Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wem gehören die Einsen und Nullen?

Frank Hansen und Markus Beckedahl über Bürgerrechte im digitalen Zeitalter

Seit der zunehmenden Computerisierung des Alltags bekommt die Sorge um Bürgerrechte im Internet mehr und mehr Gewicht. Wer hat welches Recht, Daten zu nutzen? Staatliche Behörden haben im Netz hauptsächlich Interesse daran, Kontrolle über den Datenverkehr auszuüben. Also wer wann mit wem kommuniziert (z.B. „Terrorismus") oder sich für welchen Internet-Inhalt interessiert (z.B. Kinderpornographie).

Den Firmen, die Musik, Filme oder Software produzieren, ist die „Anarchie" im Internet aus anderem Grund ein Graus. Der Umstand, daß Daten verlustfrei beliebig oft kopierbar sind, läßt Millionen Nutzer und Nutzerinnen fröhlich Daten tauschen (Filesharing). Bis zu fünf Jahre Haft können dafür nun drohen, so viel wie für das Herbeiführen einer nuklearen Explosion (StGB § 328, Abs. 2, Nr. 3).

Das Digital Rights Management (DRM) soll Filesharing verhindern. DRM soll ermöglichen, daß jedem Rechner und jeder Datei, wie Musik, Film oder Software, eine individuelle und unlöschbare Identifikation zugeteilt wird.

In der greifbaren Welt geht die Entwicklung der RFID-Chips (Radio Frequency Identification) in die gleiche Richtung: Jedes Produkt, ob Milchpackung oder Bohrmaschine, soll anstelle eines Strichcodes mit einem kleinen RFID-Chip ausgestattet werden, der über einige Meter seine individuelle Seriennummer und Informationen senden kann. So droht in zwei, drei Jahren eine lückenlose Kontrolle von Produkten, aber auch von deren Käufern durch kaum auffindbare Lesegeräte.

Die „stiftung bridge" unterstützt Initiativen, die zu Bürgerrechten in digitalen Gesellschaften arbeiten. Sie agiert unter dem Dach der Bewegungsstiftung, die vor zwei Jahren aus dem Umfeld von attac in Verden, Niedersachsen, gegründet wurde.

Ein Gespräch mit Frank Hansen, Gründungstifter der stiftung brigde und Markus Beckedahl, Vorsitzender des Netzwerk Neue Medien und Mitarbeiter in der attac AG Wissensallmende.

Die stiftung bridge fördert die AG Wissensallmende, um die Idee einer sogenannten Musik-Flatrate bekannt zu machen. Worum geht es?

Beckedahl: Die Musik-Flatrate soll dem DRM-System der Industrie als Alternative entgegengesetzt werden. Es geht darum, wie zukünftig digitale Güter über das Internet vertrieben werden sollen, wie Verbraucherrechte geschützt werden können. Denn auch mit wenig Kontrolle können Künstler kompensiert werden.

Müßte dafür nicht eine neue Behörde geschaffen werden?

Beckedahl: Es gibt da verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Bei der Musik- oder Content-Flatrate gibt es z.B. das Modell einer freiwilligen Abgabe, einer Art Ablaßhandel. Also ich zahle fünf Euro im Monat, und dafür darf ich nicht verklagt werden. Man könnte das Ganze staatlich machen, nach dem Beispiel der Musik-Verwertungsgesellschaft GEMA, also mit einer Pauschalabgabe. Wenn man mal zusammenrechnet, was der gesamte Umsatz der Musik- und Filmindustrie inklusive ihrer proklamierten Verluste ist, kommt man zumindest in Amerika auf fünf Dollar im Monat, die jeder zahlen müßte.

Wird die Politik und Industrie nicht mit Verweisen auf Angebote, wie „i-tunes" von Apple, eure Forderung abtun? Dort kann man ja schon heute gegen Entgelt Musik runterladen.

Beckedahl: Es geht um mehr. Die Industrie will ja im Rahmen von DRM ein System durchsetzen, in dem jeder Nutzer einen sogenannten „vertrauenswürdigen" Chip in jedem Computer und Gerät sitzen haben muß, der „nach Hause telefoniert" und z.B. bei Microsoft nachfragt, ob eine Datei rechtmäßig erworben wurde. Da würde ein riesiger Berg an Daten des persönlichen Medienkonsums angehäuft. Und wir haben die Situation, daß Millionen Menschen Filesharing betreiben. Sie agieren in einem Schwarzmarkt und sind nicht bereit, bei Apple oder Sony Musik herunterzuladen. Sie sind zunehmend von drohenden Sanktionsmaßnahmen durch Strafverfolgung betroffen. Vor allem glauben wir aber auch, daß unser Modell besser für die Künstler ist. Weil sie mehr Kompensation bekommen würden.

Hansen: Es geht um Selbstbestimmung in der Verbreitung und Nutzung von Informationen, ein ganz hartes Thema; Datenschutz ­ wer legt Datenschutzbestimmungen fest, Konzerne oder Gesetzgeber? Und es geht um die Kompensation für die Urheber. Bei den zukünftigen Modellen der Industrie sieht es mit Kompensation für die Künstler genauso aus wie bei den bisherigen: sehr schlecht.

Informationelle Selbstbestimmung ist auch das Thema, um das es sich bei der Kritik an den RFID-Chips dreht. Die stiftung bridge unterstützt den FoeBud e.V., der ein kleines, kostengünstiges Gerät entwickelt, um diese Chips aufspüren zu können. Warum?

