Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ich könnte überall wohnen"

Gespräch mit einem Musiker aus Hellersdorf


Foto: Steffen Schuhmann

In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint Marzahn-Hellersdorf zumeist als häßlicher Plattenbaubezirk, weder urban noch angesagt, bewohnt von rechtsradikalen Jugendlichen, Wendeverlierern und Ex-SED-Bonzen. Das ignoriert geflissentlich, was wirklich dort passiert. Etwa, daß es hier eine ziemlich rege Musikszene gibt, die in regelmäßigen Abständen große Open-Air-Veranstaltungen auf die Beine stellt: „Kulturschock", „Rock für links" oder auch die „Rock für'n Heller"-Konzerte, die vom Sonneneck in Hellersdorf organisiert wurden.

Das Sonneneck ist ein ehemaliger Kindergarten, mittlerweile genutzt vom Verein Kids & Co. Das vornehmliche Ziel des von Bezirk und EU geförderten Vereins ist es, Jugendlichen eine „Hilfe beim Start ins Arbeitsleben" zu geben, darüber hinaus möchte man aber auch Möglichkeiten für die Jungs und Mädels schaffen, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Im Sonneneck wurden deshalb drei Proberäume eingerichtet ­ für junge Bands. Die erste Punkrockkapelle zog ein, andere folgten nach. Derzeit proben ca. 20 Punkbands in den Sonneneckräumen, das Durchschnittsalter der Musiker liegt bei Anfang, Mitte 20. Dem Bandprojekt beigesellt: ein Betreuer, der die Schlüsselgewalt hat, er ist verantwortlich für die Wartung von Technik und Instrumenten und ­ nun ja ­ für die Ordnung und Sicherheit. Über dreieinhalb Jahre war ein und derselbe Betreuer für die Bands zuständig, unter seiner Ägide kam es zu den ersten Open-Air-Veranstaltungen, zwei „Rock für'n Heller"-CDs entstanden. Im Januar 2003 wurde die ABM-Stelle für den Betreuer gestrichen und nach Protesten der Jugendlichen, u.a. einer Demonstration, wiedereingeführt. Seitdem wechseln sich auf dem Posten die ABMler ständig ab.

Dr. Kacke (24) ist Skinhead, arbeitet auf dem Bau und spielt Baß bei Toxpack und Soifass und singt bei Wakkelkontakt, drei Punkrockbands, die ihre Proberäume im Sonneneck haben.

Du bist seit Beginn des Bandprojekts im Sonneneck dabei?

Ja, so ziemlich. 1998, kurz nachdem es dort die Proberäume gab, bin ich mit meiner Band hingekommen. Zwei Proberäume gab's damals, unten waren zwei andere Bands, und wir haben oben den Proberaum gekriegt.

Bei den Betreuern eures Projekts herrscht eine relativ hohe Fluktuation. Das ist sicherlich nicht das Ideale ...

Das stimmt. Die sind ja häufig nur ein halbes Jahr da. So wird das Ganze immer nur von einem an den anderen übergeben und gerade so am Leben erhalten. Da macht sich keiner richtig Mühe.

Wie läuft es mit eurem augenblicklichen Betreuer?

Er kümmert sich schon. Er hat das früher ja auch schon gemacht in einem anderen Club. Von daher weiß er, worum es geht. Wir hatten ja auch schon viele dabei, die hatten gar kein Interesse, die wurden da einfach reingesteckt, nach dem Motto: Mach mal! Und die kamen damit gar nicht zurecht, das war gar nicht ihr Ding. Mit dem Ralf ging das, aber die Stelle läuft ja nun auch aus. Aber was dann passiert, weiß ich auch nicht, ob wir das in die eigene Hand nehmen ... Da muß man sich wohl mit der Geschäftsleitung zusammensetzen, ein Konzept erarbeiten ...

Woher kommen die Bands aus dem Sonneneck?

Aus ganz Berlin, aus Ostberlin und auch aus Westberlin. Viele Bands sind gemischt, das hat sich eben gefunden, einer kommt aus dem Ostteil und einer aus dem Westteil.

Du bist mittlerweile in wieviel Bands?

In drei. Das ist zwar manchmal ein bißchen stressig, aber es ist okay. Das ist ja auch das, was mir Spaß macht, was ich machen will. Es gibt auch keine Band, die ich in den Vordergrund stelle, es macht mit jeder Band Spaß.

Wieviel Auftritte hast du im Monat?

Unterschiedlich. Aber im Durchschnitt mit jeder Band so ein bis zwei pro Monat.

Seit wann machst du Musik?

Mit 17 fing das mit der ersten Band an. Und das war dann auch fast das Einzige, was mich noch interessiert hat. Früher hab ich noch Fußball gespielt. Da war ich in einem Verein, als Freizeitkicker, und wir haben ziemlich oft auf Turnieren gespielt, bis vor etwa drei Jahren, da hatte ich nach einem Kreuzbandriß eine Knie-OP, und kurz darauf hat sich der Verein auch aufgelöst. Seitdem hab ich keinen Fußball mehr gespielt, heute hätte ich auch gar nicht mehr die Zeit dafür.

Du bezeichnest dich selbst als Skinhead, sind Musik bzw. Texte deiner Bands von politisch rechten Inhalten beeinflußt?

Nein.

Hattest du jemals Kontakt zur rechten Szene?

