nehmen, einmal mehr die scheinbar unüberwindbaren Gräben zwischen Vermarktung und Verantwortung neu auszuloten?

Die Motive Flicks, der moralische Haltungen wie Konservendosen (vorm geistigen Auge erscheinen dazu Warhols Suppendosen) einkauft und sich damit eine Ablaßbefriedigung verschafft, sind vielleicht geschmacklos und niedrig. Aber sie sind zweitrangig. Alle Fragen sind allein an lebende Künstler zu richten.

Jörg Gruneberg

Wenn nicht alles nur Spaß war, ist die „Flick-Collection" seit dem 22. September im Hamburger Bahnhof zu sehen. Die Finissage findet dann im Herbst 2011 statt

 
 
 
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