Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

ditte & menschenkind

Die Fledermaus und nicht die Schwalbe

So ist die Stunde zwischen Hund und Katz, jene, wenn alle grau sind, und die anderen alle blau, die heute zu Hause bleiben in ihren Berliner Zimmern: kein Fußball, kein Sommer, kein gar nichts, und kippen sich einen und wieder einen und noch einen hinter die Binde, während die Soko im Fernsehen zuschlägt.

Ditte und Menschenkind sind unter dem Wetterbericht durchgekrochen, wie sie durch den Gleimtunnel gegangen sind und Projekte gemacht haben: den Gleimtunnel wieder sperren für den Verkehr, dritteln das ganze Gelände – in die Mitte den gastronomischen Erlebnisbereich, zu dem der kulturhungrige Berliner, auch der aus Istanbul, von beiden Seiten Zutritt haben wird: links, von der Ostseite aus, wo die Gleimener Shakespeare-Kompanie den ganzen Shakespeare rauf und runter spielt und das Publikum um Stichworte bittet; rechts, von der Weddinger Westseite aus zu erreichen, die eiserne Disco, wo sich auch einmal Hertha-, BFC- und Union-Fans durchschütteln können – jedenfalls soll die Disco was mit Fußball zu tun haben.

„Drunter könnten wir dann endlich unseren Traum von der Tanzstampferei bewerkstelligen, Oliven erpressen", spinnt Menschenkind seinen Traum weiter. Irgendwie ist er heute voll kraß verträumt. Ob die tiefhängenden Wolken ihn so spinnen lassen? Nun ja, man kennt sich da bei Menschenkind nicht aus, und mal ehrlich, bei wem schon? Möglicherweise empfängt sein Hirn auch Impulse vom schwarzen Kyritzer Strohhut, den er trägt ­ verwegen, mit flatternden Bändern.

Wie sie nun endlich bei der leicht abschüssigen Wiese mitten im Humboldthain auf der verschlappten Bank zu sitzen gekommen sind, fängt Menschenkind an, Flora und Fauna zu bestaunen. „Nun sieh mal einer an! Die Schwalben fliegen gar nicht so tief, wie sie dem Wetterbericht zufolge müßten!" Ditte schlägt ihm auf den Rücken, so, wie man ein Kleinkind bearbeitet, wenn es ein Bäuerchen machen soll. „Es ist die Fledermaus und nicht die Schwalbe!"

Emphatisch, geradezu ergriffen, zieht Menschenkind Ditte an sein klopfendes Herz. „Du träumst ihn also auch, den Sommernachtstraum!" Sie kann es einfach nicht lassen, diese bildungsbeflissene Ditte. Sie muß ihren Herzensfreund korrigieren. „Menschenkind ­ Romeo und Julia, Balkonszene, das weiß doch jedes Kind. ‚Es war die Nachtigall und nicht die Lerche'!" Ein bißchen verärgert ist Menschenkind schon, als er von Ditte abrückt und dem weiträumig herumtollenden schwarzen Königspudel ein Stöckchen hinschmeißt.

„Wo waren wir stehengeblieben?" Plötzlich purzeln, ratzbatz, aus dem Unterholz des Humboldthains vier kleine drollige Kerlchen. Sie töröten: „Wir sind die vier Hartze. Hartz 1, Hartz 2, Hartz 3, Hartz 4 ­ das sind wir. Das ganze Programm. Die breite Palette. Ihr seid nur klamm, wir sind aber fette."

Mit diesem Auftrittscouplet ist plötzlich der ganze Humboldthain verzaubert ­ unzählige Humboldthainzelmännchen und Tausende von Humbolden und weiteren Unholden schießen wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden, der muntere Münte-Franz wagt einen Tanz, auch der ruppige Rürup erhebt keck sein Haupt, Fledermäuse und andere Vampire durchschwirren den gestirnten Nachthimmel.

„Wir sind die ehernen Eichen, ehernen Eichen, ehernen Eichen, Rürup eins und zwei, ja, Rürup eins und zwei. Kein Hartz kann uns gleichen, Hartz... wie ein Ei dem Ei ja wie ein Ei dem Ei", singt der eine und einzige Rürup, und das Humboldthainzelmännchenballett schnickt nach hier und schnickt nach da mit seinen kleinen Fingerchen und wirft die gestiefelten Zwergenfüßchen zur oberen Grasnabe. Vom Rosengarten herüber weht ein heiterer Gesang, das kann nur der Chor der märkischen Merkelinnen sein, so liebliches Lispeln von sakralen Kopfpauschalen... Vom Flakturm erschallt Beifall. Die Gespenster haben heute Ausflug. Sie wellen zum Rosengarten hin, wo sie sich für gewöhnlich mit Elfen treffen, heute als kultige Abwechslung eben mit den märkischen Merkelinnen. „DAS kann doch nicht wahr sein!" hört man eines der Mädels aufjauchzen, und schon wird vom Flakturm her zum Zapfenstreich geblasen. Die Gespenster müssen wieder in ihre Vergangenheit zurück, und Ditte wüßte gar zu gerne, wie die eigentlich aussieht. So reißt sie Menschenkind von der Parkbank hoch, mitten aus seinem infernalen Sommernachtstraum, und treibt ihn vor sich her.

„Wir müssen hinauf, auf den Flakturm. Da haben wir den Überblick!"

Brigitte Strutzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
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