Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

ausdiskutieren

Doch, es gibt ihn tatsächlich noch: den Torpedokäfer ­ die Kneipe, die den Literatur-Azubis und -Groupies in den Neunzigern von Gazetten jeglicher Couleur als Insidertip ans Herz gelegt wurde. Die Zeit der Heimsuchung durch neugierige Szenegänger liegt nun schon etwas zurück. Jetzt feiert die Kneipe ihr zehnjähriges Bestehen mit einer Veranstaltungsreihe, in der wieder einmal die üblichen Verdächtigen (Papenfuß, Wawerzinek, Kempe usw.) auftreten. Besonders zu empfehlen die Veranstaltung am 12. Mai: „Streit in der Kneipe! Texte zum Torpedokäfer".

> Torpedokäfer-Aktivwoche, vom 11. bis 16. Mai, jeweils ab 20 Uhr, Dunckerstr. 69, Prenzlauer Berg

ausschreiben

Das Kulturamt im Bezirksamt Mitte verteilt Geld: Insgesamt 25000 Euro werden für Projekte ausgegeben, die zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezemder im Bezirk Mitte begonnen werden. Beantragt werden können höchstens 2500 Euro. Die Projekte sollten „den besonderen Erfordernissen im Bezirk Mitte zur Integration unterschiedlicher kultureller Herkunftskontexte" Rechnung tragen. Gerne gesehen wird die Einbeziehung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, denen eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und Stadtraum ermöglicht werden soll. Bis zum 10. Mai müssen die Anträge in 10-facher Ausfertigung im Kulturbüro abgegeben oder dorthin geschickt werden. Dort sind auch die Antragsformulare erhältlich. Antragssteller können sich auch im Kulturbüro vorher von Dolly Leupold beraten lassen.

> Anträge an das Kulturbüro des Kulturamts Mitte, Auguststr. 21, 10117 Berlin, www.Kulturamt-Mitte.de, Dolly Leupold ist zur Vereinbarung von Beratungsterminen erreichbar unter fon 28884442

auslüften

Der politische Teil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem der Regierung vom Großkapital mitgeteilt zu werden pflegt, was sie zu tun hat, ist ein recht freudloses Druckerzeugnis. Einsame Lichtblicke sind da die Zeichnungen des aus Titanic-Zusammenhängen stammenden Zeichen-Duos Greser & Lenz, die sich weit über das erheben, was üblicherweise unter politischen Karikaturen verstanden wird. Achim Greser und Heribert Lenz muten den FAZ-Lesern keine Politiker-Fratzen zu, sondern führen ins Irrsinnige übersteigerte alltägliche Situationen vor.

> „Aufstand der Anständigen. Witze für Deutschland" von Achim Greser und Heribert Lenz, noch bis zum 16. Mai in der Cartoonfabrik, Auguststr. 83, Mitte

aussitzen

Mal wieder im Sitzen zuhören. Ganz entspannt auf dem Sitz angekettet, mit Zangen die Augen offen gehalten und regelmäßig Augentropfen. Dazu werden Pillen gegen letzte Widerstände gereicht. Wen peacige Anti-Kriegsdemos und Sonntagsgebete einfach nicht friedlich stimmen, dem sei die Neurologische Praxis von Xiu Xiu empfohlen. Kreuzte man gedanklich den Aphex Twin mit den Tindersticks, oder ­ für die Veteranen ­ Roxy Music mit Joy Division, so erhielte man schon mal einen ungefähren Eindruck des Klangspielraums von Xiu Xiu. Das neue Album heißt Fabulous Muscles (Tomlab) und enthält Ohrwürmer, die nicht mitzusingen sind ­ es sei denn, man marschierte dabei auf ein idyllisches irakisches Städtchen zu... do you love the valley, oh!?

