Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Freiraum nutzen ­ Spielraum gewinnen

Lokale Agenda (IV): die Zwischennutzungsagentur

Wilde Plakatierer haben in Berlin leichtes Spiel und kurze Wege: Einmal kurz den Leimquast geschwungen, schon pappt der nächste Zettel am blinden Schaufenster, auf geht's zum nächsten leerstehenden Laden. Der umherstreifende Zeitgenosse ist also unweigerlich auf der Höhe des Geschehens bei Revival-Partys, obskuren Katzenmessen und Computerfrickelbörsen. Nach Monaten buckeln die angeschwollenen Papierschichten dann schon, die ultimative Polarmeerumrundung per Mountainbike im Diavortrag buhlt um letzte Aufmerksamkeit, der Zeitgenosse aber grübelt: Wie lange steht das jetzt schon leer? Die Miete zu hoch? Der Eigentümer hat's gar nicht nötig? Mal auf Zehenspitzen einen Blick ins Dunkel dahinter werfen...

„Im günstigsten Fall findet derjenige ein Schild ,Zu vermieten' mit Telefonnummer im Fenster, oder im Hausflur hängt die Adresse des Eigentümers", berichtet Stefanie Raab von der „Zwischennutzungsagentur", wo sie zusammen mit Constanze Roth an der Schnittstelle zwischen temporären Nutzern und Immobilienbesitzern vermitteln will. „Auf eigene Faust mit einer einfachen Anfrage kommt man meist nicht weit beim Eigentümer oder Verwalter, wenn man die Räume nur zeitweilig mieten will", ist ihre Erfahrung.

Zu viele Vorbehalte existieren auf Eigentümerseite: Der Aufwand für Vorbereitung und Vertragsabschluß lohne sich nicht bei kurzen Nutzungsfristen, welche Objekte sich für Zwischennutzungen eignen, sei ebenfalls unklar. Und immer die Frage, ob diejenigen auch wieder verschwinden, wenn ein regulärer Mieter in Sicht ist. Dabei liegen die Vorteile eines zwischendurch belebten Ladens auf der Hand: „Die Flächen werden wieder in den Nutzungszyklus hineingenommen. Mitunter können die Besitzer noch Geld sparen, denn der Vandalismus geht zurück", führt Raab aus. Und die Chance, die Renditeerwartung durch gesteigerte Attraktivität von Lage und Gebäude zu verbessern, solle man ebenfalls nicht unterschätzen. Nichts wirkt schließlich abschreckender auf Geschäftsaktivitäten als tote Straßenzüge mit heruntergekommenen Erdgeschoßzonen. Zwischennutzer wiederum bekommen günstig Räume auf Zeit und können ohne große Investition mit überschaubarem Risiko ihre Ideen in die Tat umsetzen. Viele wollen sich nämlich einen langfristigen Mietvertrag gar nicht aufbürden, sondern erst einmal ausprobieren, wie die Sache so läuft. Die Flexibilität durch kurzfristige Kündigungsfristen kommt im besten Falle beiden Partnern zugute. Alles in allem eigentlich eine ideale Konstellation: Vertrauen schaffen, heißt deshalb die Devise.

Ausführlich berät die Zwischennutzungsagentur deswegen beide Seiten, und da sowohl Roth als Architektin und Projektentwicklerin wie auch Raab als Moderatorin und Diplom-Ingenieurin der Architektur qualifiziert sind, werden dabei gleich die Detailfragen mitgelöst. „Die rechtlichen Rahmenbedingungen für temporäre Nutzungen sind momentan noch fast identisch mit denen für dauerhafte Nutzungen", erläutert Raab. Sie hilft beim Einholen von Genehmigungen, ebenso wird das Problem der Haftung vertraglich geregelt. Für die Beratung werden bei erfolgreicher Vermittlung in der Regel je nach Aufwand zwei Euro pro Quadratmeter berechnet. „Die Anlaufphase unserer Agentur wird zwar vom Institut für Zukunftstudien und Technologiebewertung IZT gefördert, aber voll finanziert ist sie damit nicht", erklärt Raab, „doch kein Geld ist kein Grund, sich nicht an uns zu wenden".

Vermeintlich könnte man den beiden Managerinnen nun zu einer pfiffigen Geschäftsidee gratulieren, sich erfolgreich in der Maklerbranche eine Marktnische gesucht zu haben. Doch das Projekt zielt in eine andere Richtung. Als vergeudetes Kapital, nicht nur in finanzieller Hinsicht, stellen sich nämlich die vielen ungenutzten Flächen in Berlin ebenso wie die brachliegenden Talente und Potentiale der Bewohner dar, ändert man den Blickwinkel. „Aus einem ganz basisdemokratischen Politikverständnis heraus wollen wir erreichen, daß eine praktische Teilhabe an der Stadt möglich ist", erläutert Raab. Die Zwischennutzungsagentur, ein Leitprojekt der Lokalen Agenda 21 von Berlin, ist aus der Basisarbeit des „Ideenaufrufs" hervorgegangen und mittlerweile in der Trägerschaft der „Workstation Ideenwerkstatt Berlin e.V." angesiedelt. Edgar Göll vom IZT bewertet die Arbeit der Zwischennutzungsagentur denn auch als innovativ und kreativ, „weil sie das Vorhandene optimal nutzt, wodurch die Flächeninanspruchnahme reduziert und die Nachhaltigkeit gefördert wird".

Ganz konkret für die Zwischennutzungsagentur hat es inzwischen in der Karl-Kunger-Straße in Treptow geklappt, wo sie Kati Moritz und Franziska Frericks von der Agentur „Mofrete ­ Event und Design" die Räume einer ehemaligen Rossmann-Filiale vermitteln konnte. Seit August stellt „Mofrete" lichtgestaltete Möbel und Objekte aus, selbst die noch vorhandene Ladenbeleuchtung wurde künstlerisch in die Präsentation integriert. Anhand dieses Beispiels aber dürfte auch deutlich werden: Wenn selbst umsatzstarke Drogeriediscounter ihre Standorte nicht mehr halten, dann können Zwischennutzer über kurz oder lang offene Türen bei den Immobilieneigentümern einrennen.

Susanne Schumann

* Mofrete, Karl-Kunger-Straße 14, Treptow, fon 39035855 (Organsiation), 0170/3520896 (Technik)

* Zwischennutzungsagentur, Stefanie Raab, fon 62 72 77 52 o. 0178/7603244, www.zwischennutzungsagentur.de

 
 
 
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