Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Schlauchbootfahren im Palast

Zoellner Palast

Foto: Rolf Zöllner

Der kleine Mann mit Brille sieht verwirrt aus. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Seine Tochter hatte den Vorschlag gemacht: Schlauchbootfahren im Palast der Republik. Warum nicht? Nach einer Stunde Schlangestehen sind sie drin. Nun sitzt er im Boot, gezogen von einem jungen Mann. „Ich führe Sie durch unsere Fassadenrepublik", begrüßt er die Bootsinsassen. Ein Becken, groß wie ein Tennisplatz, mit grüner Plane ausgelegt und bis zum Knie mit Wasser geflutet. Im Wasser stehen bunt beleuchtete Inseln. Großformatige Bilder baumeln über dem Becken. Am rechten Rand stehen Leute mit Angeln und fischen transparente Kugeln aus dem Wasser, „Sushi-Angeln" steht auf einem Schild. Ein Rednerpult taucht vor ihnen auf, flankiert von zwei weiteren Inseln. Ein paar Leute mit großen Papierhüten auf dem Kopf stimmen darüber ab, ob Motorboote im Becken fahren sollten oder nicht. „Hier tagt das Fassadenparlament, möchten Sie auch aussteigen?", keine Reaktion, „na gut, dann bringe ich Sie ins Rotlichtviertel". Der junge Mann zieht das Boot vorbei am Ahnenamt, wo man in einem schwimmenden Sarg probeliegen kann, vorbei an der Gondelschule und der Fassadenakademie. Leute bohren, schrauben, malen neue Fassaden. Aus der Ferne tönt die Hymne der Fassadenrepublik „Luftschiffe schaukeln sanft, Stahl über den Kanälen..." Im Rotlichtviertel angekommen tänzeln zwei Gestalten im Tennisdress aufreizend hinter zwei gezimmerten Fenstern. „Hereinspaziert, hier können Sie sich vergnügen", verkündet eine Art Zuhälter. Eigentlich will er nicht aussteigen, seine Frau steht aber schon mittendrin und läßt sich aus der Hand lesen. Da vorn ist der Ausgang.

Frauke Janssen,

5. September, Kunsthochschule Weißensee

 
 
 
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