Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Projekt freier Datenaustausch

Über einige Versuche, geistiges Eigentum zu resozialisieren

Als Johannes Gutenberg 1435 damit begann, bewegliche Lettern für den Buchdruck einzusetzen, wurden Spielkarten oder Stoffmuster bereits gedruckt. Allerdings mußte jede Druckseite einzeln geschnitzt werden – für längere Texte war das unpraktisch. Gutenberg erkannte die technologische Bedeutung des Umstandes, daß sich bei der damals verbreiteten Prachtschrift alle Texte auf die Rekombination von nur 290 verschiedenen Elementen zurückführen ließen.

Die neue Technik machte die unkontrollierte Verbreitung spiritueller, politischer und wissenschaftlicher Schriften außerhalb der Klöster möglich und damit später die Aufklärung und die bürgerlichen Demokratien. Nachdem die alten Regimes zunächst alles versucht hatten, die für sie gefährliche Technologie zu kontrollieren, wurde in den demokratischen Verfassungen ausdrücklich der freie, unzensierte Gebrauch der Drucktechnik und die freie Verbreitung von Druckerzeugnissen garantiert. Gleichzeitig begann sich das Urheberrecht zu entwickeln, das das Recht der freien Verbreitung zugunsten einer wirtschaftlichen Verwertung immer weiter einschränkte.

Von Lochkarten zum Internet

1947 wurde in den Bell Laboratories der Transistor erfunden, das grundlegende Schaltelement des Computers. Mit dem aus dem modernen Buchdruck entlehnten lithographischen Verfahren können zu riesigen Schaltkreisen verbundene Transistoren in Siliziumscheiben geätzt und damit Computerchips massenweise quasi gedruckt werden. Computer gab es schon vorher, doch waren ihre Schaltkreise durch Röhren realisiert und damit groß, schwer, teuer, langsam und fehleranfällig. Ihre Verwendung war nur für sehr spezielle Einsätze, etwa das Dechiffrieren militärischer Codes, sinnvoll.

Um 1970 forschten bereits viele Universitäten und Labors an der neuen Technologie. Die Betriebsanweisungen für die Datenverarbeitungsmaschinen wurden nicht mehr in Lochkarten, sondern auf Magnetbänder oder -platten gespeichert. Sie wurden damit einfach kopierbar. Die Forscher nutzten den Umstand, daß sich Teile solcher „Programme“ auf anderen Maschinen wiederverwenden ließen, Programmiersprachen entstanden, die den maschinenbezogenen vom problembezogenen Programmcode trennen und so die Portierung zwischen ganz verschiedenen Rechnertypen erlaubten. Indem die Programmierer für die Lösung ihrer Probleme jeweils auf die Sammlung aller vorhandenen Lösungen zurückgreifen konnten und ihre eigenen Entwicklungen wieder an andere weitergaben, entstanden im freien Ideenaustausch schnell immer komplexere und bessere Programme.

Bereits Anfang der achtziger Jahre waren viele Computer über Datenleitungen miteinander vernetzt, 1983 entstand aus dem 1969 als militärisches Forschungsprojekt begonnenen ARPA-Net das Internet. Bei vielen Programmierern entwickelte sich ein Bewußtsein, daß Computer und Datennetze neue, prinzipiell demokratischere Medien ermöglichen könnten. Bisher gab es Technologien für die Fern-Kommunikation zwischen einzelnen Bürgern und für die Kommunikation zentraler Stellen zu vielen Bürgern. Computernetze ermöglichen dagegen die Kommunikation einzelner zu vielen oder vieler untereinander. Gleichzeitig müssen die Programme für den Computer nicht Stück für Stück produziert werden, sondern können ohne Kapitaleinsatz kopiert werden.

