Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Türkisches Brot

Mein türkischer Bäcker ermöglicht einen unsteten Lebenswandel. Nur für eine Stunde schließt er nachts seinen Laden, und schon ab vier Uhr am Morgen bekommt man alles, was man braucht, um seinen Hunger nach Kohlenhydraten oder Koffein zu stillen. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Dingen, deren Namen ich nicht aussprechen kann. Will man etwas davon kaufen, muß man umständlich darauf zeigen und lächeln, wie man es in slowakischen oder litauischen Dorfläden lernen mußte. Die einsprachige Beschriftung ist der Garant dafür, daß ich um die Ecke gehen kann und ein Fremder bin, der nicht sagen kann, was er will. Heute habe ich meinem Bäcker zum ersten Mal nach etwas anderem als nach Brot oder Rosinenbrötchen gefragt. Ich wollte wissen, was er denn über den Palast der Republik denkt. Leider konnte ich nicht auf den Palast zeigen, denn er steht etwa drei Kilometer entfernt. Mein Bäcker hat mir vor Schreck fast ein zweites Brot eingepackt. Dann fragte er schnell den nächsten Kunden nach seinen Wünschen. Das vermute ich jedenfalls.

Auf dem Rückweg dachte ich über die Nachteile meines Bäckers nach. Er backt nur Weißbrot. Falls er eingebürgert wäre, würde er vermutlich, wie die meisten Türken mit deutschem Paß, schwarz wählen. Tut er aber sicher nicht; auch aus meinem Haus steht kein Türke im Wählerverzeichnis.

Steffen Schuhmann, 4. August, anschlaege.de

Foto: Rolf Zöllner

 
 
 
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