Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Satire, Unsinn, Wirtschaftskrimi

Cross Border Leasing: Deutsche Kommunen als Rechtsbrecher und nützliche Idioten

In den überregionalen Medien ist so gut wie nie die Rede von den dubiosen Transaktionen, die Regionalpresse wird nur dann aufmerksam, wenn die Verträge im letzten Moment platzen. Meist unterzeichnen die Kämmerer aber brav die 1800seitigen, englischsprachigen Verträge, die sie niemals gelesen haben und mit denen sie kommunales Eigentum – Kläranlagen, Kanalnetze, Krankenhäuser – an amerikanische Investoren verkaufen, um es dann gleich wieder zurückzumieten. Die Arrangeure der international agierenden Leasingfirmen haben ihnen zuvor eingeredet, das sei alles unbedenklich, und ein paar Millionen versprochen.

Kein Wunder, daß die Verantwortlichen die Öffentlichkeit scheuen. Denn man muß kein Wirtschaftsfachmann sein, um die Verträge, die mit anonymen US-amerikanischen Trusts und Briefkastenfirmen auf den Cayman Islands abgeschlossen werden, zu beargwöhnen. Es ist das große Verdienst des Kölner Publizisten Werner Rügemer, mit seinen beharrlichen Recherchen Licht in dieses Dunkel wirtschaftskrimineller Machenschaften und politischer Verantwortungslosigkeit gebracht zu haben. In seinem Buch legt er nicht nur akribisch dar, wie Cross Border Leasing funktioniert, sondern rückt dieses Phänomen in den Kontext der grassierenden Enteignung der Städte, beschreibt es als „erneute Ration eines Giftes, das die öffentliche Daseinsvorsorge, die Demokratie und den Sozialstaat bereits gelähmt und anscheinend unheilbar krank gemacht hat". Als WDR und DeutschlandRadio Ende 2001 Rügemers Feature 100 Jahre wie ein Tag ­ die heimliche Globalisierung der Städte ausstrahlten, zeigten sich viele Hörer unsicher, ob es sich beim sogenannten Cross Border Leasing um Satire oder Realität handele; so einen Unsinn könne es doch gar nicht geben. Es gibt ihn doch. Seit 1995 wurden in Deutschland ca. 150 Cross-Border-Verträge abgeschlossen; in Berlin ist u.a. ­ wen wundert's ­ die BVG dabei.

Cross Border Leasing funktioniert, kurz gesagt, so: Öffentliches Eigentum wird an einen Investor verkauft und gleichzeitig zurückgemietet. Von dem Steuervorteil gibt der Investor vier bis fünf Prozent an den deutschen Vertragspartner ab. Das ist nicht viel, aber deshalb verlockend, weil dieser „Barwertvorteil" sofort ausgezahlt wird und kurzfristig Löcher im Budget gestopft werden können. Allerdings haben diese Verträge eine Laufzeit von 100 Jahren. Nach 30 Jahren ­ und nicht früher ­ hat die Stadt die Möglichkeit zu kündigen, andernfalls gehört der Besitz endgültig dem Investor. Der deutschen Öffentlichkeit gegenüber wird so getan, als würde der Besitz gar nicht an den Investor gehen. Das ist, wie Rügemer zeigt, falsch. Nicht umsonst legten die Amerikaner nach Vertragsabschluß Wert darauf, daß Schilder in den Mannheimer Straßenbahnen auf den neuen Besitzer hinwiesen; man hat sie dann an unauffälligen Orten angebracht.

Laut Vertrag verpflichten sich die Kommunen dazu, die betreffenden Objekte über Jahrzehnte zu erhalten und keine Veränderungen vorzunehmen, etwa Messehallen zu verkleinern, denn das würde ja den Wert schmälern. Warum die US-Finanzbehörden nichts gegen die Steuerhinterziehungen mit dem fiktiven Leasing-Kapital unternehmen? Die Leasing-Mafia ist eine derart starke Lobby, daß sie die Gesetze diktieren kann. Und warum die bankrotten Kommunen für die US-Investoren so beliebte Vertragspartner sind? Einfach deshalb, weil sie niemals wirklich und endgültig pleite gehen können. Für die global player des Finanzdienstleistungsgewerbes sind die Repräsentanten deutscher Kommunen nützliche Idioten, die systematisch hinters Licht geführt werden. Hinter vorgehaltener Hand geben die Vertreter der Leasingbranche sogar zu, daß sich diese Verträge für die Städte eigentlich nicht lohnen.

Freilich sind nicht alle Länder und Kommunen so naiv. In den Niederlanden, dem einstigen Vorreiter des Cross Border Leasing, ist man mittlerweile wieder davon abgekommen, in Großbritannien ist noch kein einziger Vertrag zustandegekommen. Hier und da regen sich auch in Deutschland Bürgerproteste. So hat Rügemer sein Buch den Bürgern von Kulmbach gewidmet, die erstmals durch einen Bürgerentscheid ein Cross Border Leasing verhinderten. In Berlin wünschte man sich solche Bürger auch.

Florian Neuner

> Werner Rügemer: „Cross Border Leasing. Ein Lehrstück zur globalen Enteignung der Städte", Westfälisches Dampfboot, Münster 2004. 19,90 Euro

 
 
 
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