> Xiu Xiu + Squares on both sides am 18. Mai um 21 Uhr im Bastard/Prater, Kastanienallee 7, Prenzlauer Berg

ausrasten

„Ich weiß nie, arbeite ich gerade oder nicht", läßt René Pollesch einen seiner Protagonisten in einem seiner Stücke brüllen. Polleschs irre Typen, die auf der Bühne ständig ausrasten, sagen oft Sätze, in denen sich jene irren Typen, die zu Hause oder bei der Arbeit ständig ausrasten, wiederfinden. Prototyp des Verwirrten, der dauernd alles durcheinanderbringt, was man früher trennte ­ die Freizeit und die Arbeit, das Zuhause und das Büro ­ ist der Kulturarbeiter. Er hat die Maßstäbe dafür gesetzt, daß Arbeit und Schaffen dasselbe geworden sind. Nun will er es wieder gutmachen und die Geister, die er rief, wenn er sie schon nicht mehr vertreiben kann, so doch wenigstens beschreiben. Einige Künstler wollen in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst dem Prozeß nachgehen, „der sich als Ökonomisierung der Kultur ­ oder ­ als Kulturalisierung der Ökonomie skizzieren läßt." Kulturarbeit hat das Modell für die Ausbeutung immaterieller Tätigkeit geliefert. Besitzt sie auch ein emanzipatorisches Potential? Das ist die Frage.

> „Tätig Sein", ein Ausstellungs- und Buchprojekt, vom 1. Mai bis zum 13. Juni in der NGBK, Oranienstr. 25, Kreuzberg, geöffnet täglich von 12 bis 18.30 Uhr

ausrücken

Das Genre der „Straßenfotografie" zu bedienen, wurde dem scheinschlag jüngst anläßlich der Fotoausstellung in der Brunnenstraße attestiert. Der 1963 geborene Jörg Rubbert hat solche Bilder in den Jahren 1987-91 in Paris gemacht: Straßenszenen, Portraits in Parks, Cafés und Hinterhöfen. Er hat sich dabei aber nicht auf das klassische Paris der Bildbände und Reiseführer beschränkt, Rubbert ist mit seiner Kamera auch in die Problemviertel des Nordens gegangen, die von arabischen Migranten geprägt sind.

> „Paris 1987 - 1991" von Jörg Rubbert noch bis zum 4. Juni in der Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, Di bis Sa 13 bis 18 Uhr, Do 10 bis 18 Uhr

ausgraben

Eine Irin, die sich in einen deutschen U-Bootkapitän in Not verliebt, eine deutsche Ärztin in Kriegsgefangenschaft, eine Bürgermeisterin in einer Verwechslungskomödie ­ das sind drei der Rollen, durch die Ruth Leuwerik zur beliebtesten deutschen Filmschauspielerin der fünfziger Jahre avancierte, immer an der Spitze des „Starometers" der Star-Revue. Die Trapp-Famile, laut Oliver Baumgarten ein „Verdrängungsopus", war sogar ein internationaler Erfolg. Ein halbes Jahrhundert später sind die zwischen seichtem Komödiantentum und anspruchsvoller Literaturverfilmung (etwa Die Rote nach Alfred Andersch) angesiedelten Filme der heute 80jährigen nicht zuletzt zeithistorische Dokumente. Eine Filmreihe im Kellerkino Arsenal begleitet eine Leuwerik-Ausstellung im selben Haus.

> „Die ideale Frau. Ruth Leuwerik und das Kino der fünfziger Jahre", vom 29. April bis zum 26. Mai im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten

ausbreiten

In unserer unmittelbaren Nachbarschaft finden mitunter merkwürdige Dinge statt: So wird am 21. Mai ein eigenartiger Seitentrieb der Punk-Bewegung, sogenannter Intellekto-Punk in Wort und Ton vorgestellt. Gedeihen kann derlei anscheinend in Leipzig. Volly Tanner breitet in seiner Punk-Literatur Verschwörungstheorien aus, hat aber auch Gedichte auf Lager.

> D. H. und Volly Tanner am 21. Mai um 21 Uhr im Schokoladen, Ackerstr. 169/70, Mitte

 
 
 
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