Ausgabe 06 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Flüchtlinge verschaffen sich Gehör

Hungerstreik auf dem Gendarmenmarkt

Eine Menschenmenge hat sich am Samstag, dem 19. Juni auf dem Gendarmenmarkt auf Decken und Isomatten niedergelassen. Ein ungewöhnlicher Anblick in dem weitläufigen historischen Ensemble, dessen Leere normalerweise nur von einigen wandelnden Touristen gefüllt wird. 54 Frauen und Männer aus Togo haben sich in einen viertägigen Hungerstreik gegen die seit einiger Zeit regelmäßig stattfindenden Abschiebungen in ihr Heimatland begeben. Daß Togo seit 37 Jahren von dem Diktator General Eyadema beherrscht wird und jede Opposition mit scharfen Sanktionen, Inhaftierungen und Folter rechnen muß, ist kein Geheimnis, wird aber bei Staatsbesuchen und im Rahmen der Asylbewilligungen in Deutschland ignoriert.

Der togolesische Oppositionspolitiker Tchedre Abdou Gafar hält eine Rede auf dem Platz. Er spricht davon, was den 18 Togolesen widerfahren ist, die am 26. April in Folge einer Massenabschiebung aus Deutschland per Charterflug in Togo gelandet sind. Sie berichteten, daß sie unter Gewaltanwendung von Mitgliedern des Bundesgrenzschutzes aus dem Flugzeug gezwungen und damit der togolesischen Geheimpolizei ausgeliefert wurden. Nach langen Verhören über ihre politischen Aktivitäten in Togo und Deutschland sind nur diejenigen freigelassen worden, für die ein Mitglied ihrer Familie eingetreten ist. Ihnen wurde angedroht, daß dieses Familienmitglied angegriffen würde, sollten sie sich nicht im Haus der Familie aufhalten, wenn das Militär sie aufsuchen will. Die gleichzeitig abgeschobenen 26 kamerunischen Flüchtlinge erwartete eine ähnliche Situation.

Anlaß für Ort und Zeitpunkt des Protestes ist ein Symposium zum Flüchtlingsschutz des UNHCR, der Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen; diesjähriges Thema der Tagung: „EU-Erweiterung und gemeinsames Schutzsystem". Es geht um die „Harmonisierung" des Asylrechtes innerhalb Europas, die Auslagerung des Problems durch neue „Drittstaaten" außerhalb der neuen Außengrenzen der EU, Mindestnormen-Konzeptionen und Richtlinien. Viele Begriffe, die mit der Lebensrealität von Flüchtlingen im Asylbewerberheim mit Residenzplicht, Arbeits- und Ausbildungsverboten kaum etwas zu tun haben. Zwischendurch stellt sich die Frage, wem das „gemeinsame Schutzsystem" eigentlich zugedacht ist: den Asyl suchenden Menschen oder den Ländern der EU.

Es gibt aber auch Flüchtlinge, die auf der Tagung zu Wort kommen, und Stimmen von Politikern, Kirchenvertretern oder Mitgliedern von Organisationen wie Pro Asyl, die sich sehr explizit zu der menschenunwürdigen Behandlung der Menschen, die nach Deutschland kommen, äußern. Ihre Beiträge werden vom Tagungspublikum mit sehr viel Beifall bedacht.

Nicht immer ganz eindeutig ist, für wen der UNHCR arbeitet: für die Regierungen oder für die Flüchtlinge. Obwohl der UNHCR seit den achtziger Jahren regelmäßig beklagt, daß deutsches Asylrecht der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gerecht wird, sucht die Organisation keine öffentliche Konfrontation mit der Regierung. Passend dazu hält Johannes Rau, der ­ nebenbei bemerkt ­ im Oktober 2000 den Diktator General Eyadema in Deutschland empfing, auf dem Symposium eine Sonntagsrede, die ein wenig die Entscheidungen der Regierung kritisiert, aber gleichzeitig den „Kompromiß" lobt, der im Zuwanderungsgesetz gefunden worden ist.

Diesen Zwiespalt greifen die Hungerstreikenden auf. Tchedre Abdou Gafar: „Wir sind auch hier, um gegen einige Organisationen zu protestieren. Sowohl UNHCR als auch amnesty international haben sich nicht öffentlich zu den Massenabschiebungen nach Togo und Kamerun verhalten. Gleichzeitig sind die Organisationen hier auch unsere Mitstreiter, weil sie hier unsere Belange diskutieren."

Seit einigen Jahren haben Ausländer in Deutschland mit viel Engagement Strukturen geschaffen, um sich selbst zu vertreten, Gehör zu verschaffen und zu schützen. Die Hungerstreikenden sind in der „KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" organisiert, unterstützt werden sie bei dieser Aktion unter anderem von der „Flüchtlingsinitiative Brandenburg". Die Aktion auf dem Gendarmenmarkt mag ein Vorgeschmack sein. Auf Dauer wird die Öffentlichkeit sich der Wahrnehmung der Probleme von Menschen, die hier Asyl suchen ­ ihrem bedrohlichen Status sowohl in Europa als auch in ihren Heimatländern ­ nicht entziehen können. Dafür werden die Flüchtlinge sorgen.

Juliane Westphal

 
 
 
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