Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Letzter Ausweg Obdachlosenasyl

Flüchtlinge mit Duldung müssen jahrelang mittellos in Berlin leben

„Meistens übernachte ich wechselweise bei Freunden in verschiedenen Wohnheimen. Dort kann ich mich aber nie länger aufhalten, weil die Freunde sonst Ärger mit den Hausmeistern bekämen. Einige Nächte habe ich auch im Park auf der Bank geschlafen. Essen und Trinken erhalte ich von der Bahnhofsmission im Bahnhof Zoologischer Garten." So beschreibt der russische Staatsbürger Herr F. seine momentane Lebenssituation in Berlin. Das Bezirksamt Mitte verweigert ihm jegliche Hilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Eine Entscheidung über seinen Widerspruch steht noch aus.

Herr F. ist kein Einzelfall. Mehrere hundert Flüchtlinge mit dem Duldungsstatus leben teilweise jahrelang in Berlin, ohne staatliche Unterstützung, ohne eigene Wohnung und ohne Krankenversicherung. „Wenn nicht Freunde oder Bekannte helfen, bleibt ihnen als letzter Ausweg nur das Obdachlosenasyl, wo sie einige Zeit übernachten können", meint Dieter Müller vom Jesuitischen Flüchtlingsdienst. Die 1989 gegründete Organisation unterstützt in zahlreichen Ländern von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge. Sie leistet auch praktische Hilfe. In ihrem Berliner Büro leben seit mehreren Monaten zwei Flüchtlinge mit Duldungsstatus, die von den Behörden keine Hilfe bekommen.

Die aus der Ukraine stammende Frau B. hat noch Glück. Die Mutter eines kleinen Sohnes wird von Freunden unterstützt. Auch ihr verweigert das Bezirksamt Mitte jegliche Hilfeleistungen. Das Berliner Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung, die Ukrainerin ihrem Schicksal zu überlassen, mit der Begründung, Frau B. habe „substanzarme und widersprüchliche Angaben" zu ihrer Einreise gemacht. Daher könne der Verdacht, sie sei lediglich nach Deutschland gekommen, um hier Sozialhilfe zu beziehen, nicht ausgeräumt werden. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kann dann die Hilfe verweigert werden. Die Beteuerungen von Frau B., sie habe sich in Italien eine neue Existenz als Köchin aufbauen wollen, ihr seien aber in Hamburg von Schleppern Papiere und Bargeld abgenommen worden, wurden ignoriert.

Ein an den Senatsbeauftragten für Integration und Migration Günter Piening gerichtetes Schreiben der christlichen Flüchtlingshilfsorganisation führt eine ganze Reihe ähnlicher Fallbeispiele auf: Demnach erkennen die Bezirksämter zahlreichen Flüchtlingen, die aus der Abschiebehaft entlassen wurden, keine Unterstützung zu. Die Ämter begründen dies damit, daß die Flüchtlinge nicht über eine Duldung verfügen, die das Landeseinwohneramt ausstellt. Eine vom Berliner Polizeipräsidenten ausgestellte Bescheinigung reiche nicht aus. Weiterhin wirft die Flüchtlingsorganisation den Behörden vor, Hilfsanträge der Flüchtlinge unnötig lange liegen zu lassen und nicht zu entscheiden.

Der Integrationsbeauftragte Piening erklärte gegenüber der taz, seine Behörde hätte bisher nicht aktiv werden können, weil die Daten der Betroffenen, die das Schreiben des jesuitischen Flüchtlingsdienstes nennt, anonymisiert seien. Die Flüchtlinge müßten sich direkt an ihn wenden.

Am schärfsten in die Kritik wegen der Weigerung, Flüchtlingen zu helfen, geriet das Bezirksamt Mitte. Ein Sprecher dieses Amtes wies die Vorwürfe als weitgehend ungerechtfertigt zurück. Aus datenrechtlichen Gründen verweigerte er jedoch weitere Auskünfte. Auch Stefan Keßler vom Jesuitischen Flüchtlingsdienst wartet bis heute auf eine Antwort: „Vom Bezirksamt Mitte gab es überhaupt keine Reaktion auf unser Schreiben."

Peter Nowak

 
 
 
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