Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

mißwuchs

Auf den Sozialabbau der rot-grünen Regierung, das politische Klima der Reformwut und angebliche Sachzwänge reagieren die Filmemacher Alexander Kleider und Daniela Michel auf ihre Weise. In dem Dokumentarfilm Eiszeit begleiten sie fünf Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen an den sogenannten Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind. Der Film zeigt auch, wie sehr Berlin heute eine in arm und reich geteilte Stadt ist.

> „Eiszeit" von Alexander Kleider und Daniela Michel hat Premiere am 24. Juni um 20 Uhr im Nickelodeon-Kino, Torstr. 216, Mitte, www.mind-change.de

zuwuchs

Nördlich der Torstraße war Berlin einmal zu Ende. Damals gab es auch noch keinen scheinschlag. Für den Nordrand von Mitte hat sich deshalb die Künstlerin Anita Staud, übrigens eine echte Berlinerin, interessiert, dort fotografiert, gesammelt, intensiv recherchiert. Uns hat sie zwar noch nicht gefragt, aber sei's drum. Die Ergebnisse werden in der Emerson Gallery gezeigt, „Collagen, in denen sich gestisch-zeichenhaftes Bildmaterial mit Fotografie und Schrift verbindet".

> „green mile" von Anita Staud von 5. Juni bis 17. Juli in der Emerson Gallery Berlin, Gartenstr. 1, Mitte, Di bis Fr 14 bis 19 Uhr, Sa 12 bis 16 Uhr

nachwuchs

Die Friedrichshainer Galerie Expo 3000, die zwischen 1999 und 2002 bestanden hat, ist beinahe schon legendär. Nach ihrem Ende vagabundierte sie zwischen Wien und Johannesburg. Nun gibt es eine Wiederauferstehung in der Kreuzberger Naunynstraße, als Galerie Expo 3036. Monatlich sollen dort Ausstellungen gezeigt werden, die sich den sozialen Bedingungen am Kottbusser Tor stellen. Den Anfang macht jetzt Oliver Pietsch, der sich in seinen Videos u.a. mit der Drogen- und Alkoholikerszene beschäftigt.

> Galerie Expo 3036, Naunynstr. 31, Kreuzberg

bartwuchs

Erst freut sich die halbe Republik wie toll auf dieses EM-Highlight (Deutschland gegen Holland), doch dann gibt's mal wieder 'ne Klatsche, und der Katzenjammer ist groß. Was tun? Einfach nach dem Spiel zum Bastard schlendern und dort dem Konzert von American Analog Set lauschen: Indie-Gitarren-Pop mit Knister-Elektronik zwischen Stereolab und Yo La Tengo. So hoch können unsere Jungs gar nicht verlieren, daß dieser Abend nicht doch noch nett werden könnte. Und die Crew vom Bastard verspricht, auch erst eine halbe Stunde nach Abpfiff mit dem Konzert zu starten.

> American Analog Set am 15. Juni um 23 Uhr im Bastard, Kastanienallee 7, Prenzlauer Berg

wildwuchs

So, jetzt ist also auch die Volksbühne auf den Wedding gekommen. Die Theatermacher vom Rosa-Luxemburg-Platz wollen dort „Berlins urbansten Bezirk" entdeckt haben und zeigen sich begeistert ob des Wildwuchses und der Resistenz gegen Mitte-Chic. Deshalb gastiert die „Rollende-Road-Schau 2004" von 12. bis 20. Juni auf einer Brachfläche zwischen Reinickendorfer, Wiesen- und Uferstraße. Als Motto hat man einen Slogan der Wohnbau-Moderne geklaut ­ „Licht, Luft, Sonne" ­ und zeigt den wilden Weddingern u.a. René Polleschs Pablo in der Plusfiliale und Wedding-Filme in einem „Pantoffelkino". Außerdem können in einer Änderungsschneiderei mitgebrachte Kleidungsstücke mit Material aus dem Volksbühnen-Fundus veredelt werden.

