Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

prinzipienfrage

Solange sich Revolution und Insubordination nur auf einer Leinwand oder den Seiten einer Partitur ereignen, fällt es der Gesellschaft leicht, den aufmüpfigen Künstler gewähren zu lassen. Der Spaß endet, wenn er sich nicht mit symbolischem Handeln begnügt, sondern direkt und tatkräftig in die Politik eingreift, gar die Grenze zur Illegalität überschreitet. So schmuggelte sich Gianni Motti als vorgeblich indonesischer UNO- Abgeordneter ins Parlament und hielt dort eine Rede; Abbie Hoffman warf in der New Yorker Börse Geldscheine von der Zuschauertribüne und legte damit kurz den Betrieb lahm; und Franz Jung entführte gar ein Schiff von Cuxhaven ins revolutionäre Rußland. Eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) widmet sich nun der Frage nach den Grenzen des Zulässigen, fragt, wann der Schritt in die sogenannte Illegalität nötig werden kann ­ und plädiert für eine Neudefinition der Begriffe Legalität und Illegalität.

„LEGAL/ILLEGAL. Wenn Kunst Gesetze bricht", von 16. Oktober bis 28. November in der NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg, täglich von 12 bis 18.30 Uhr

produktionsfrage

Das Filmkunsthaus Babylon beglückt uns an den Oktobersonntagen unter dem etwas verkrampften Titel „Revolution, Avantgarde und Moral" mit einigen Höhepunkten der sowjetischen (Stumm-) Filmkunst der zwanziger und dreißiger Jahre. Neben den Eisenstein-Klassikern Panzerkreuzer Potemkin und Streik sind auch die Komödie Das Glück von Alexander Medwedkin oder die Western-Parodie Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Land der Bolschewiki von Lew Kuleschow zu sehen. Dazu kommt die einzigartige Kinoorgel zum Einsatz, an der Jürgen Kurz die Filme begleitet.

„Revolution, Avantgarde und Moral. Russische Stummfilme 1924-1935", von 3. bis 31. Oktober sonntags jeweils um 19 Uhr im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte

brennstofffrage

Feuer und Flammen machen immer Effekt, dazu muß man kein Pyromane sein. Eine innige Beziehung zum Feuer hat auch der 1963 geborene Berliner Stefan Wagner, der schon als Schulkind Feuerwehrleute bei der Arbeit fotografierte. Als er später zur Freiwilligen Feuerwehr in Kreuzberg stieß, vertiefte er auch sein fotografisches Interesse am Thema Brandbekämpfung. Daß ihm sein ästhetischer Blick bei Feuerwehr-Einsätzen in die Quere kommt, wollen wir nicht hoffen. Wagners bei recht ungewöhnlichen Lichtverhältnissen entstandene Bilder sind jetzt in der Fotogalerie Friedrichshain zu sehen.

„Im Einsatz – Feuerwehrleute", Farbfotografien von Stefan Wagner, noch bis zum 22. Oktober in der Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, Di bis Sa 13 bis 18 Uhr, Do 10 bis 18 Uhr

preisfrage

Noch bis zum 15. Oktober können sich Comiczeichner an einem Wettbewerb zum Thema Arbeit beteiligen. Maximal ein bis zwei Seiten oder auch einzelne Strips, schwarz-weiß und im Format maximal DIN A4 werden von Zeichnern der Comickünstlergruppe „Renate" bewertet; zehn davon werden dann im Dezember gedruckt. Wer den Abgabeschluß verpaßt, kann es mit seinen Arbeiten auch beim scheinschlag versuchen, der ebenfalls Zeichner sucht. Das Thema Arbeit ist dann nicht obligatorisch, schwarz-weiß schon.

