Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Die konnten mit mir nichts anfangen"

Ein Film über Extremfälle an der Schauspielschule


Foto: Knut Hildebrandt

Der Dokumentarfilm Die Spielwütigen über vier Schauspielschüler der Ernst-Busch-Schule wurde auf der diesjährigen Berlinale mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet. Am 3. Juni läuft er bundesweit an. scheinschlag sprach mit dem Regisseur Andres Veiel und zwei der Protagonisten, Stephanie Stremler und Prodromos Antoniadis.

Wie ist die Idee für diese Langzeitdokumentation entstanden?

Veiel: Mich haben Leute interessiert, die obsessiv sind, mit einer Unbedingtheit etwas wollen und damit möglicherweise gegen Wände rennen. Die Wahrscheinlichkeit, das bei Schauspielern zu finden, war größer als bei Taxifahrern oder Zahnarzthelfern, da sie die Möglichkeit haben, mir in ihren Rollen Dinge zu zeigen, die ich sonst nur über Umwege sichtbar machen kann. Auf der Bühne ist alles erlaubt, was im Leben verboten ist, das Obszöne, das Traurige, das Verzweifelte.

Warum fiel die Wahl auf die Ernst-Busch-Schule?

Veiel: Die „Ernst Busch" war absolutes Neuland. Von anderen Schauspielschulen kannte ich Leute. Ein anderer Grund war natürlich, daß sie im Osten liegt. Außerdem war sie immer mit dem Etikett „Eliteschule" versehen, was mich besonders gereizt hat. Ich wollte unter diesem Aspekt eine Institution angukken, in die nicht nur schwer reinzukommen ist, sondern wo ich täglich beweisen muß, daß ich dieser Schule würdig bin. Das geht mit einem enormen Druck einher, der Menschen verändert. Sie müssen sich entweder anpassen oder sie werden wie artfremdes Eiweiß irgendwann ausgesondert. Ich weiß noch, als ich damals das erste Mal in diese Schule reinkam, dachte ich, hier ist DDR. Es ist jahrelang nicht gelüftet worden. Da gibt es eine lange Tradition, die auch etwas Preußisches hat. Auf handwerklichem Gebiet sind die Weltniveau, wie man in der DDR gesagt hat. Es kommen Spitzenleute da raus, die im Handstand rückwärts so artikuliert in der Bewegung sprechen können, daß ich in der 35. Reihe alles verstehe. Aber beim ersten Intendantenvorspiel war ich schokkiert, weil von den 27 Leuten, die ich mir angesehen habe, keiner mit Persönlichkeit dabei war.

Letztendlich haben sich dann doch vier Protagonisten gefunden, von denen man das nun wirklich nicht behaupten kann. War es schwer, die herauszufiltern?

Veiel: Es war verdammt schwer. Mein Wunsch war es, Leute mit dieser Obsession, eben Spielwütige zu finden, die auch was zu sagen haben. Es gab einige, die das Talent hatten, aber sobald sie von der Bühne kamen, mich mehr oder weniger gelangweilt haben. Dieses Klischee des Schauspielers als Hohlgefäß, der, sobald die Rolle vorbei ist, auch nicht mehr vorhanden ist, schien zu stimmen.

Warum diese beiden Anwesenden, also Stephanie und Prodromos?

Veiel: Bei Stephanie merkte ich von Anfang, daß sie einen nicht korrumpierbaren, ganz starken Kern hat ­ und was zu sagen. Sie denkt ihre Rollen. Das merkt man z.B. in der Szene, wo es um das Küssen geht, da sagt sie einen Satz wie: „Vielleicht kriegen wir die Rolle besonders gut hin, weil wir es im wahren Leben vermissen." ­ fast ein Satz mit philosophischen Qualitäten. Und Prod war für mich von Anfang an jemand, der dieser Institution etwas entgegensetzen kann. Er ist sozusagen meine Auseinandersetzung mit geschlossenen Institutionen, ist meine Kanone, die mal ein bißchen Sauerstoff reinbringt.

Ihr beide habt euch auf diese Dokumentation eingelassen, ohne zu wissen, was auf euch zukommt. Warum?

