Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wie man die magische Stunde übersteht

Die unverdauliche Essenz des Clubs der polnischen Versager

„Das ist die magische Stunde", sagt Wojciech Stamm. Er steht vor der Tür des Clubs der polnischen Versager und schaut die wie immer etwas räudige Torstraße hinunter. Es dämmert, über den Dächern der Mietshäuser ziehen rosa Wolkenfetzen, die Straßenbahn, Linie 8, rattert vorbei, Richtung Rosenthaler Platz.

Es war eher Zufall, daß der Club genau an diesem Ort eröffnet wurde ­ am Rand der Spandauer Vorstadt, dort, wo das aufgewertete Viertel mit seinen Designer-Boutiquen, Bars und Restaurants aufhört, der Rand ausfranst mit noch grauen Fassaden und einem eher unbestimmten Mix aus altansässigen Gewerbebetrieben, Gemüse- und Tattooläden, Imbißbuden und experimentellen Neugründungen. Es ist ein großartiger Ort für den Club der polnischen Versager, der allerdings die Gefahr einiger Mißverständnisse birgt, verstärkt noch durch seinen Namen. Ein Club der polnischen Versager in Mitte, unmittelbar neben Kaminers „Russendisko" im Kaffee Burger ­ das hörte sich nach grandioser Gaudi an.

Keine Wurstwaren

Sieben Jahre hatten sich die Gründungsmitglieder des „Bundes der polnischen Versager" ­ sechs in Berlin lebende Polen ­ gekannt und künstlerisch-literarisch miteinander gearbeitet, bis sie beschlossen, diesen Club zu gründen. Sie eröffneten 2001. „Nach drei, vier Monaten war der Laden rappelvoll", erzählt Adam Gusowski. „Zuerst waren wir natürlich froh, daß der Club gut besucht ist. Aber dann war es ernüchternd, als wir merkten, daß viele von den Leuten eigentlich gar nichts mit uns zu tun haben wollten." Sondern nur meinten, eine neue Location aufgetan zu haben. Die Karawane des Subkulturbetriebs auf der ewigen Suche nach immer neuem Amüsement hatte den Club entdeckt, dessen Name zudem als witzig aufgefaßt wurde.

Der Vereinsname hatte den Clubbegründern schon im Vorfeld einige Schwierigkeiten bereitet: Die Bahn wollte ihnen dann doch lieber keine Räume vermieten, und eine Telefongesellschaft verweigerte den Anschluß wegen angeblich mangelnder Glaubwürdigkeit. Mißverständnisse lauern immer noch allerorten, und geduldig beantwortet Asia Bednarska, einziges weibliches Gründungsmitglied, im Club-Newsletter ein paar der häufigsten Anfragen: „Im Club der polnischen Versager gibt es keine polnischen Wurstwaren zu kaufen, und wir wissen nicht, wo man so etwas kauft, und wollen es auch nicht wissen. Wir kennen keine polnischen Fliesenleger. Der Club der polnischen Versager wird weder von der Mafia noch von der Stadt finanziert, der Verein trägt sich selbst. Der Name ist ernstgemeint."

Der Erfolg des Scheiterns

Mit dem koketten Namen drohte der Club tatsächlich, in eine Falle zu tappen. Es war die Zeit, als das Platzen der New-Economy-Blase bei einem jungen, im Grunde intelligenten Milieu enttäuschte Hoffnungen in ständige ironische Kompensation umkippen ließ. Veranstaltungen wie die „Show des Scheiterns", die eine Zeitlang im Club lief, kamen da gut an, und es sprach für den gesunden Instinkt der Vereinsmitglieder, sich von der Show zu trennen. Inzwischen lief auch schon die mediale Verwurstungsindustrie an, die Szeneseiten der Zeitungen berichteten, auf dem Höhepunkt des Rummels wurden die Betreiber in Bioleks Talkshow eingeladen, und nicht wenige sahen die Gefahr, daß der Club von einem bulimischen Medien- und Szenebetrieb ­ nach dem Prinzip des Schlingens und halbverdaut wieder Auskotzens ­ einverleibt würde. Die Frage war: Wie gehen bekennende Versager damit um, erfolgreich zu sein?

