Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

New Stadtflucht

Kritik am Bau (III): Rummelsburger Reihenhäuser

Bei allem Lob, das das Bürgertum für die Urbanität hat, als Wohnort mag es die Stadt nicht. Laute Straßen, dicht bevölkerte Parks, Nachbarn, denen man beim Streiten zuhört – so etwas findet man als Student oder Young Urban Professional lustig, im fortgeschrittenen Alter hat man es lieber ruhig, „schon der Kinder wegen". Wer es sich aussuchen kann, zieht sich ins Private zurück, baut sich ein Haus im Grünen und zahlt seine Steuern in Rahnsdorf oder Kirchsteigfeld, weswegen Berlin versucht, innerhalb der Stadtgrenzen hübsche, pardon: attraktive Vorstädte auf den Markt zu werfen.

Eines der wenigen halbwegs erfolgreichen Beispiele ist Rummelsburg in Lichtenberg. Früher standen Lagerhallen, ein Betonwerk und ein alter Knast am Spreeufer herum; hier war die Welt zu Ende. Seit 1994 planen Bezirk, Senat und der Entwicklungsträger Wasserstadt GmbH ein Neubauviertel für rund 10000 Menschen.

Schon an der S-Bahn steht allerlei Werbung herum. Entwicklung, Öko, Expo 2000. „Vorne Wellen, hinten Weltstadt", schreibt die Wasserstadt GmbH. Im Netz schwärmt sie von der architektonischen „Perlenkette" an der Rummelsburger Bucht, die „die Berliner" „Smaragd inmitten der Hauptstadt" nennen. Der erste Bauabschnitt ist schon fertig und spielt Stadt. Entlang der Hauptstraße stehen gleichförmige, düster-strenge Blöcke mit sechs Geschossen, zur Spree hin offenen Höfen und einer sehr großzügigen Uferpromenade, die an einen Mittelmeerurlaubshafen erinnert, allerdings nach dem Atomkrieg. Zwischen den Gehwegplatten sprießt das Gras; die Weite und Stille, die in der freien Natur wohl angenehm wären, wirken vor der Kulisse der mächtigen Neubauten gespenstisch.

Ein Stück weiter hat man das Spreeufer renaturiert, die Promenade wird zum Uferweg. Hier beginnt der nächste Bauabschnitt, in dem es idyllischer zugehen soll: viel Grün und ein paar Reihenhäuser, in vier Zeilen mit je sechs bis zwölf Einheiten, jede nur ein paar Meter breit. Auch hier waren die Planer bemüht, Stadt zu simulieren. Die Zeilen bilden, so gut sie können, städtische Kanten und Räume, zwei Altbauten aus der industriellen Zeit werden zu Wohngebäuden umgebaut, sogar zwei neue „Stadtvillen" mit Mietwohnungen gesellte man den Reihenhäusern zu.

Die Wasserstadt GmbH vermeidet das kleinbürgerliche „Reihenhaus" und zieht als Name „Berlin Terrace" vor, ihr „erstes Markenprodukt für den Berliner Immobilienmarkt". Die Terraces haben eine Dachterrasse und stehen in Wassernähe, ansonsten variieren sie stark ­ im Entwicklungsgebiet Spandauer See sind die Typen „Classic", „Plus", „Single" und „Flat" im Angebot, in einigen Zeilen gleicht keine Fassade der anderen. Man achtet auf Variantenreichtum und jene äußerliche Unterscheidbarkeit, die als „Indiviualität" in jedem Marketingkonzept auftaucht.

In Rummelsburg kann man zwischen zwei Typen wählen. Die beiden vorderen Zeilen, zur Promenade hin, werden unter dem Slogan „Citywohnen am Wasser" von der Ziel Unternehmensgruppe vermarktet. Sie kommen noch einigermaßen großstädtisch daher. Das orthogonale Linienmuster, das man in den weißen Putz geritzt hat, scheint die Konstruktion nachzuzeichnen und erinnert entfernt an Plattenbauten. Ansonsten gleichen die Häuser eher Prenzlauer Berger Dachausbau-Maisonettes, mit großen Fensterflächen, Balkonen und erhöhten, terrassenartigen Hintergärten. Zur Straße hin reine Abwehrhaltung: Einen Vorgarten gibt es nicht, stattdessen eine Garageneinfahrt, eine zurückgesetzte Haustür und ein Bullauge, wohl die unbewußte architektonische Interpretation des Themas „Türspion".

Die beiden hinteren, im März fertiggestellten Zeilen heißen „New Rummelsburg". Sie stehen platt auf dem Boden, sind mit Klinkern verkleidet und wirken rustikaler. Um Einzelhäuser zu simulieren, hat man Giebeldächer errichtet und die obligaten Dachterrassen ­ von der Straße nicht sichtbar ­ in die Dachschrägen eingeschnitten. Hier befinden sich die Bullaugen hoch im Giebel und bedeuten: „altes Bürgerhaus mit Speicher unterm Dach". Alles macht einen soliden, ja traditionalistischen Eindruck, die Außengestaltung wirkt fast dörflich. In einigen Einheiten sind die Garagen zu Wohnräumen umfunktioniert, so daß die Einfahrt eine Art Vorgarten bildet; schlichte Zäune markieren die Hintergärten, wie bei den Parzellen einer Schrebergartenkolonie. „New Rummelsburg" ist das Ergebnis einer „Baugruppeninitiative" von privaten Häuslebauern, die mit der Ähnlichkeit zu „holländischen Grachtenhäusern" und zum amerikanischen „new urbanism" wirbt.

Für Architekten ist New Urbanism ein Schimpfwort, jeder weiß, daß die Amis keine Ahnung von Städtebau haben. Aber auch wenn Rummelsburg vom grotesken Kleinstadtimitat amerikanischer Prägung noch weit entfernt ist, ist die Zuordnung nicht dumm: Mittels der Formensprache verkauft man ein stimmiges Image ­ modern, traditionell oder (für den Öko-Kunden) naturnah. In den Siedlungen des Berliner Speckgürtels ist das schon seit Jahren gang und gäbe, die Innenstadt galt dafür bislang als zu vielschichtig und widersprüchlich. Paßt die reine Idylle eines bürgerlichen Vororts in die europäische Stadt, die doch stets zwischen arm und reich, alt und neu, öffentlich und privat vermittelt? Paßt sie gar ins dreckige, postproletarische Berlin?

Hinter der letzen Zeile von „New Rummelsburg" beginnt das freie Feld. Leere, frisch asphaltierte Straßen, Bäume, Lagerhausfundamente, dahinter der alte Knast. Man denkt an Schrottautos, Wagenburgen, Grillparties oder Kinder, die im Gestrüpp ihre Abenteuer erleben, aber es sind nur Jogger zu sehen, Gassigänger und rauchende Mittdreißiger, die zu Hause nicht dürfen. Die Autos stehen bei den Häusern, neu und sauber, die Grillparties finden direkt vor der Küche statt. Und die Kinder sitzen hinter den Fenstern und beäugen mißtrauisch den Fremden mit dem Notizblock.

Einen „Beitrag gegen die Stadtflucht" nennt die Wasserstadt GmbH ihre Reihenhäuser. Eher sind sie ein Teil davon: Stadtflucht in der Stadt.

Johannes Touché

Foto: Knut Hildebrandt

 
 
 
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