Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Museale Philosophie

Michel Foucault im Schwulen Museum


Foto: Knut Hildebrandt

Eine Hommage hat oft einen schalen Beigeschmack, ist sie doch auch Indiz dafür, daß der geehrte Verstorbene im Begriff ist, endgültig in den Kanon einzugehen und immer seltener Anlaß für fruchtbare Meinungsverschiedenheiten und kreative Neuinterpretationen gibt. Über den Historiker und Philosophen der französischen Postmoderne Michel Foucault wird kaum noch gestritten. Das zeigte schon die Frankfurter Foucault-Konferenz vor drei Jahren: Dort ließen die Enkel der Frankfurter Schule – einstmals Hort der schärfsten Kritiker der angeblich subjektivistischen und defätistischen Postmoderne – keine Gelegenheit aus, Foucault als einen der Ihren zu präsentieren. Heute unterliegt kaum noch jemand dem Mißverständnis, seine Thesen verunmöglichten jegliches politische Engagement. Seine Annahme, Macht sei nicht etwas, das im wesentlichen repressiv von oben nach unten wirkt, sondern ein überall aufzufindenes Kräfteverhältnis, wird nur noch selten dahingehend verstanden, daß es keinen Sinn hätte, gegen Unterdrückung und Herrschaft vorzugehen. Auch Foucaults Absage an ein humanistisches Subjekt, dem er unterstellte, die Wesensbestimmungen des Menschen für alle Zeiten festzulegen, wird nicht mehr auf die mißverständliche Formel vom „Tod des Menschen" heruntergebrochen.

Der Umstand, daß Foucault außerdem schwul war und als einer der ersten Prominenten an AIDS starb, beschert ihm nun eine Hommage anläßlich seines 20. Todestages im Schwulen Museum in Kreuzberg. Ein sehr gewagtes Unterfangen, denn wie soll man eine Ausstellung über einen Philosophen präsentieren? Der Kurator Wolfgang Theis hat sich für das Naheliegende entschieden und Collagen verschiedener Texte zusammengetragen. Der größte Teil der Ausstellung ist im wahrsten Sinne des Wortes tapeziert mit Zitaten aus Foucaults Büchern.

Davor finden sich Stellwände mit Texten zu unterschiedlichen Themenkomplexen: Biographisches, Rezeptionsgeschichte, Vorstellungen der Philosophen, an denen sich Foucault abarbeitete – also Freud, Marx und Nietzsche – und Ausführungen über sein politisches Engagement unter anderem in der Reform des Strafrechts, antirassistischen Inititiativen oder Protesten gegen die Todesstrafe. Auch seine Kritiker wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Jean-Luc Godard dürfen unkommentiert zu Wort kommen. Dazwischen als Auflockerung Schaukästen mit seinen Büchern und immer wieder Porträts des nicht gerade hübschen Glatzkopfes, ironisiert durch eine mit seinem Konterfei gepflasterte Säule, die an das Filmplakat von Being John Malkovich erinnert.

Trotz ihrer soliden und differenzierten Aufarbeitung des Foucaultschen Schaffens krankt die Ausstellung an den klassischen Symptomen einer Hommage: Die Zielgruppe sind diejenigen, die ohnehin davon überzeugt sind, daß Foucault eine solche Würdigung verdient, also diejenigen, die so weit mit seinem Werk vertraut sind, daß ihnen die Darbietung kaum etwas Neues bieten kann. Flüchtig nimmt man altbekannte Zitate zur Kenntnis, für ein konzentriertes Studieren wäre ein Buch angebrachter. Wer Foucault nicht kennt, sollte sich an die wöchentlich stattfindende Führung halten.

Um die theoretischen Ansätze Foucaults nicht in Museen einzumotten, mag ein ausgestelltes Zitat von Camille Paglia als Warnung dienen: „Im Gefolge der sechziger Jahre gab es ein Bedürfnis nach Geschichte, aber die Leute an den Universitäten waren nicht bereit, das Notwendige zu tun, um Fächer wie Geschichte und Anthropologie auf Vordermann zu bringen. Statt dessen hieß es: ,Hey, wir brauchen Geschichte! Laßt mal sehen. Oh – da haben wir ja den Foucault!' Wie bei neugeborenen Gänsen: Wenn sie als erstes einen Staubsauger sehen, denken sie, das sei ihre Mutter, und folgen dem Staubsauger. Foucault war der Staubsauger, dem alle folgten." Bleibt zu hoffen, daß wenigsten ab und zu mal der Beutel gewechselt wird.

Susann Sax

> „Michel Foucault. Hommage zum zwanzigsten Todestag" noch bis zum 18. Oktober im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg. Täglich außer Di 14 bis 18 Uhr. Eintritt 5 bzw. 3 Euro. Führungen Mi 19 Uhr

 
 
 
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