„Die Frage ist ja, wie man Erfolg definiert", sagt Adam. „Die immense mediale Präsenz war für uns ­ anders als für Leute wie Jenny Elvers ­ nicht von Bedeutung. Und die Szene ist längst vorbeigezogen. Wenn falsch informiertes Publikum kommt, ist das ja für beide Seiten enttäuschend." Die kritische Phase haben die Versager bewältigt mithilfe unterschiedlicher Strategien, von denen Adam heute nicht mehr im einzelnen sagen kann, ob dies bewußte oder instinktive Entscheidungen waren. Ihnen unangenehme Leute ignorierten sie mitunter einfach. „Unsere Ehrlichkeit war eine Art Schutzwall", sagt Adam. Asia, die im Club Konzerte und Ausstellungen organisiert, erzählt, sie habe lernen müssen, auch Nein zu sagen, um sich zu schützen gegen Vereinnahmung. Sie wollten auch, daß diejenigen nicht wegbleiben, die ihnen wichtig waren. So haben sie bewußt ihr Programm profiliert: Berliner Künstler abseits der Szene, Ausstellungen abseits des Zeitgeistes, die polnische Filmreihe ... Sie haben weiter künstlerisch und organisatorisch gearbeitet, im Versager-Verlag produziert, und im letzten Jahr haben sie ihren ersten Film mit dem eigensinnigen, ganz korrekt in neuer Rechtschreibung geschriebenen Titel Ostseeerweiterung gedreht, gefördert von der Bundeskulturstiftung.

Die Polenflut

Es ist ein schöner und ein ehrlicher Film über den Club und seine Initiatoren geworden. Er formuliert unter anderem, warum sie, die sechs polnischen Migranten, diesen Club gegründet haben: Adam, der 1988 mit 15 aus Polen „ins fette, reiche Westberlin" gekommen war, wie er einmal im Interview sagte; Leszek Oswiéçimski, der sich völlig desorientiert fühlte in Deutschland, der meinte, sich anpassen zu müssen, und fünf Jahre lang in Deutschland Jobs machte, darunter etliche, für die er sich heute noch schäme ­ bis sich sein „Ego wieder meldete"; Asia, diplomierte Mathematikerin, deren Diplom hier nicht anerkannt wurde und die auf dem Arbeitsamt erstmal gefragt wurde, ob sie überhaupt lesen und schreiben könne; und die anderen. Der Film erzählt, was der Club für sie ist: eine Familie, ein zweites Zuhause, ein Markt als Ort des Austauschs, ein Versuch, die Welt zu verändern, und „eine Schleuse, durch die wir versuchen, in die Gesellschaft vorzudringen, und die es uns ermöglicht, ab und zu als normale Menschen wahrgenommen zu werden", wie es Piotr Mordel formuliert.

Es geht um Erfahrungen und Utopien, um das Bekenntnis zum Versagen als Therapie, um Erfolg und um Macht. Auch die internen Konflikte und Auseinandersetzungen werden nicht verschwiegen. Dabei ist der Film gespickt mit umwerfendem Humor, etwa wenn Piotr wilde Phantasien entfaltet, wie man „Kohle machen" könnte ­ mit einer Pelztierfarm im Keller zum Beispiel ­ oder wie er im Club die Macht an sich reißen kann. Ostseeerweiterung ist aber auch ein Kommentar zur EU-Erweiterung, zu Polen und Deutschland. Eine der schönsten Szenen: Man sieht drei Gründer des Clubs über Landkarten gebeugt. Zwecks Ostseerweiterung soll Polen geflutet werden, womöglich auch Dänemark. Und Brandenburg? Wenn schon, denn schon, gibt einer zu bedenken. „Erst fragen", mahnt Adam, „bei denen weiß man nie, wir machen das, und dann gibt es Streß." Danach sieht man vor ratlosen Badegästen einen riesigen Bagger den Ostseestrand wegschaufeln, Piotr steht in alberner Military-Look-Badehose daneben und kommentiert, das sei mit EU-Geldern finanziert und „die Situation kann sich jeden Tag ändern".

Das mit dem Fluten ist dann gescheitert. Polen liegt über dem Meeresspiegel. Sie hätten in Geographie halt nicht so gut aufgepaßt, entschuldigt sich Piotr. So viel Koketterie muß drin sein nach dem Hype. Und die Dämmerungsstimmung an der Ostsee erinnert verdächtig an die magische Stunde der Torstraße.

Ulrike Steglich

Foto: Knut Hildebrandt. Torstraße, August 2004.

 
 
 
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