Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Hühner, Schokolade und Computer

Richtig Konsumieren: Der Bericht des „Worldwatch Institute" zum globalen Konsum

Deutschland – und Berlin sowieso – stecken auch in diesem Jahr wieder einmal tief in der Konsumflaute. Was nichts weiter heißt, als daß hierzulande einfach zu wenig gekauft wird, nicht genug Nachfrage vorhanden ist, um endlich wieder ein anständiges Wirtschaftswachstum und vielleicht – jenseits von Ich-AG und statistischen Neuberechnungen – ein paar neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es muß wieder mehr Geld ausgegeben werden, zum Beispiel für den neuesten Computer mit noch mehr Leistungsfähigkeit. Doch wo bleiben eigentlich all diese Millionen alten Computer, die pro Stück mit ca. zwei bis vier Kilogramm Blei, Phosphor, Barium und Kadmium eine eigene kleine Giftmülldeponie darstellen? Welche Umweltschäden gehen von dem Müll einer weltweit geschätzten halben Milliarde Computer eigentlich aus? Wer sich für solche Dinge interessiert, findet in dem vom „Worldwatch Institute" herausgegebenen Bericht Zur Lage der Welt 2004. Die Welt des Konsums Antworten und weitere zahlreiche wissenswerte Informationen.

Das Buch, das für die Deutschlandausgabe in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem „Germanwatch" entstanden ist, bietet im Gegensatz zur üblichen Berichterstattung über Wirtschaftswachstum und Konsum dem Leser eine andere, unübliche Sichtweise an: Welche ökologischen und sozialen Folgen entstehen eigentlich aus unserem Konsumverhalten? Um den Lesern zu den verschiedenen Themen wie zum Beispiel Wasser, Luftverkehr oder Ernährung grundlegende Informationen zu liefern, wurden längere ­ zum Teil auch recht theoretische ­ Texte verschiedener Autoren in den Bericht aufgenommen. Abwechslung bringen dann die kurzen, oft nur zwei, drei Seiten langen Abschnitte der Rubrik „Hinter den Kulissen". Hier werden kurz und knapp Informationen und Fakten zu von uns konsumierten Produkten wie Hühnern, Schokolade oder auch Computern zusammengetragen. Das ist nicht nur einfach interessant, sondern in dieser Form und Qualität wohl einmalig. Dabei sind nahezu alle Texte und insbesondere die Informationen von „Hinter den Kulissen" angenehm frei von Polemik oder übersteigertem ideologischen Überzeugungsdrang. Überzeugen will man hier mit Qualität bei der Recherche ­ und so sind Quellen- und Literaturangaben im Anhang fast so lang wie die einzelnen Texte. Allein für diese Leistung und Mühen muß den Autoren Respekt gezollt werden.

In der Mehrzahl der Artikel taucht eine gemeinsame Leitidee immer wieder auf, die Ralf Fücks in seinem Artikel „Du darfst ­ aber bitte öko! Von der Konsumkritik zur Verbraucherpolitik" am prägnantesten beschrieben hat: Konsumieren ja, aber bitte mit Hirn! Der Paradigmenwechsel vom Konsumverzicht hin zum „richtigen" Konsum durchzieht fast alle Beiträge und spiegelt einen Wandel wider, der sich in den letzten Jahren in der Öko-Szene bis hin zu den Globalisierungskritikern durchgesetzt hat. Als weitere Beiträge dieser Linie sind Janet L. Sawins „Wie man bessere Energieentscheidungen trifft" oder Sandra Postels und Amy Vickers „Die Wasserproduktivität steigern" zu nennen. Aber mit Michael Renners „Eine weniger konsumorientierte Wirtschaftsordnung" oder Gary Gardners und Erik Assadourians „Das gute Leben neu denken" haben auch Artikel mit systemkritischen Ansätzen im Buch einen Platz gefunden.

Daß am Ende nur „richtig" Konsumieren nicht immer reicht und Ansätze wie „Klimabewußt fliegen" in Dietrich Brockhagens Beitrag durchaus kritisch hinterfragt gehören, wird im Beitrag „Garnelen" deutlich: Der weltweite Garnelenfang-Boom in den letzten Jahren ist mit weitreichenden ökologischen Folgen in den Weltmeeren verbunden. Die ca. zwei Prozent Fangmenge, die die Garnelen vom weltweiten Fischfang insgesamt ausmachen, sind für ein Drittel des weltweiten „Beifangs" – also alles was an Schildkröten, Fischen oder anderen Meerestieren als unrentabel gilt und tot wieder zurück ins Meer geworfen wird – verantwortlich. Das Fazit lautet denn auch, auf das Garnelenessen besser erst einmal ganz zu verzichten.

Dirk Hagen

> Worldwatch Institute (Hg.) in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch: Zur Lage der Welt 2004. Die Welt des Konsums. Verlag Westfälisches Dampfboot. Münster 2004. 19,90 Euro

 
 
 
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