Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Jenseits von Stalinallee und Plattenbau

Ostmoderne: ein vergessenes Kapitel der jüngeren Architekturgeschichte

Foto: IRS Erkner

Ist vom Wiederaufbau der deutschen Städte in der Nachkriegszeit die Rede, wird häufig ausgeblendet, daß die zerstörten Stadtlandschaften in Ost und West stadtplanerisch auch eine Chance darstellten. Anstatt sich nur der Rekonstruktion dessen, was war, zu widmen, ließen sich die Trümmerfelder auch als eine Art Tabula rasa begreifen, von der ausgehend ganz neue Stadtentwürfe verwirklicht werden konnten. Jedoch assoziieren viele mit der insbesondere zwischen 1945 und 1965 entstandenen Architektur häufig den Mangel, indem sie unterstellen, sie sei sowohl materiell als auch konzeptionell aus der Not heraus geboren – die Bilder abgehärmter Trümmerfrauen dürften dazu ihren Teil beigetragen haben. Dieses Vorurteil verhindert oft die Wahrnehmung der formalen und ästhetischen Qualitäten dieser Nachkriegsarchitektur, die in der Tradition der klassischen Moderne steht.

Daß es dabei unterschiedliche Ausformungen in Ost- und Westdeutschland gegeben hat, erscheint nachvollziehbar. Daß es aber gerade auch im Ostteil Berlins über die national-monumentalen Bauten der Stalinallee hinaus und zeitlich vor der Bevorzugung von Plattenbauten viele Beispiele gibt, die sich als spezifisch ostdeutsche Beiträge zur Nachkriegsmoderne verstehen lassen, ist weniger bekannt. So arbeiteten z.B. bis 1951 in dem im Ostteil der Stadt angesiedelten Institut für Bauwesen den Traditionen des Bauhauses und des Neuen Bauens verpflichtete Architekten und Stadtplaner wie Hans Scharoun und Otto Haesler an alternativen stadtplanerischen Entwürfen, als deren praktische Umsetzung z.B. das Siedlungsprojekt der „Wohnzelle Friedrichshain" angesehen werden kann.

Während international das Interesse an diesem Kapitel der deutschen Architekturgeschichte wächst, ist der Umgang der Lokalpolitik von Desinteresse bis Abwehr geprägt, was die Gefährdung der Gebäude durch Verwahrlosung und Abriß bedeutet. Nun hängt ein öffentliches Bewußtsein dafür, daß etwas erhaltenswert ist, auch damit zusammen, daß die Dinge mehr als einem kleinen Kreis von Kennern bekannt sind. Doch gerade, was die Nachkriegsmoderne im Ostteil Berlins betrifft, sieht es da häufig schlecht aus. Hier das kollektive Gedächtnis zu bereichern und auf diese Art das öffentliche Bewußtsein zu sensibilisieren, hat sich eine Ausstellung zum Ziel gesetzt, die vom Deutschen Werkbund Berlin unter dem Titel Ostmoderne. Bauten in Berlin 1945-1965 ab 12. Mai im Foyer der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität, auch als Kommode bekannt, gezeigt wird.

Die Kuratoren der Ausstellung, Ulrich Hartung und Andreas Butter, haben in über zweijähriger Vorbereitung reichhaltiges Material zusammengetragen und ein Konzept erarbeitet, das den Zeitraum von 1945 bis 1965 in drei Abschnitte gliedert: Gelten die Jahre 1945-51 und 1956-65 als eigentliche Perioden, in denen die „Ostmoderne" den Anschluß an die Moderne und den „International Style" bewahrte, so sind die Jahre 1951-1956 stärker von nationalen Tendenzen geprägt und eher als eine Art Zwischenphase anzusehen. Jeder dieser Abschnitte ist mit Beispielen markanter Gebäude vertreten, wobei neben heute allgemein bekannten Objekten, wie z.B. dem Café Moskau oder dem „Tränenpalast" am Bahnhof Friedrichstraße, der überwiegende Teil der Bauten in den gängigen Architekturführern bisher nicht erwähnt ist. Die einzelnen Objekte werden mit historischen Fotos des Originalzustands vorgestellt, von denen die meisten zum ersten Mal öffentlich gezeigt werden. Daneben gibt es Bemerkungen zum kulturellen Kontext, Lagepläne und Fotos, die den heutigen Zustand dokumentieren. Es soll außerdem ein Katalog erscheinen, der neben dem Ausstellungsmaterial einige weiterführende Essays enthält.

Mit der Ausstellung, gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds und die Stiftung Preußische Seehandlung, soll zum einen ein breites, repräsentatives Spektrum der ostdeutschen Nachkriegsmoderne vorgestellt werden, zum anderen aber auch ein Zeichen gegen die Gefährdung durch eine kurzsichtige Baupolitik gesetzt werden, die hofft, sich eines Teils der deutschen Geschichte durch die Tilgung ihrer Architektur entledigen zu können. Daß ausgerechnet diese Ausstellung nun in der Kommode zu sehen ist, läßt sich vielleicht ja auch als feinsinniger Kommentar zur „kritischen Rekonstruktion" ansehen, denn schließlich befindet man sich da im Herzstück des Fridericianums, das als historische Schicht der Berliner Architektur eine weit höhere Reputation genießt als die vielgeschmähte Nachkriegsmoderne. Eine gute Gelegenheit also, um sich zu überzeugen, daß es wenig sinnvoll ist, historische Zeugnisse gegeneinander auszuspielen und daß das Setzen historischer Bezugspunkte selten ideologiefrei ist.

Carola Köhler

> „Ostmoderne. Bauten in Berlin 1945-65", vom 12. Mai bis zum 10. Juni im Foyer der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität am Bebelplatz, Mitte, Mo bis Fr 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei, Katalog ca. 20 Euro

 
 
 
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