aufwuchs

Wer das ACUD noch von früher kennt... Nein, so wollen wir gar nicht erst anfangen. Im frisch sanierten Remisengebäude, so lockt die Pressemitteilung, haben Kino, Session Café und Konzertsaal „ihr schickes neues Zuhause gefunden" ­ und kündigt noch „ein paar Schönheitskorrekturen" an. Wer sich daran mit Edding oder Stickern beteiligen will oder einfach nur nachsehen möchte, wie sich Nachtleben und Tagungszentrums-Architektur vertragen, begebe sich zu einer der altbekannten allabendlichen Jam-Sessions oder ins ACUD-Kino. Dort kann man noch zweimal den Film Mittendrin (s. scheinschlag 8/03) sehen, der das Gedeihen und Vergehen der wilden Neunziger abschließend darstellt.

> ACUD, Veteranenstr. 21, Mitte. „Mittendrin" am 1. und 2. Juni um 22 Uhr

zwiewuchs

Als Dirigent zählt Hans Zender zu den raren Streitern für zeitgenössische Musik. Zusammen mit Sylvain Cambreling und Michael Gielen leitet er denn auch das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, das unter den deutschen Orchestern auf die höchste Kompetenz für neue Musik verweisen kann. Und auch seine Sicht auf das klassische Repertoire unterscheidet sich durchaus vom Erwartbaren und Gewohnten. Nun dirigiert Zender zum ersten Mal das Berliner Sinfonie-Orchester. Auf dem Programm stehen neben Bruckners Siebenter auch eigene Kompositionen: die Kalligraphie für Orchester Nr. 1 und die Uraufführung der Kalligraphie Nr. 4.

> Hans Zender und das Berliner Sinfonie-Orchester am 25., 26. und 27. Juni um 20 Uhr im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Mitte

jahreswuchs

Fotografen arbeiten oft in Abhängigkeit, selten haben sie allzu große Spielräume. Ein Glücksfall war für Ralph Hinterkeuser der Auftrag, für eine Ausstellung über „gebaute und nicht gebaute Architektur in Berlin 1990-2000" in der Berlinischen Galerie die entsprechenden Bauten zu fotografieren. In einer Art Selbstversuch, so Hinterkeuser, habe er, ohne Absprache mit den Architekten, versucht herauszuarbeiten, was ihm als der „Geist" des jeweiligen Gebäudes erschienen sei. Aus dem ursprünglichen Ausstellungskontext herausgelöst, hat Hinterkeuser bereits eine kleine Auswahl dieser Bilder in Baku gezeigt, eine größere ist nun in der Galerie Pernkopf zu sehen.

> „berlin bauten. ralph hinterkeuser architekturfotografie", vom 9. Juni bis zum 10. Juli in der Galerie Pernkopf, Pariser Str. 56, Wilmersdorf,
Mi und Do 12 bis 18 Uhr, Fr 13 bis 19 Uhr,
Sa 11 bis 16 Uhr

durchwuchs

Das Theater will näher ran an die Realität, raus aus seiner Black Box. Aber wie? Das vom HAU veranstaltete Projekt X Wohnungen Berlin wagt sich an die Bespielung privater Räume und kann dabei auf Erfahrungen zurückgreifen, die im Ruhrgebiet bei X Wohnungen Duisburg gesammelt wurden. Dort hat Theatermann Matthias Lilienthal etwa bei einer türkischen Familie eine „heile Welt" vorgefunden. In Kreuzberg und Lichtenberg wird ein Parcours mit einer Vielzahl von Mini-Inszenierungen und Installationen eingerichtet, an dem u.a. Fatih Akin, Thomas Arslan, Sebastian Baumgarten und Anna Viebrock beteiligt sind.

> „X Wohnungen Berlin" am 3. und 4. Juni ab 17.30 Uhr und am 5. und 6. Juni ab 15.30 Uhr im 10-Minuten-Takt, Karten nur im Vorverkauf im HAU 2, Hallesches Ufer 32, Kreuzberg

 
 
 
Ausgabe 05 - 2004 © scheinschlag 2004