Hansen: Hauptzweck ist natürlich nicht, dieses Gerät zu bauen. Das kann man mittlerweile ja auch selber mit einem Bastel-Kit. Sinn und Zweck, den „Data Privatizier" schon zum zweiten Mal zu unterstützen, ist, daß der FoeBud e.V. zum Thema arbeiten kann. So ein Gadget ist eine gute Möglichkeit für Leute, sich auf spielerische Art mit dem Thema zu beschäftigen.

Die Befürchtung bei RFID-Chips ist, daß über sie Kontrolle ausgeübt werden kann. Ein konservativer Mensch würde fragen: Wo ist das Problem, wer nichts zu verbergen hat, muß auch Kontrolle nicht fürchten.

Hansen: Wenn Leute genügend über mich wissen, werde ich irgendwann anfangen, mein Verhalten anzupassen, weil ich ja weiß, was sie über mich wissen. Das definiere ich als Ende der Freiheit. Auch die Konservativen werden anfangen, Zeter und Mordio zu schreien, wenn durch RFID-Chips von ihnen Käuferprofile erstellt werden. Denn es geht darum, aufgrund des persönlichen Profils, also aus einem Single oder einer Familienmutter mit drei Kindern, das Maximale rauszuholen, nämlich, was er oder sie bereit ist zu zahlen. Aufgrund der gesammelten Lebensumstände und seines Konsumverhaltens wird je nach Kaufverhalten ein unterschiedlicher Preis angeboten werden. RFID ist eine wunderbare Sache, um hinter den Kulissen den Handel abzuwickeln. Es wird dann erst zum Albtraum, wenn der Chip über die Ladentheke und damit nach Hause geht und die Informationen nicht zerstört werden.

Was sind eure Forderungen?

Beckedahl: Keine Verbindung von Payback-Karten und Kaufverhalten. Im Geschäftsbereich ist RFID kein Problem, aber sobald Konsumenten ins Spiel kommen, muß klare Kennzeichnungspflicht da sein, und spätestens an der Kasse müssen die Daten auf den Chips kaputtgemacht werden. Die Verkäufer werden die RFID-Chips als Service anpreisen, ähnlich den Vielfliegerkarten der Fluggesellschaften, die nebenbei selbstverständlich alle Flugdaten gespeichert halten. Die werden bislang gut angenommen...

Hansen: Ich weiß nicht, ob die Leute das so gut angenommen hätten, wenn sie gewußt hätten, was mit ihren Daten angestellt wird. Auch bei den Payback-Karten hat sich ja herausgestellt, daß zum Teil datenschutzwidrig mit persönlichen Daten hantiert wurde. Letztlich ist es aber ein Witz, wie bereitwillig
die Leute für 0,1 Prozent Rabatt ihre Großmutter verkaufen.

Inwiefern siehst du das Streiten für Bürgerrechte im Netz als Teil einer sozialen Bewegung?

Hansen: Das Problem an der ganzen Sache ist, daß der Zusammenhang zwischen Sicherheits- und Informationspolitik einerseits und Bürgerrechten andererseits bei den Leuten ankommen muß. Beim Beispiel Umweltschutz war es den Leuten anfangs auch nicht bekannt, daß ihre Kaufentscheidung möglicherweise Auswirkungen auf die ganze Welt hat und letztlich damit wieder auf sie. Insofern stehen wir ganz am Anfang.

Ist es nicht so, daß im Bereich Bürgerrechte und Freiheit meist die Befürworter von Kontrolle und Überwachung am Ruder sind?

Hansen: Das waren sie schon immer, es war schon immer ein Hase-und-Igel-Rennen. Soziale Bewegungen werden nie in die Verlegenheit kommen, „stärker zu sein"; es ist immer ein Abwehren des noch Schlimmeren. Damit muß man sich abfinden, aber es so gut wie möglich machen. Ich merke gerade auch, je dreckiger es den Leuten geht, wenn sie persönlich betroffen sind, desto mehr scheint der Leidensdruck tatsächlich Aktionismus zu verursachen.

Sind in einer Waren- und Konsumgesellschaft Bürgerrechte nicht störend für eine „freie" Marktwirtschaft?

Hansen: Ich bin der Meinung, die Firmen handeln völlig vernünftig, denn sie handeln so, daß es den einzelnen Firmen gut geht. Und Oligopol- und Monopolbildung ist da eine logische Konsequenz. Und natürlich sind Bürgerrechte keine Sache, die Firmen interessieren. Insofern ist es eine Frage der Organisation des Marktes. In Deutschland und anderen europäischen Ländern haben wir den Versuch einer sozialen Marktwirtschaft, sprich Politik regelt Markt. Im Augenblick ist es so, daß bald nur noch Markt Politik regelt. Markt an sich, meine ich, ist demokratiefeindlich.

Beckedahl: Ich würde da zustimmen, aber schon sagen, daß es Hoffnung gibt, nämlich die junge Generation. Die als erste das Internet zur Verfügung hat und daraus etwas machen wird. Und zwar etwas anderes, als die 50- oder 60-jährigen Konzernchefs oder Politiker. Für die ist das Internet auf die Welt gekommen wie früher das Farbfernsehen. Die können sich überhaupt nicht richtig vorstellen, was man damit machen kann. Ich bin ja mit 27 Jahren auch schon fast zu alt dafür, aber die jungen Leute, die mit den Möglichkeiten des Internets aufwachsen, die Freiheit haben, ein offenes System wie Linux zu nutzen ­ was die damit in den nächsten ein, zwei Generationen alles anstellen können, das gibt mir Hoffnung.

Interview: Lorenz Matzat

stiftung bridge: www.bridge-ideas.de, AG Wissensallmende: www.attac.de/wissensallmende, Netzwerk Neue Medien: www.nnm-ev.de, Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V: www.foebud.org

 
 
 
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