Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Eine andere Stadt ist möglich

Eine Buchpräsentation bei pro qm

Am 11. Mai fand bei „pro qm", der Fachbuchhandlung für Stadtentwicklung, eine Buchvorstellung statt. Das Besondere daran war die Tatsache, daß zum selben Zeitpunkt in sechs Städten (allerdings nach jeweiliger Ortszeit), dasselbe Buch präsentiert wurde. Diese etwas formale Spielerei ist das Ergebnis der Arbeit eines Netzwerkes, das die Autoren des Buches verbindet. The Contested Metropolis – Six Cities at the Beginning of the 21st Century ist das dritte Buch von INURA (International Network for Urban Research and Action).

INURA wurde 1991 von Aktivisten des Häuserkampfes aus Zürich und Frankfurt am Main auf einer Almhütte gegründet. Ziel des Netzwerkes ist es, Action und Research zu verbinden, sprich, nicht nur zu reflektieren, zu forschen und zu fabulieren, sondern auch zu handeln. Über die 20 Gründer hinaus schlossen sich bis heute ca. 160 Mitglieder dem weltweiten Netzwerk an. In 15 Städten gibt es INURA-Büros. Die Mitglieder des Netzwerkes arbeiten in der Stadtverwaltung, in der Forschung oder in Projekten. Sie sind von Beruf Politologen, Geographen, Soziologen, Filmemacher oder Stadtplaner. Es verbindet sie die Frage nach dem alltäglichen Funktionieren der Stadt. Sie fühlen sich als Aktivisten in städtischen und neuen sozialen Bewegungen oder sympathisieren mit ihnen. So wurden z.B. leerstehende Häuser in der Pariser Innenstadt besetzt, um sie Migranten aus Afrika zu überlassen.

Jährlich organisiert das Netzwerk eine Konferenz in einer der Städte, in der es Mitglieder von INURA gibt. Diese zeigen die Stadt aus einer speziellen Perspektive. Das Gesehene wird vor dem Hintergrund der jeweiligen lokalen Erfahrungen diskutiert, mit anderen Städten verglichen, laufende Forschungsvorhaben werden zur Verallgemeinerung herangezogen, Interventionen überlegt. So auch im letzten Sommer, als die Berliner INURA-Gruppe ihre Stadt unter dem Motto „Border City" zeigte.

Die ersten sechs Konferenzen waren erwartungsgemäß westeuropakonzentriert. In den letzten Jahren erreichte INURA jedoch auch Hongkong und Städte in Südafrika, Brasilien und Südkorea. Südafrika hat erst im letzten Jahr an der Berliner Konferenz teilgenommen. Der Nord-Süd-Konflikt spiegelt sich auch in der Struktur von INURA wider. Das Netzwerk ringt außerdem um Mitglieder aus Osteuropa. In diesem Sommer wird die INURA-Konferenz in Amsterdam stattfinden und im darauffolgenden Jahr in Porto Alegre, bewußt kurz vor dem Weltsozialforum.

Das Buch The Contested Metropolis, berlin bruxelles/brussel firenze london toronto zürich beschreibt sechs mehr oder weniger wohlhabende westliche Metropolen, die für Erfolg im internationalen Handel, in der Finanzwelt oder im Tourismus stehen. Pro Stadt gibt es fünf bis sieben Beiträge von unterschiedlichen Autoren. Sie beschäftigen sich mit Fragen wie: Was steht hinter stereotypen Bildern von Orten? Wer profitiert von neuen Entwicklungen in den Städten? Wo und wie leben die, die den wirtschaftlichen Erfolg ermöglichen, aber nicht an den Gewinnen partizipieren? Welche Akteure versuchen den urbanen Raum so zu verändern, daß das Leben komplexer und vielfältiger wird?

Verschiedene kritische Akteure und alternative Projekte aus den sechs Städten werden vorgestellt. Die Autoren ­ die die sozialen Bewegungen nicht nur von außen betrachten, sondern meist in ihnen aktiv sind ­ beschreiben, wie der urbane Raum genutzt werden kann, so daß er den Bedürfnissen der Bewohner entspricht.

In Florenz werden die Rebellen des marginalisierten Widerstandes beschrieben, in London die neue Stadtregierung, die sich für die unterschiedlichen Minderheiten einsetzt, aber auch das wettbewerbsbedingte Wachstum der Stadt kritisch betrachtet. Toronto wird in seiner multikulturell-ethnischen Vielfalt analysiert, als die andere Seite des Luxus. Zürich möchte gern eine Global City werden, und in Brüssel zeigt man, wer den Preis für die fragmentierte Stadt zahlt ­ und Berlin? Berlin: from metropoLust to metropoLost.

Es ist keine sinnliche Reise durch urbane Subkulturen, kein Theoriemodell zur Stadtentwicklung, aber es ist dennoch auch beides enthalten. Das Buch zeigt einen Querschnitt aus dem Netzwerk. Die Beiträge sind so unterschiedlich wie die Städte und die Autoren selbst. Fragen bleiben für den Leser offen. INURA will keine fertigen Lösungen anbieten. Aber in der Auswahl der Themen und in der speziellen Sicht auf die Dinge, offenbart sich die Haltung von INURA, das was vereint, was das Netzwerk ausmacht. Es geht um die Auswirkungen globaler Ökonomien auf sozialräumliche Strukturen, Fragen der sozialen Polarisierung und ihrer räumlichen Fragmentierung, der Beschreibung von urbanen und sozialen Gefügen und darum, was Initiativen tun.

Das Buch beleuchtet die Prozesse, die hinter aktuellen Konflikten liegen, es beschreibt, wie Widerstand organisiert wird, ohne Feindbilder zu benutzen und wie städtische Räume angeeignet werden. Es geht letztendlich auch darum, unter welchen Bedingungen aus einem Partikularinteresse ein politischer Anspruch auf Mitbestimmung und Macht entsteht.

Karin Baumert

> INURA (Hg.), The Contested Metropolis – Six Cities at the Beginning of the 21st Century, Birkhäuser Verlag, Berlin 2004. 51,36 Euro.

 
 
 
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