Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Vor Werbung die Bäume nicht sehen

Lokale Agenda (VI): das Beispiel Gleisdreieck

Nachdem der erste Entwurf für eine Berliner „Lokale Agenda 21" in einen Eklat mündete (s. scheinschlag 1/04), harrt nun eine nachgebesserte Version der „Kommentierung" durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nach dieser dezenten Vorzensur soll sie im Sommer dem Abgeordnetenhaus zum Beschluß vorgelegt werden. Dann dürfte sich klären, ob die im „Agenda-Prozeß" institutionalisierte Bürgerbeteiligung eine echte Partizipation darstellt – oder nur als Feigenblatt der ganz normalen Realpolitik gemeint war.

Bei der Stadtentwicklungsverwaltung scheint allerdings schon jetzt die Unterstützung zu schwinden. Sie kündigte weitere Mittelkürzungen an und fordert die Organisatoren des Agenda-Prozesses auf, ihre teils widerborstigen, teils hoffnungsvoll-konstruktiven, teils arg allgemein gehaltenen Ideen doch über privates Sponsoring zu finanzieren. Sponsoring also; Ressourcenbeschaffung bei der freien Wirtschaft. Ein geeignetes Mittel für neue umwelt- oder sozialpolitische Impulse?

Die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck ist der Klassiker der Berliner Öko-Bürgerinitiativen. Es ist ein Zusammenschluß verschiedener Gruppen, deren älteste, die BI Westtangente, gerade ihren 30. Geburtstag gefeiert hat. In den Siebzigern ging es gegen Autobahnplanungen, später gegen diverse Hochhauspläne. Inzwischen steht die Idee eines großen, zentralen Gleisdreieck-Parks im Vordergrund; sie taucht im Agenda-Entwurf gleich dreimal auf: als unverzichtbare „Grünfläche in der Stadt", als Teil der „Sozialen Stadtentwicklung" und als Beispiel von „Bürgerbeteiligung", weil er von unten angestoßen wurde. Demnächst soll der Park auch in die „Leitprojekt"-Liste der Lokalen Agenda aufgenommen werden. Er wäre dann das beste Beispiel, wie das mit der Ressoucenbeschaffung so geht, wenn der Staat ausscheidet.

Die AG Gleisdreieck ist immer unter Druck. Gerade hat man sich gefreut, daß Bahnchef Hartmut Mehdorn nun doch keinen „Bahntower" in den Park stellt, da steht schon der nächste starke Mann vor der Tür: Der Projektentwickler Dirk Nishen will auf dem ehemaligen Anhalter Güterbahnhof sein „World Wheel Berlin" errichten, ein Riesen-Riesenrad von 150 Metern Höhe, das das benachbarte Technik-Museum zu seinem Nebengebäude degradieren, alte Verladehallen, eine wichtige Wegverbindung und einiges an Vegetation zerstören sowie, so die Befürchtung, den Park städtebaulich arg dominieren würde. Die AG warnt vor einer „weiteren Kommerzialisierung" des Parks und prophezeit, daß der Riesenradrummel, einmal angefangen, immer mehr Flächen einfordern kann und wird.

Ob das Rad am Ende wirklich gebaut wird oder ob das Projekt den Weg der meisten Berliner Riesenprojekte geht ­ Senat und Bezirk werden es wohl nicht entscheiden. Arm, wie sie sind, sind sie bei der Gestaltung des Parks auf private Akteure angewiesen, die teils kommerzielle, teils wohltätige Absichten verfolgen oder auch beides gleichzeitig.

Schon für den Landkauf hatte der Senat kein Geld; die Stadtplanung diktierte die Vivico Real Estate, der Immobilienkonzern der Bahn, dem ein Großteil der ehemaligen Bahnflächen gehört. Die Vivico wollte lukratives Bauland ausweisen lassen und den Park am liebsten auf abgeschiedene Restflächen reduzieren. Erst in jahrelangen Verhandlungen ließ sie sich einen Kompromiß abhandeln, was sie nicht daran hindert, auf ihrer Netzseite den Park als eines ihrer vorbildlichen „Umwelt-Beispiele" zu führen.

