Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Kinder von Prenzlauer Berg

Im Szene-Bezirk gedeiht unerwartet engagierter HipHop

Sie kommen aus Weil am Rhein, Köln oder Hannover ­ wittern das große Geld, den großen Reibach in der Großstadt...

Sie setzen Leute vor die Tür, stellen das Gas ab, machen die Gasag dafür verantwortlich, verlangen Wuchermieten für kürzlich Renoviertes.

Aus dem Song „Kiezfieber"

Im Feuerschein weht eine rote Fahne, undeutlich sind die Silhouetten von wohl meist jungen Menschen zu sehen. Dieses Foto könnte während eines Vormai-Events im Berliner Mauerpark entstanden sein. Es ist auf der Homepage von „Funkviertel" zu sehen, eines ungewöhnlichen Künstlerprojekts. Junge Musiker und DJs, meist aus dem HipHop-Bereich, haben sich dort zusammengetan. Viele ihrer Songs kennzeichnet ein gnadenloser Realismus und eine Sozialkritik ohne moralinsaure Larmoyanz.

Sie singen über den Stadtteil Prenzlauer Berg. Doch es ist für sie nicht, wie unschwer am Eingangszitat erkennbar, der Stadtteil der Neuen Mitte. Es ist der Kiez, in dem sie geboren und aufgewachsen sind. Dort haben sie als Kinder das Ende der DDR erlebt. Ihre ersten politischen Erfahrungen machten sie in den alternativen Nischen, die sich Menschen in der Nachwendezeit schufen. Die meisten dieser Freiräume überlebten die neunziger Jahre nicht. Wer erinnert sich noch an die Punkkneipen rund um den Kollwitzplatz? Der spielte im Leben der Jugendlichen eine große Rolle, als Abenteuerspielplatz und als Experimentierfeld für die Politisierung. Schließlich tobten am Kollwitzplatz Mitte der Neunziger immer wieder Kämpfchen. Es ging meistens um das Recht, ein Feuer auf dem Platz zu machen oder Hunde frei laufen zu lassen. Keine große Politik zunächst. Aber als am 30.April 1996 eine Walpurgisnachtfeier von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurde, entbrannte eine stundenlange Schlacht mit der Polizei. Autonome aus dem Westen Berlins versuchten in den folgenden Jahren an diese Auseinandersetzungen nicht ganz erfolglos anzuknüpfen. Die Kinder vom Kollwitzplatz beteiligten sich fortan nicht allein in Prenzlauer Berg an Demonstrationen. Schließlich war der Kampf um den Kollwitzplatz Ende der neunziger Jahre endgültig geschlagen. Die letzte Punkerkneipe im ehemals besetzten Haus mußte schließen. Die letzten Nachwehen der Auseinandersetzungen gab es vor fünf Jahren, als es an lauen Sommerabenden auf dem Platz zu größeren Ansammlungen von Jugendlichen kam, die politische Parolen gegen Yuppies und reiche Touristen riefen. Doch spätestens in den Sommerferien hatte auch diese letzte Protestwelle sich verlaufen.

Der Mauerpark war fortan die große postmoderne Spielwiese, wo an späten Nachmittagen die Yuppies mit ihren Laptops und die Punks friedlich auf einer Wiese saßen. Mit dem Unterschied: Der eine geht anschließend in seine restaurierte Altbauwohnung, während der andere vor Kaiser's um ein paar Cents bettelt. Diese Kämpfe und Auseinandersetzungen prägten die Musiker von Funkviertel. Neben sozialer Anklage wird auch beschrieben, wie sie und ihre Freunde in der neuen Zeit versuchen, klar zu kommen. Die Lebensentwürfe pendeln zwischen Studium, Zivildienst, einem Job in den Niederungen der New Economy, dem Abhängen in angesagten Clubs und der Jagd nach der außergewöhnlichsten Party.

Funkviertel ist ein Sprachrohr der Kinder von Prenzlauer Berg, deren Perspektive noch ungewiß ist. Ein Karrieresprung ist nicht ausgeschlossen. Schon heißt es in einer Musikzeitschrift: „Wenn wir in Zukunft an Rap aus Berlin denken, denken wir nicht mehr nur an die harten Burschen aus dem Westen, sondern auch an ehrliche Burschen aus dem Osten – die Innercity Kinder". Ob ihnen diese Perspektive zu wünschen ist?

Peter Nowak

> Informationen über das Projekt Funkviertel unter www.funkviertel.de
Dort können auch Musikstücke heruntergeladen und Konzerte gebuchtwerden.

 
 
 
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