Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ausbeutung, selbstgemacht

Tätig Sein: Kunst und Lebenspraxis nach dem Ende der Utopien

Die Unmöglichkeit, scharf zwischen Arbeit und Freizeit trennen zu können, die früher ein „Privileg" der im Kultur-, Medien- oder Wissenschaftsbereich Tätigen war, ist inzwischen gesellschaftlich weit verbreitet. Dies kann als Indiz verstanden werden für einen Wandel des traditionellen Arbeitsbegriffes, der an anderer Stelle im Mißverhältnis zwischen steigender Massenarbeitslosigkeit und den blumigen Versprechungen der Politik, diese zu beseitigen, evident wird. Dem offenkundig strukturell bedingten Mangel an Arbeitsplätzen wird dabei eine zunehmend individualisierte Verantwortung für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt entgegengesetzt. Ein signifikantes Beispiel dafür sind die sogenannten Ich-AGs, bei denen Oppositionen der klassischen Ökonomie außer Kraft gesetzt werden: Zwar scheint ein Ziel erreicht, das zuerst in der künstlerischen Avantgarde der Moderne und später auch in einer linken Kapitalismuskritik formuliert wurde, nämlich fremdbestimmte durch selbstbestimmte Arbeit zu ersetzen, gleichzeitig wird aber damit auch die Fremdausbeutung durch die Selbstausbeutung ersetzt. Das ehemals befreiende Potential dieser Vorstellungen verliert zudem seine Kraft, weil es nun als neue Norm festgesetzt wird.

In Zusammenhang damit steht die derzeit aktuelle Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, die unter dem Titel Tätig Sein historische und zeitgenössische künstlerische Positionen, die das Verhältnis von Arbeit und Freizeit reflektieren, versammelt. Mit „tätig sein" wird dabei versucht, dem sich auflösenden Gegensatz von Arbeit und Freizeit auch begrifflich Rechnung zu tragen, und zwar im doppelten Sinne, denn nicht nur das Nebeneinander, sondern auch die Äquivalenz verschiedener Tätigkeiten soll betont werden.

Beispielhaft läßt sich das an der Arbeit von Petra Maitz zeigen: Aus einem Nebenjob für eine Installation von Rebecca Horn, bei dem u.a. 4000 Gläser zu spülen waren, entstand ihre eigene Arbeit aus einer Toncollage der Spülgeräusche, dabei aufgenommenen Fotos und einem Video. Die Notwendigkeit, sich den Lebensunterhalt durch schnöde Lohnarbeit zu verdienen, wird hier mit der Verwertung ebendieser für ein eigenes künstlerisches Projekt verknüpft. Dabei tritt eine gewisse Problematik zutage, denn auch eine Verwertung in einem positiven Sinne bleibt erst mal dem Zwang zur Verwertung an sich unterworfen.

Ebenfalls Erfahrungen aus einem Nebenjob bilden die Basis bei Peter Piller, der Zeichnungen auf Geschäftspapier angefertigt hat, mit Büroregeln („Kollegialen Berührungen entgehen") oder Kritzeleien, deren Titel dann auf den Lebensbereich außerhalb der Firma anspielt („Letzter Blick morgens in die Straße, bevor ich in die Firma gehe"). Es ist gut vorstellbar, daß diese Art von Zeichnungen z.B. in einer langweiligen Sitzung entstanden sind, wobei auch hier die positive Verwertung einer aus dem ökonomischen Zwang heraus entstandenen Situation gezeigt wird.

In der Videoarbeit von Michaela Schweiger entsteht eine produktive Spannung aus der Verschränkung von einer historischen mit einer aktuellen Perspektive: Sequenzen des Films Themroc, in dem der Protagonist gegen die Zwänge der Arbeitsgesellschaft rebelliert, werden mit Szenen vom Ende der Arbeitsgesellschaft verschränkt, die in der ehemals florierenden sozialistischen Planstadt Hoyerswerda gedreht worden sind. In der letzten Szene strömen die Arbeitswilligen mit den verschiedensten Insignien der Freizeitindustrie zur Schicht, angefangen beim Liegestuhl, über Gießkanne, Angelrute und Volleyball bis hin zum Surfbrett. Eine andere historische Perspektive dazu liefert die Dia-Installation von Allan Sekula vom Anfang der Siebziger, in der gezeigt wird, wie die ArbeiterInnen bei Schichtende die Fabrik verlassen und über eine Treppe hinauf zum Ausgang strömen.

Eine unterhaltsame und gleichzeitig assoziationsreiche Arbeit ist das Video Parken von Asta Gröting: In dem beinahe fünfminütigen Beitrag wird aus der Vogelperspektive der Kampf um ein knappes Gut beschrieben, nämlich einen Parkplatz im städtischen Raum. Dabei werden die verschiedenen Strategien gezeigt, die zum Einsatz kommen, um dieses Ziel zu erreichen und die Konkurrenten leer ausgehen zu lassen. Das läßt sich natürlich auf andere Situationen übertragen, z.B. wenn statt „Parkplatz" „Arbeitsplatz" eingesetzt wird.

Komplettiert wird die Ausstellung durch einen Katalog, der neben einer Dokumentation der Ausstellungsprojekte auch einige theoretische Texte sowie zwei als Inserts bezeichnete zusätzliche Projekte enthält.

Carola Köhler

> Die Ausstellung „Tätig Sein" ist noch bis zum 13. Juni täglich von 12 bis 18.30 Uhr in der Neuen Galerie für Bildende Kunst e.V., Oranienstr. 25, Kreuzberg, zu sehen. Eintritt frei, Katalog 10 Euro

 
 
 
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