Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Stadionverbot für Krawattenträger

Körperverletzungsdelikte vor Tausenden von Zuschauern: Fußball und Gewalt

Ein Fußballspiel sieht man sich am besten im Stadion an, inmitten von Fans, die den Gegner schmähen und ihre eigenen Mannen auch dann noch anfeuern, wenn sie null zu drei hinten liegen. Trifft man seine Entscheidung allzu kurzfristig und findet dann die einzig verbliebenen 40 Euro-Karten für das Spiel Hertha BSC gegen Bayern München zu teuer, so tut es auch ein Besuch im „Bierbrunnen an der Plumpe" unweit der alten Hertha-Spielstätte in der Behmstraße. Hier trifft man etwas in die Jahre gekommene, gar nicht unsympathische Hertha-Fans, die wohl immer noch darauf warten, daß ihr geliebter Verein zurück in den Wedding kommt.

Dabei stehen Hertha-Fans laut Sport-Bild eigentlich in dem Ruf, die ekelhaftesten der Bundesliga zu sein. Der dichtende Hertha-Anhänger Holger Dittmann fordert deshalb auf der Webseite www.blutgraetsche.de gar den Abriß der Ostkurve des Olympiastadions, um dem Treiben der berüchtigten Hertha-Frösche ein Ende zu setzen. Dabei sind diese die Einzigen, die bei Hertha noch so etwas wie Fankultur darstellen. Während des Spiels gegen Bayern feuerten die meisten der anwesenden 60000 Zuschauer nämlich keineswegs ihre Hertha an, nachdem diese in Rückstand geraten war. Hertha hat eben hauptsächlich ein Schönwetterpublikum ­ Konsumenten, die bei ausbleibendem Erfolg ihre Unterstützung verweigern, wie Dittmann, der sogar die alte Vereinshymne umgedichtet hat: „Blau-weiße Hertha, du bist unser Sportverein! Blau-weiße Hertha, wirst es nicht mehr lange sein!"

Wenn heute über Fußballfans geredet wird, geht es meistens um Gewalt und darum, wie man die rivalisierenden Horden voneinander trennt. Dabei wird gerne übersehen, daß Rivalität und Gewalt schon immer wesentliche Bestandteile des Fußballs waren. Gerade auch auf dem Platz. In einer soziologischen Studie aus den neunziger Jahren zum Hooligan-Problem heißt es dazu, daß „auf dem Spielfeld Körperverletzungsdelikte vor Tausenden von Zuschauern begangen" würden, man sich also nicht über rüde Umgangsformen auf den Rängen zu wundern brauche.

Das ursprüngliche Spiel, wie es seit dem Mittelalter bis zur Industrialisierung auf den britischen Inseln und in Nordfrankreich von den Männern der Unterklassen gespielt wurde, war ausgesprochen brutal. Damals traten meist ganze Dörfer oder Stadtviertel gegeneinander an. Als Spielfeld diente die gesamte Stadt oder die Wiesen und Wälder zwischen zwei Dörfern. Regeln hielt man seinerzeit für überflüssig, nur Tore mußte man erzielen, um zu gewinnen. Deshalb hinterließen diese meist an kirchlichen Feiertagen ausgetragenen Volksspiele regelmäßig eine Spur der Verwüstung, samt einiger Schwerverletzter und gelegentlich auch Toter. Die unzähligen Versuche, solche Anschläge auf die öffentliche Ordnung durch Verbote zu unterbinden, scheiterten immer wieder. Erst mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Landflucht verschwand das alte Volksspiel.

Im modernen Fußball, wie man ihn seit dem 19. Jahrhundert kennt, lebte diese Tradition in gewandelter Form fort. Das Spiel selbst hatte zwischendurch in den englischen Public Schools Regeln bekommen, die – zumindest auf dem Spielfeld – die gröbsten Verletzungen zu vermeiden trachteten. Und weil jetzt nur noch elf Spieler pro Partei mitspielen durften, mußten immer ganz viele zugucken. Fußball wurde deshalb ein Zuschauersport, und die irregulären Auseinandersetzungen fanden seither dort statt, wo nicht so genau hingesehen werden kann – auf den Rängen oder seit einigen Jahren abseits des Stadions.

Besonders unter den Industriearbeitern fand das Spiel Anfang des letzten Jahrhunderts große Verbreitung. Fußball wurde der Arbeitersport schlechthin; seine Bedeutung für eine proletarische Subkultur ist sicherlich größer als etwa die der Dreigroschenoper. Entsprechend ablehnend standen die Übrigen dem volksfestartigen Treiben in den Stadien gegenüber. Selbst in der organisierten Arbeiterbewegung hatte der Fußball keinen guten Ruf. Der austromarxistische Theoretiker Otto Bauer hielt den Sport, wie viele andere, für etwas Minderwertiges und glaubte trotzdem, seine Schäfchen in Schutz nehmen zu müssen: „Da die großen und edleren Vergnügungen der Masse noch versperrt sind, weil sie entweder nicht die erforderlichen Geldmittel oder nicht die dafür nötige Vorbildung hat, so sucht sie die Freude im Kino oder beim Fußballwettspiel." Daß es Menschen gibt, die lieber exzessiv die Sau rauslassen als ins Theater zu gehen und sich an bürgerlichen oder klassenkämpferischen Werten zu orientieren, leuchtet offenbar nicht jedem ein.