Bis auf Details soll der städtebauliche Vertrag mit der Vivico inzwischen unterschriftsreif sein, immerhin rund 60 Hektar werden wohl begrünt. Aber wer bezahlt die Erschließung, die Bäume und Bänke? Zunächst einmal die Investoren vom Potsdamer Platz. Als Ausgleichsmaßnahme wurden sie seinerzeit zur Zahlung von 45 Millionen Euro verpflichtet, die der Senat für den Park ausgeben darf. Sie werden es sich nicht nehmen lassen, mit ihrer Großzügigkeit zu werben: „Zwangssponsoring" möchte man das nennen.

Da dieses Geld aber nicht ausreicht, prüft der Bezirk derzeit die Möglichkeit einer Public-Private-Partnership. Der bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltbewußtes Management e.V. (BAUM) etwa, der in der freien Wirtschaft Gelder für ökologische Projekte einwirbt, möchte am Gleisdreieck einen „Weltzukunftspark" errichten. Für zahlreiche Attraktionen will BAUM 70 Millionen Euro bei Sponsoren einwerben. Franz Schulz, der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, sieht schon „überall im Park Werbetafeln", denn auch diese Unternehmen werden wahrscheinlich mit ihrer Wohltat Reklame machen. Zusätzlich will BAUM einige Parkbäume den Trägern des Manager-Umweltpreises widmen, den der Verein jährlich verleiht.

Selbst dort, wo sich kein Unternehmer verewigt, bahnt sich eine private Beteiligung an. Denn auch das bezirkliche Grünflächenamt, das für die Pflege des Parks zuständig wäre, ist arm. Man könnte also diese Aufgabe an externe, billigere Anbieter auslagern; die AG Gleisdreieck gründete vorsorglich eine Genossenschaft, die gegebenenfalls einen Teil des Parks betreiben könnte. „Wenn der Bezirk die Parkpflege als Dienstleistung einkauft, warum nicht bei den Leuten vor Ort?" heißt es bei der AG Gleisdreieck. Das „vor Ort" ist wörtlich zu nehmen: Jeder Teilhaber der Genossenschaft würde ein eigenes Stück Park zugeteilt bekommen, für dessen Pflege er dann namentlich geradesteht.

Kommt dann noch die Lokale-Agenda-Idee eines „interkulturellen Gartens" zu ihrem Recht, derzufolge Gruppenpächter in Teilen des künftigen Parks eine Art multikulturelles, halböffentlich nutzbares Kleingartengelände einrichten können, dann ist das Bild komplett: Der öffentliche Park Gleisdreieck wird überwiegend privat organisiert, „freie Wirtschaft" und „engagierte Bürger" handeln Nutzung, Bau und einen Großteil der Finanzierung aus. Norbert Rheinlaender von der AG Gleisdreieck weiß nicht, wie er das finden soll: „Einerseits ist das ein emanzipativer Akt. Andererseits: Warum leisten wir uns dann überhaupt eine Verwaltung?" Die Antwort gibt er selbst: Privat-öffentliche Kooperationen sind recht kompliziert. Größere Leistungen dürfen z.B. nicht einfach von einem Stifter zum Freundschaftspreis übernommen werden, sondern gehören ausgeschrieben. Und die Sponsoren- und Stiftungsgelder muß man penibel von den öffentlichen Ausgaben trennen. Die bezirkliche Bürokratie hat also noch zu tun. Und die Politik? Ihre Aufgabe wäre die Koordination und ­ vorher noch ­ die Auswahl der privaten Akteure. Ob dabei nur das Geld zählt, das einer mitbringt, oder ob man sich auch den umwelt- und sozialpolitischen Vorgaben einer Lokalen Agenda verpflichtet fühlt ­ das wird sich zeigen.

Otto Witte

>Informationen unter www.berlin-gleisdreieck.de und unter www.agenda21berlin.de

 
 
 
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