Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Reise ins Innere der Klänge

Um 1960, als der Serialismus von Komponisten wie Stockhausen oder Boulez in eine überschießende, mathematisch durchstrukturierte Komplexität getrieben wurde, schlug der junge Ernstalbrecht Stiebler einen ganz anderen Weg ein – als radikale Gegenreaktion auf die Webern-Nachfolger in Darmstadt: „Keine ,Vermittlungen', keine Permutationen von Materialelementen, stattdessen ein Weg in Richtung auf stärkere Reduktion des Materials. Ich hatte damals das Gefühl, in unbegangenes Terrain zu kommen", blickt Stiebler heute zurück. Das Streichtrio Extension I von 1963 markiert den Beginn eines Weges, den Stiebler bis heute weitergegangen ist, nachhörbar auf einer CD, die auch Extension III von 1979 und das Orchesterstück Unisono Diviso (1999) in hervorragenden Aufnahmen des Hessischen Rundfunks umfaßt.

Mit dem Titel Extension (Dehnung) verweist Stiebler auf das Prinzip des Festhaltens des Klanges ­ auch an einem längst als „zerfallen" erlebten Material. Dabei steht diese „zeitlose Musik" (Dieter Schnebel) nur in einer vordergründigen Nachbarschaft zur „minimal music" eines Steve Reich mit ihren primitiven Repetitionen. Stieblers geduldiges, genaues Hineinhören in die Klänge hat mehr mit der Musik eines Giacinto Scelsi zu tun. Der Titel Unisono Diviso bringt es auf den Punkt: Ein Zusammenklingen wird visiert, immer neu ausgeleuchtet, mikrotonal umkreist und dabei zum Flirren und Schwingen gebracht ­ eine Musik „nicht fürs fixe Ohr, sondern fürs Lauschen", wie Schnebel es ausdrückt.

Florian Neuner

> Ernstalbrecht Stiebler: Unisono Diviso. Maria de Alvear World Edition 0007. ca. 17 Euro. www.world-edition.com

 
 
 
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