Antoniadis: Einfach nur aus Neugier. Zu Beginn des Films konnte man nicht absehen, was es wird, wie lange es dauert, noch, ob es überhaupt wird. Für mich gab es zwei Möglichkeiten: Entweder du fällst voll aufs Maul, und die ganze Welt sieht, was du für einen Mist produzierst. Oder es ist eine Hilfe, hat einen selbstreflektorischen Zweck, und wenn du gute Sachen machst, vielleicht sind sie dann sogar gebannt, was auch nicht stört. Sprich: so eine Art PR-Band. Das Risiko galt es abzuwägen. Aber dazu bin ich einfach zu neugierig, und das erste Treffen mit Andres war zu interessant. Wenn man jemand gegenüber hat, spürt man ja sehr schnell, ob der eine Sensorik hat.

Stremler: Für mich war es eher ein Glück. Mir hat ja niemand zugetraut, daß ich Schauspielerin werde, weder meine Familie noch Freunde. Da habe ich dann Andres getroffen. Er war der Einzige, dem im Ansatz gefallen hat, was ich so mache, und war ein wichtiger Halt für mich. Ich habe ja dann immer noch ein Jahr lang vorgesprochen. Selbst, als ich an der „Ernst Busch" nach der zweiten Runde rausgeflogen bin, war er immer noch an mir interessiert. Daraus ist ja auch eine Freundschaft entstanden. Also, wenn ich Andres nicht getroffen hätte, weiß ich nicht ...

So eine Freundschaft kann ja auch hinderlich sein, wenn es um einen Film geht. Man merkt auch an einer Stelle, daß du keine Lust mehr hattest.

Stremler: Das war keine Frage von Lust oder Unlust. Das war eher ein Punkt, wo Andres so beschäftigt war mit Black Box BRD und er ziemlich viel verpaßt hat von dem, was bei uns passiert ist. Er wollte Sachen nachstellen, die schon eine Zeit her waren, beispielsweise die Sache mit dem Krankenhaus. Da war ich aber schon wieder gesund. Das war so ein Punkt des Erwachens. Ich kam mir selber so manipuliert vor. Das würde ich nicht mal im Theater zulassen, also im Dokumentarfilm auch nicht und fertig.

Gab es eigentlich für die Protagonisten ein Mitspracherecht, was von ihnen im Film zu sehen ist?

Veiel: Natürlich, aber das war nicht einfach. Das sind die natürlichen Interessensgegensätze zwischen Protagonisten und Regisseur. Ich hatte eine bestimmte Erwartungshaltung, wie der Film aufgebaut sein muß. Wenn ich weiß, da schlummert ein Konflikt, und ich habe nur einen Drehtag, dann muß ich mir überlegen, wie ich diesen Konflikt auch dem Zuschauer und mir selbst vermittle. Natürlich ist da die Schwelle zum Mißbrauch ziemlich nahe, weil ich dann sage, Stephanie muß wegen des Unfalls mit Krücken rumlaufen, wo aber der Verband z.B. schon ab ist. Aber natürlich gab es einen permanenten Austausch, was in den Film reinsollte.

Am Ende hatten wir einen Überfluß an Material, was extreme Einschränkung bei bestimmten Themen bedeutet. So habe ich für jeden versucht, sein Thema zu finden. Die Liebe erzählen wir bei Stephanie, bei Karina die Abgrenzung zu den Eltern. Jeder geht mit einem Hauptthema, was sich mehr oder weniger durchzieht, ins Ziel.

Am Anfang hat dich Andres als Kanone bezeichnet, die ein bißchen Sauerstoff in den muffigen „Busch-Laden" bringt. Das war aber nicht dein Ziel, als du da angefangen hast. Hatten deine Probleme ihre Ursache in der DDR-Muffigkeit?

Antoniadis: Absolut, die konnten mit mir nichts anfangen. Die haben mich einstimmig genommen und wollten mich nach einem Jahr einstimmig loswerden. Die wußten nicht, wohin mit mir. Ich mußte viel mehr Arbeit investieren, um die Regeln zu beobachten, da ich wußte, ich muß denen entgegenkommen, damit ich da funktioniere. Ich habe das Handwerk, die Technik gelernt. Mein Spiel wurde sogar von meinen Todfeinden geschätzt. Aber nichtsdestotrotz wurde immer reingehauen, wo es ging, bis zu einem gewissen Punkt. Dann haben sie es aufgegeben. Aber es wäre ein Austausch möglich gewesen, was auch der Schule nicht geschadet hätte, ohne eitel zu sein.

