Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die unbequeme Kuratorin

Adrienne Goehler ist ein Mensch, der Sätze sagt wie: „Das Strukturdreieck Politik – Wirtschaft – Gewerkschaft repräsentiert immer weniger die Arbeits- und Lebenswelten der Bevölkerung." Sie will ausgerechnet diejenigen, die aus diesem Koordinatensystem herausgefallen sind, aktivieren, um Lösungswege aus der gesellschaftlichen Krise zu finden. Berlin wollte sie in diesem Sinne „zum nationalen Erkundungsfeld für den Umbau der Gesellschaft ausrufen". Dazu forderte sie Mut zum Experiment.

Goehler ist seit 2002 Kuratorin im Hauptstadtkulturfonds. Vor kurzem ist ihr das Recht entzogen worden, mitabzustimmen, welche Projekte der Fonds fördert. Ob das mit politischer Unbequemlichkeit zu tun hat? Die Kulturstaatsministerin Christina Weiss, die mit drei anderen noch abstimmen darf, behauptet: nein.

Als streitbar galt Goehler schon als frühere Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule, wo sie sich hartnäckig nicht mobben lassen wollte. Als sie Hamburg verließ, um in Berlin Kultursenatorin zu werden, veröffentlichte der „Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen" eine niedliche Presseerklärung, in der er flehte, Goehler, die erklärte Querulantin, habe doch bereits in Hamburg die Kunsthochschule in Schutt und Asche gelegt ­ sie solle Berlin verschonen.

Goehler verschonte Berlin nicht und ging zum Hauptstadtkulturfonds. Dieser ist eingerichet worden, um Kunst- und Kulturprojekte zu fördern, die über Berlin hinaus ausstrahlen oder besonders innovativ sind, die nicht kommerziell sind und nicht im üblichen Kulturbetrieb realisiert werden können. Dafür fließen jährlich zehn Millionen Euro. Goehler setzte sich dafür ein, das Geld in Vorhaben zu lenken, die tatsächlich unkonventionell und auf die Mittel angewiesen sind. In der Tat unterstützt der Hauptstadtkulturfonds eine eigenartige Melange von Projekten. So, als habe man sich nicht einigen können, ob es in erster Linie um „innovativ" gehen soll oder ob der Bund mit dem Geld große, konventionelle Kulturereignisse finanzieren will. So fördert der Fonds einerseits Filmvorführungen von A-Clip, die Transmediale oder Veranstaltungen im Bethanien. Andererseits fallen Posten ins Auge wie „Kulturveranstaltung des Bundes: die Berliner Festspiele." Und man darf sich fragen, ob diese herausragend innovativ sind oder nicht anders verwirklicht werden könnten.

Goehler, die sich im Hauptstadtkulturfonds u.a. für die umstrittene „Zwischen Palast Nutzung" einsetzte, geriet bald unter Beschuß. 2003 fiel ihr die geplante RAF-Ausstellung auf die Füße, für die der Fonds 100000 Euro bewilligt hatte. Im Entscheidungsgremium saßen seinerzeit Goehler als Kuratorin, zwei Berliner Kulturpolitiker und zwei Vertreter der Bundeskulturpolitik ­ unter anderem Kulturstaatsministerin Weiss. Die Berliner hatten also die Möglichkeit, die Vertreter des Bundes zu überstimmen. Als die Ausstellung zum Politikum wurde und Christina Weiss sich von dem Vorhaben distanzierte, hätte das unangenehm werden können. Denn Goehler ließ sich nicht korrumpieren und verteidigte das Projekt. Die Sache löste sich „von selbst", als die KunstWerke ihren Antrag zurückzogen.

Jetzt wurde das Entscheidungsgremium, ein gemeinsamer Ausschuß von Bund und Berlin „zur Erörterung von Fragen der Kulturpolitik" so umgeformt, daß die unbequeme Kuratorin kein Stimmrecht mehr hat. Darüberhinaus ist das Amt der Kuratorin künftig auf zwei Jahre befristet.

Ministerin Weiss bezeichnet dies als reinen administrativen Akt. Goehler sei als Vorsitzende der Jury für die künstlerische Seite kompetent. Die vier jetzt noch Entscheidungsberechtigten seien die politische Instanz. Daher habe man sich jetzt entschieden, die Ebenen zu trennen. „Eine bewußte Entmachtung", urteilt dagegen die Kultursprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Alice Ströver. Man habe Goehler vorgeworfen, zu viele kleinteilige Projekte favorisiert zu haben. Ströver sieht das Prinzip der Staatsferne in der Kulturförderung in Frage gestellt. Sie sieht schlechte Zeiten für ungebürstete Kunst in der Hauptstadt. Schlechte Zeiten für Goehlers Experiment.

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