Doch gleichzeitig erkannte die Industrie, daß die Anwendung des Urheberrechts auf Computerprogramme beträchtliche Umsätze versprach. Die zusammen mit der Computerhardware vertriebenen Systemprogramme wurden nun als „Software“ für Beträge verkauft, die meist nur institutionelle Käufer aufbringen konnten. Um ihre unkontrollierte Weiterentwicklung zu verhindern, wurde außerdem nicht mehr der lesbare Quelltext, sondern nur noch der ausführbare Maschinencode vertrieben. Begriffe wie Raub oder Piraterie wurden für Handlungen etabliert, die eigentlich nicht schlimmer sind als Schwarzfahren.

Freie Software

Im September 1983 begann der Programmierer Richard Stallman daher das GNU-Projekt: ein Betriebssystem zu programmieren, das frei benutzt, modi&Mac222;ziert und weitergegeben werden darf und das im lesbaren Quellcode vorliegt (www.gnu.org/gnu/initial-announcement.html). Technologisch sollte GNU an das populäre, inzwischen aber kommerzielle Betriebssystem Unix angelehnt sein (GNU = „GNU’s Not Unix“). Einige vorhandene Programme konnten direkt übernommen werden, da sie an Universitäten entstanden sind und ohnehin frei kopiert werden durften. Solche „Public Domain“-Software wurde auch von den Softwareproduzenten verwendet und weiterentwickelt, wobei diese Weiterentwicklungen dann nicht mehr frei waren. Um das zu verhindern, verlangt die GNU-Lizenz (www.gnu.org/licenses/licenses.html) , daß jedes Programm, das GNU-Code enthält, selbst unter der GNU-Lizenz steht. Das heißt, bei der Weitergabe müssen dem Empfänger alle Rechte eingeräumt werden, die der Besitzer selbst aufgrund der Lizenz genießt. Auf diese Weise hat sich die GNU-Lizenz inzwischen stark verbreitet.

Anfang der neunziger Jahre schrieb der Student Linus Torvalds den Betriebssystem-Kern „Linux“, der dem GNU-System noch fehlte. Mit GNU/Linux können Programmierer nun erstmals seit den siebziger Jahren wieder legal alle auf dem eigenen Computer laufenden Programme modi&Mac222;zieren, weiterentwickeln und mit Freunden oder Kollegen austauschen. Aber auch so unterschiedliche Gruppen wie Anwender, Hardware&Mac222;rmen oder Staaten beginnen, die Nachteile zu erkennen, die eine völlige Abhängigkeit von Softwareproduzenten mit sich bringt, und verwenden freie Software. GNU/Linux ist nicht per se unkommerziell. In der GNU-Lizenz ist sogar ausdrücklich das Recht festgehalten, für die Weitergabe der Programme Geld zu verlangen. Da aber nach der GNU-Lizenz die Weitergabe nicht beschränkt werden darf, kann man de facto fast jedes GNU-Programm umsonst, z.B. von Freunden oder im Internet, bekommen. Das Debian-Projekt (www.debian.org) stellt ca. 10000 Softwarepakete zur Verfügung, die unter verschiedenen „freien“ bzw. „open source“-Lizenzen stehen.

Der Erfolg des GNU-Projekts ermunterte zur Übertragung der Idee auf andere Bereiche. In den letzten Jahren wurden verschiedene freie Lizenzen für Textwerke zur Diskussion gestellt, die verbreitetste ist die „Gnu Free Documentation Licence“. Im Wikipedia-Projekt (wikipedia.org) entsteht auf dieser Basis das schon jetzt umfangreichste Lexikon. Das Projekt Gutenberg (www.gutenberg.net) stellt Texte, deren Urheberrecht abgelaufen ist, frei ins Internet – bisher 13000 Titel. Für den Bereich Musik gibt es mehrere analoge Ansätze.