Einsendungen an die Comicbibliothek Renate, Tucholskystr. 32, 10117 Berlin, www.renatecomics.de

nachfrage

Während die großen Opernhäuser vor sich hin dümpeln, entwickelt sich lebendiges Musiktheater an der Peripherie ­ nach der Neuköllner Oper jetzt auch eine im Wedding? Jedenfalls bespielt die „Phantastische Oper" an drei Oktober-Wochenenden den Theatersaal am Sparrplatz ­ naturgemäß keine „große Oper", sondern Kammerbesetzungen mit wenigen Solisten. Im Mittelpunkt steht dabei das Monologstück ... und er ging auch nie mit Nonnen spazieren ..., das als skurrile Lebensabrechnung angekündigt wird. Außerdem wird Schuberts Winterreise aufgeführt, mit einer Wien-Berlin-Matinée und „beliebten UFA-Filmmelodien" ist auch leichte Kost im Angebot, und für die Kinder gibt es Peter und der Wolf und Rotkäppchen als musikalische Lesung. Etwas befremdlich mutet es allerdings an, wenn der Verein Phantastische Oper e.V. davon spricht, mit seiner Präsenz in dem leerstehenden Gebäude am Sparrplatz das „kulturelle Niveau der Bevölkerung" heben zu wollen.

Die „Phantastische Oper" bespielt von 15. bis 17., 22. bis 24. und 29. bis 31. Oktober den Ernst-Reuter-Saal am Sparrplatz, Wedding, fon 65475258

schuldfrage

Begleichung der Schuld ist der Titel einer zweiteiligen Ausstellung über in Prag tätige deutschsprachige Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die derzeit im Tschechischen Zentrum und im Saalbau Neukölln gezeigt wird, und es gibt in der Tat einiges nachzuholen bei diesem Thema. Jahrzehntelang wurde über diese Bauten kaum geforscht, geschweige denn publiziert, die Namen der meisten Architekten sind vergessen. Nicht wenige von ihnen wurden verfolgt, ermordet oder mußten emigrieren. Doch wie es zur Ausstellungseröffnung hieß: „Die Menschen konnte man vertreiben, die Häuser nicht." Höchstens abreißen. Das heutige Prag bietet noch vielfältige Zeugnisse der Tätigkeit dieser Architekten, die so unterschiedlichen Strömungen wie dem Historismus, dem Jugendstil und der Moderne zugerechnet werden. Der mit 10 Euro erschwingliche Katalog lohnt sich auf jeden Fall.

„Begleichung der Schuld – in Prag tätige deutschsprachige Architekten 1900-1938", noch bis zum 22. Oktober im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Mi bis So 12 bis 18 Uhr, und im Tschechischen Zentrum, Friedrichstr. 206, Mitte, Mo 14 bis 18 Uhr, Di bis Fr 10 bis 13 und 13.30 bis 18 Uhr

frauenfrage

Aus einer subkulturellen Initiative ist eine Institution geworden: Anfang Oktober zeigt das nunmehr schon 20. Lesben Film Festival im Arsenal über 70 Filme aus 17 Ländern. Darunter eine US-amerikanische Action-Satire und einen Lesben-Splatterfilm, eine Dokumentation über Fußballerinnen in Israel, eine Zusammenstellung surrealer Kurzfilme aus Argentinien, der Schweiz, Australien und Spanien, eine schrecklich-komische Dokumentation über kriegspielende Dykes und das Porträt einer amerikanischen Nonne, die sich für lesbische und schwule Katholiken einsetzt. Zudem gibt es ein Gastprogramm indischer Filme in Zusammenarbeit mit dem 1. International Film Festival Of Sexuality and Gender Plurality, das letztes Jahr in Bombay stattfand. Der Publikumspreis wird am Sonntag, dem 10. Oktober verliehen ­ im Anschluß an den Spielfilm Nachbarinnen, der Liebesgeschichte einer deutschen Plattenbaubewohnerin und einer illegalisierten Migrantin.

20. Lesben Film Festival, vom 5. bis 20. Oktober im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten, www.lesbenfilmfestival.de

 
 
 
Ausgabe 08 - 2004 © scheinschlag 2004