Als Piepel, mit 13, durch die Schule, da hatte man viele dabei, die so drauf waren. Da auf dem Dorf, ich komm ja aus Hoppegarten, kannte man nichts anderes. Man ist dann halt mitgelaufen, weil man cool sein wollte, aber man stand nicht wirklich dahinter. Ich war da auch nie richtig fixiert drauf. Und irgendwann hab ich mich gefragt, was mache ich eigentlich hier, was für'n Blödsinn. Dann hab ich mich auch mit dem Skinhead- und Punk-Kult beschäftigt, und da hab ich erstmal kapiert, daß das eigentlich gar nichts zu tun hat mit der rechten Szene.

Was machst du in deiner Freizeit, wenn du nicht gerade im Proberaum stehst oder einen Auftritt hast?

Ich geh auf Konzerte, Punkrockkonzerte. Und dann geh ich auch noch ins Stadion, zum Fußball ...

Du bist Fußballfan?

Ja, ich bin Union-Fan. So mit 17, 18 hat mich mein Bruder mal mit hingenommen, da hat's mir gefallen, ein Kultverein, die Fans sind cool da, seitdem geh ich regelmäßig hin.

Bist du öfters mit den Bandkollegen unterwegs?

Nein, eigentlich macht jeder sein eigenes Ding, da hat jeder seinen eigenen Freundeskreis. Man trifft sich mehr oder weniger nur zur Probe oder auf Konzerten.

Gehst du in Jugendclubs?

Jetzt nicht mehr so. Früher schon, mit 14, 15. Da hatten wir so ein Ding, das war in Hoppegarten das einzige, wo man sich treffen konnte.

Du bist vor einem Jahr nach Hellersdorf gezogen. Warum?

Das hat viel mit dem Sonneneck zu tun. Wegen der drei Bands hab ich ja viele Proben, und da will ich nicht durch die ganze Stadt fahren, um zum Proberaum zu kommen. Und nach Hoppegarten, da hab ich ja noch viele Freunde, ist es ein Katzensprung. Gerade damals kam ich mit meiner Freundin zusammen, die wollte auch nach Hellersdorf, da haben wir uns dort die Wohnung gesucht.

Abgesehen davon: Welche weiteren Vorteile bietet Hellersdorf?

Eigentlich gar keine, der Proberaum ist in der Nähe, das ist das Entscheidende. Ich könnte überall wohnen. Es wär für mich auch kein Problem, in Kreuzberg oder Prenzelberg oder sonstwo zu wohnen, wenn man dort Leute kennt, mit denen man sich abends in der Kneipe treffen kann. Wenn ich nun gar keinen kennen würde irgendwo, wär's natürlich schon ein bißchen doof.

Hast du eine Stammkneipe hier?

Nein. Wir treffen uns eigentlich fast nur im Proberaum, und danach sind wir im Gemeinschaftsraum, wo wir dann was trinken und ein bißchen dusslig quatschen. Das Einzige, wo wir nach der Probe öfter hingehen und ein Bier trinken, ist die Kino-Kiste. Da treffen sich viele aus dem Sonneneck, falls mal gar nichts los ist und man nicht weiß, was man machen soll.

Wohin gehst du sonst noch?

Wie gesagt, wenn wir am Wochende keine Auftritte haben, dann geh ich zu Konzerten, im Prenzelberg in die KvU, ins Tommy-Weissbecker-Haus oder ins SO 36. Und in Hellersdorf im East End sind ja auch öfter Konzerte. Und wenn am Wochenende mal richtig tote Hose ist, dann ruf ich einen Kumpel an, dann treffen wir uns in einer Kneipe.

Wo?

Kommt drauf an, wo wir gerade sind. Eine Zeit lang haben wir uns öfter im Trinkteufel in Kreuzberg getroffen oder auch im Abgedreht in Friedrichshain, da, wo es von der Musik her paßt, ich geh nicht da hin, wo sie den ganzen Abend nur Techno spielen.

Bist du öfters im Westteil der Stadt?

Eher selten. Wenn, dann eigentlich nur wegen Konzerten ... Aber das hat keinen besonderen Hintergrund, ich kenn da einfach kaum Leute.

Marzahn-Hellersdorf hat den Ruf einer rechten Hochburg. Wie denkst du darüber?

Ja, den Ruf hat's. Aber so richtig viel habe ich davon nie mitgekriegt, eigentlich nicht mehr als in jedem anderen Bezirk.

Hattet ihr im Sonneneck Probleme mit Nazi-Skins?

Ja, aber das ist schon zwei, drei Jahre her. Die hatten zu der Zeit am U-Bahnhof, wo wir immer vorbeigehen mußten, um ins Sonneneck zu kommen, ihre Stammkneipe. Und wenn wir abends nach Hause gegangen sind und hatten ein paar Bunthaarige dabei, hat's da ab und zu schon mal geknallt, da gab's dann auch Keilereien. Und dann haben die uns auch immer wieder mal die Scheiben eingeschmissen im Sonneneck. Aber jetzt war schon lange nichts mehr, da war mal eine Zeit lang regelmäßig was, das war, als das mit „Rock für'n Heller" angefangen hat, als wir öfter mal Konzert gemacht haben und die das natürlich auch mitgekriegt haben.

Was für Vorstellungen hast du für deine Zukunft?

Daß ich irgendwann vielleicht mal Geld verdiene mit der Musik, obwohl das in der Szene ein bißchen schwierig ist, da muß man schon sehr gut sein ... Ich glaube, wirklich leben kann man davon nicht. Ich kenne keine Band aus der Szene, die von der Musik leben kann ...

Interview: Getrude Schildbach

 
 
 
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