Allen Projekten gemeinsam ist das Ziel, der künstlichen Verknappung der Ressource „Information“ – Text, Programm, Musik, Bild usw. – entgegenzutreten. Während immer mehr Arbeitskraft in die Erzeugung von Information gesteckt wird und diese Ressource zunehmend nicht mehr als gemeinsames Erbe der Menschheit begriffen, sondern privat kontrolliert wird, soll der freie, unzensierte Austausch von Daten gewährleistet bleiben. Dafür wird nicht etwa die Berechtigung geistigen Eigentums überhaupt angegriffen. Vielmehr nutzen die Beteiligten ihr Urheberrecht ausdrücklich, um sicherzustellen, daß jede, auch kommerzielle Weiterentwicklung des eigenen Werkes ebenfalls frei weitergegeben werden darf. Für größere Projekte werden häu&Mac222;g „social contracts“ abgeschlossen, in denen sich die Urheber z.B. gegenseitig rechtsverbindlich verpflichten, ihre Urheberrechte in Bezug auf das Projekt auch in Zukunft nur im Sinne einer offenen Tauschgemeinschaft wahrzunehmen.

Eigentümer des Wissens

Die Freiheit des Informationsaustauschs ist dennoch auf mehreren Ebenen bedroht. Der Erfolg der „Informationsgesellschaft“ wird in Wirtschaft und Politik ausschließlich anhand von Arbeitsplätzen, Umsätzen und Handelsvolumina gemessen. Der Informationsindustrie gelingt es derzeit, ohne nennenswerten Widerstand, Gesetze durchzusetzen, die sowohl die Produktion freier Software bedrohen, als auch den freien Austausch anderer Daten illegalisieren. Das betrifft z.B. das Patentrecht, die Einschränkung des Rechts auf Privatkopie, die Kontrolle des Datenverkehrs mit dem Ziel, Urheberrechtsverstöße nachzuweisen oder das Verbot der Umgehung von Kopierschutz. In vielen Staaten wird ein Verbot der Benutzung starker Verschlüsselungsverfahren angestrebt, um die Überwachung zu gewährleisten.

Aber auch die Entwicklung der Internet-Infrastruktur selbst wird schon lange von kommerziellen Interessen bestimmt. So sind viele Ostberliner Haushalte seit Anfang der neunziger Jahre mit Breitband-Glasfaseranschlüssen vernetzt, die aber nicht benutzt werden, damit weiterhin ISDN und DSL verkauft werden können. DSL bietet relativ hohe Download-Geschwindigkeiten, eignet sich aber nicht gut zum Anbieten von Inhalten. Ferner werden für das Registrieren eines Domain-Namens Gebühren an eine private Institution fällig. Die multidirektionale Kommunikation, d.h.: das gleichzeitige Abrufen und Anbieten von Inhalten, wird somit erschwert.

Die Bedeutung von Informationsfreiheit scheint im gesellschaftlichen Bewußtsein seit der Volkszählungsdebatte Anfang der achtziger Jahre abgenommen zu haben. Aus Friedrichshain breitet sich dagegen derzeit ein freies „WaveLAN“ über Berlin aus (wlanfhain.databang.org). Mit selbstgebastelten Antennen vernetzen die Aktivisten ihre Computer über Funk auf allgemein freigegebenen Frequenzen. Von der sozialen Konstruktion funktioniert ein WaveLAN wie die Mailboxnetze der achtziger Jahre, als die ersten Heimcomputer über Telefonleitung vernetzt wurden. Die Netzinfrastruktur ist dezentral und setzt sich aus den einzelnen privaten Rechnern, den sog. Knoten zusammen, die sich gegenseitig verpflichten, den Datenverkehr anderer Knoten weiterzuleiten. Die nötige Software wird von Technikfreaks weitgehend selbst entwickelt und ist natürlich frei. Im Gegensatz zu den alten Mailboxnetzen baut WaveLAN nicht auf dem Telefonnetz auf, sondern ist inklusive der Netzhardware im Besitz der Menschen, die das Netz betreiben. Dadurch ist bei einmal installierter Hardware der Datenaustausch praktisch kostenlos. Die Anbindung des Bürgernetzes ans Internet könnte zunächst über die zahlreichen, schon vorhandenen DSL-Flatrates der Teilnehmer realisiert werden. Aus technischer Sicht spricht allerdings nichts dagegen, daß alle auf dieses Netz umsteigen und das Internet durch ein neues, schnelles, demokratisches und kostenloses Netz im Besitz seiner Teilnehmer ersetzt wird.

Martin Eigmüller

 
 
 
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