Wie ist das gemeint?

Antoniadis: Die Möglichkeit sich zu entwickeln, verpaßt die „Busch" dadurch, daß sie autistisch daherläuft und denkt, sie hat die Weisheit gepachtet. Sie haben zu viele Scheuklappen, als daß sie wahrnehmen würden, daß die Codes, die Kommunikation sich verändert haben. Die Chance dazu hätten sie dadurch, daß auch Extremfälle wie Steffi oder ich da sind. Ich hab deren Sachen angenommen, das ist nur im Film nicht zu sehen, weil das meine Figur aufweichen würde. Die sprechen sehr oft von Dialektik, was auch hieße, daß man Sachen annimmt von beiden Seiten. Das umgehen die andauernd.

Zurück zum Film. Der letzte Film war ja Black Box BRD. Aber vorher hast du ja schon Balagan gemacht, wo es um eine Schauspieltruppe ging. Trotzdem die Frage, wie paßt ein sehr politischer Film über die RAF zusammen mit einer Doku wie Die Spielwütigen?

Veiel: Das paßt sehr gut zusammen. Die Spielwütigen ist für mich durchaus ein politischer Film, auf der zweiten Ebene allerdings. Black Box ist es unmittelbar, benennt diese zwei Fronten, stellt sie gegenüber, findet Affinitäten. Die Spielwütigen ist für mich auch eine Auseinandersetzung mit dem Elitebegriff, d.h. in diesem Land ist es eben so, daß es ganz wenige nach oben schaffen, daß wir dann noch eine breiten Mittelbau haben und daß der Rest außen vor bleibt. Und ich glaube, daß sich das in den nächsten fünf oder zehn Jahren zuspitzen wird. In diesem Fall ist es eine Schauspielschule, aber das kann man auf jede Wirtschaftsinstitution übertragen. Die Frage ist nicht nur, wer es schafft, sondern unter welchen Voraussetzungen, welcher Preis muß dafür gezahlt werden? Wieviel Einsamkeit nehme ich damit in Kauf?

Zum zweiten die Frage der Eliteinstitution per se, die Art von Auswahlverfahren, wie ändern sich Menschen, wie wird mit Kritik umgegangen? Wie funktioniert das Gesetz zur Erhaltung der Macht in einer geschlossenen Institution, die ich im Gefängnis genauso untersuchen kann wie in einer Sendeanstalt oder eben dieser Schauspielschule. Der spannendste Punkt ist allerdings, daß diese Vier für etwas stehen, was immer seltener geworden ist, nämlich für Menschen mit einer kompromißlosen Unbedingtheit, die ihren eigenen Vorstellungen, ihrer eigenen Obsession folgen. Deswegen ist für mich der Film auch ein sehr mutmachender, weil er zeigt, daß es Menschen gibt, die unbestechlich, unkorrumpierbar diesem Weg folgen und am Ende auch noch Erfolg haben.

Antoniadis: Die Sehnsucht ist da. Das merkt man auch an den Zuschauern. Viele identifizieren sich. So eine Art von Empathie habe ich selten erlebt. Nach dem Film fragten mich oft Leute, wie sie mit ihrem eigenen Leben umgehen sollen. So kam zum Beispiel nach dem Publikumsgespräch ein Banker und fragte, ob er kündigen solle. Es würde ihn so einschneiden. Das kann ich natürlich nicht für ihn entscheiden. Letztendlich habe ich gesagt: Kündige! (lacht)

Den Leuten ist bewußt, daß sie Regeln folgen, die sie selber eigentlich nicht mögen. Aber damit sie weniger Probleme haben, tun sie es. Über den Film dient man plötzlich als Beispiel dafür, daß es gehen kann, daß man sich entscheiden kann für etwas, das nicht gewöhnlich ist. Und wenn der Film den Leuten in irgendeiner Form Mut macht, sie zur Aktion provoziert, das wäre ein immenser Erfolg.

Interview: Ingrid Beerbaum

 
 
 
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