Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Pest statt Cholera

Notlage bei Vivantes nicht ausgestanden

Glaubt man jüngst erschienenen Presseverlautbarungen, dürften die Beschäftigten der Vivantes-Krankenhäuser aufatmen. Noch vor kurzem waren sie vor die Wahl gestellt, entweder drastische Veschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen und Lohnverzicht in Kauf zu nehmen oder die Insolvenz des landeseigenen Konzerns zu riskieren, um sich dann bei einem anderen Privatkonzern auf dieselben Arbeitsplätze – natürlich mit ungünstigeren Verträgen – zu bewerben. (s. scheinschlag 2/04 und 5/04) Jetzt hat der Berliner Senat sich endlich dazu entschlossen, dem Vivantes-Konzern die 230 Millionen Euro Altschulden zu erlassen und die Sanierung voranzutreiben.

Doch in der Arbeitsgruppe „Gesund und munter", die versucht, die Interessen der Angestellten zu bündeln, ist von Triumph nichts zu spüren. Denn die „Finanzspritze" ändert kaum etwas daran, daß der Konzern weiterhin rote Zahlen schreiben wird, sollten nicht die Ausgaben ­ sowohl für die Patienten als auch für das Personal ­ drastisch gesenkt werden. Andernfalls droht wieder die Insolvenz. Die Leute von „Gesund und munter" verstehen ohnehin nicht, warum sie dem Berliner Senat danken sollten, nur weil er die Schulden, die er selbst angehäuft hat, erlassen hat ­ zumal bei der derzeitigen Finanzlage der Krankenhäuser nie mit einer Rückzahlung zu rechnen gewesen wäre. Und die fünf bis zehn Millionen Euro Zinsen, die Vivantes jetzt einsparen kann, reichen nicht ansatzweise aus, dem Haushalt dauerhaft schwarze Zahlen zu bescheren. Der einzige Vorteil: Aufgrund der erhöhten Kreditwürdigkeit kann Vivantes neues Geld bei den Banken leihen und so zumindest versuchen, mit anderen Privatkonzernen ernsthaft zu konkurrieren.

Die Gewerkschaft ver.di und die Betriebsräte haben offenbar längst geschluckt, daß nur ein Lohnverzicht den Konzern vor einer Pleite retten kann, und einen Notlagentarifvertrag auf den Weg gebracht, der Anfang Juli unterzeichnet werden soll. Eine Befragung der Beschäftigten dazu oder gar eine Urabstimmung hält man in der Tarifkommission, die den Vertrag bereits bestätigte, nicht für nötig. So wird bei „Gesund und munter" diskutiert, inwiefern es sinnvoll sein könnte, selbst eine Unterschriftenaktion gegen ihre gewerkschaftlichen Vertreter in Angriff zu nehmen. Ob die resignierten und immer noch um ihre Arbeitsplätze besorgten Beschäftigten – die noch dazu aufgrund ihres Schichtdienstes schwer zu erreichen sind – noch einmal zu Protestaktionen zu bewegen sind, halten selbst die Aktivisten für zweifelhaft.

„Kostenexplosion im Gesundheitsbereich" wird in der Regel als Grund für das bundesweite „Krankenhaussterben" angegeben ­ dabei sind die Ausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt nur geringfügig gestiegen. Das Problem liegt vielmehr darin, daß die Krankenkassen den Kliniken immer weniger Geld zur Verfügung stellen. Schließlich wollen sie ihre Einbußen wettmachen, die durch die Senkung von Lohnnebenkosten und das Ausbleiben von Beiträgen wegen steigender Arbeitslosigkeit entstanden sind. Vielleicht wäre es mal an der Zeit, über die Einnahmen zu sprechen.

Katrin Scharnweber

> Kontakt: gesundundmunter04@yahoogroups.de

 
 
 
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