Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ja und nein

Alle bisherigen Versuche, den 1. Mai zu „repolitisieren", sind gescheitert. Weder erhielten die Krawalle eine erkennbare politische Aussage, noch ließen sie sich durch Podiumsdiskussionen oder Straßenfeste ersetzen. Dieses Jahr weht ein anderer Wind: Zum ersten Mal seit langem planen die Organisationen eine gemeinsame „Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" und betten das Ereignis in eine Vielzahl von Aktionen ein.

Schon im Vorfeld hatte zu Ostern ein „Autoorganisationskongreß" von sich reden gemacht. Die Teilnehmer besetzten nacheinander sechs leerstehende Häuser, wurden umgehend geräumt und kamen in die Presse. Am 14. April startete unter dem Motto „sag ja zum nein" ein Bündnis von verschiedenen linken, Autonomen- und Antifa-Gruppen die „Maisteine-Kampagne". Eine Auswahl: Mitten auf dem Hermannplatz fand ein demonstratives „Festbankett" statt, eine „MoMA umsonst"-Aktion warb für den freien Besuch der Nationalgalerie, die Bankgesellschaft wurde mit Protesten gegen das Risikoabschirmungsgesetz belästigt, die BVG mit Schwarzfahreraktionen; im Wedding kürte man in Sozialämtern den „Amtstyrann des Jahres".

Interessant ist: Das erste Mal seit langer Zeit gelingt es der Berliner Linken, ihre Kräfte zu bündeln und im Stadtbild sichtbar Forderungen zu demonstrieren. Und die Forderungen treffen zielgenau die brennenden Probleme: zunehmende Armut, soziale und kulturelle Spaltung, Wohnungsleerstand.

Dennoch gab es Kritik: Welches Zeichen wird gesetzt, wenn man Gebäude besetzt, nur um sich räumen zu lassen und lamentierende Presseerklärungen zu verfassen, die die gewalttätige Polizei anklagen? Warum benutzen die Aktivisten die Parolen von vor 20 Jahren?

Andererseits kommen Aktionen wie das Picknick auf dem Hermannplatz oder „MoMA umsonst" wesentlich charmanter daher. Sie sind ebenso symbolisch, sagen aber etwas anderes aus. Nämlich: Da sind wir, wir sitzen auf einem öffentlichen Platz und haben Essen für ein „Bankett" besorgt. Geklaut? Na und. Auch die Besucher der MoMA, die Konsumenten der Hochkultur, haben sich mit unserer Anwesenheit auseinanderzusetzen. So kommt Berlin nicht drum herum, zu sehen, daß der „Rand der Gesellschaft" beginnt, sich in Bewegung zu setzen.

tjj

 
 
 
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