Fußball ist trotz seiner weitgehenden Domestizierung ein anarchischer Karneval geblieben, ein Fest, das keinen kirchlichen Rahmen mehr braucht, weil es längst selbst Opium für das Volk geworden ist, ein Spektakel, das alles möglich macht: daß auf dem Spielfeld das an sich schwächere Team die favorisierte Mannschaft schlägt, daß sich Zuschauer, die sonst nie zusammengekommen wären, einander in die Arme fallen, daß der Fußballpöbel auf den Rängen nicht nur den gegnerischen Fan schmäht, sondern auch die Staatsmacht, die Polizei, ungestraft beleidigt – eine Feier des eigentlich Unmöglichen. Das Spiel war und ist aber auch ein archaisch zu nennendes, normalerweise durch unser aller Zivilisierungsbemühungen unterdrücktes Vergnügen – ein Hahnenkampf, ein mackerhaftes Gerangel um Prestige und Dominanz mit entsprechenden Gewaltausbrüchen.

Der Fußballzuschauer ist seit jeher unberechenbar, er sorgt zwar für Stimmung im Stadion, ist in seiner Euphorie wie in seiner Enttäuschung aber stets latent destruktiv. Tumulte und Ausschreitungen gab es, seit die Unterklassen sich den Fußball zurückerobert, seit sie das Spiel der Public Schools als eines der ihren wiedererkannt hatten. In den sechziger, siebziger Jahren kam es jedoch neben der Entstehung der modernen Fankultur zu einer Zunahme von Gewalt auf den Rängen.

Die Ursache für diese Entwicklung lag hauptsächlich in der fortschreitenden Kommerzialisierung des Sports und einer damit zusammenhängenden Entfremdung von Spielern und Zuschauern. Waren die Kicker früher in der Wahrnehmung der Zuschauer die etwas bessergestellten Kumpels von nebenan, die letztlich demselben Milieu verbunden blieben, sind sie heute millionenschwere Domestiken eines „Events", die so gut wie nichts mehr gemein haben mit den Jungs aus der Fankurve. Die Fans versuchten also ihre Verbundenheit zum Verein auf eine andere, radikalere Art unter Beweis zu stellen: durch das Tragen von „Kutten", Schals, die gemeinsamen Gesänge, aber eben auch durch eine verstärkte Gewalttätigkeit.

In den neunziger Jahren entwickelte sich der Fußball mehr und mehr zum inszenierten Werbespektakel, TV- und Sponsorengelder ließen die Zuschauereinnahmen für die Vereine zu einer vernachlässigenswerten Restgröße werden. Zudem versuchte man ein neues Publikum anzusprechen, denn die Fans wurden zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich als Sicherheitsrisiko angesehen.

Als die Polizei in den achtziger Jahren die Auseinandersetzungen der Kutten tragenden Fußballrowdies mehr und mehr in den Griff zu bekommen schien, hingen viele ihre Kutte an den Nagel und pilgerten fortan in Zivil zum Spiel. Im folgenden Jahrzehnt kam es mit dem Auftreten der Hooligans zu einer Brutalisierung und einer regelrechten Verselbständigung der Gewalt: Während für den Kuttenträger der Fußball im Vordergrund stand und Gewalt fast immer an Vorkommnisse während des Spiels gebunden blieb, hatten die Prügeleien der Hooligans so gut wie nichts mehr mit dem Spiel selbst zu tun. Durch das Treiben des Hooligan-Mobs, immer eine kleine Minderheit, gerieten alle Fans unter den Generalverdacht der Gewalttätigkeit. Die Reaktion der Obrigkeit bestand in der Einführung von Hooligankarteien samt Ausreiseverboten, dem Verbot von Stehplätzen bei internationalen Spielen, der Installation von Überwachungskameras in den Stadien und dergleichen mehr. Die Hooligans selber treffen die Veränderungen innerhalb des Stadions indes wenig, ihre Hauereien tragen sie längst abseits davon aus, und während des Spiels sitzen sie meist auf der Tribüne. In den Fankurven sind längst andere tätig.

Die Sicherheitsvorkehrungen in den Stadien wurden besonders verstärkt nach mehreren Katastrophen Ende der Achtziger, denen insgesamt fast 200 Zuschauer zum Opfer fielen (Fanausschreitungen waren dafür jedoch nur in einem Fall verantwortlich: als Auslöser; Ursache waren in diesem Fall wie bei den anderen Katastrophen bauliche Sicherheitsmängel). Gleichzeitig hoben die Vereinsbosse die Preise drastisch an, eine weitere Maßnahme, um den Pöbel aus den Fußballarenen zu verdrängen und so Platz zu schaffen für eine neue Klientel, die besserverdienenden Mittelschichten. Das Publikum in den Stadien begann sich zu verändern. Mit dem Ergebnis, daß man nun zwar deutlich weniger Krawalle im Stadion hatte, dafür aber auch keine überbordende Stimmung mehr.

Natürlich bemerken auch die Spieler die veränderte Atmosphäre. Anläßlich der WM 1998, bei der ein Großteil der Eintrittskarten gar nicht erst im freien Verkauf landete, sondern von Sponsoren an ihre Kunden verteilt wurde, äußerte sich der französiche Nationalkapitän Deschamps: „Wenn ich auf den Rasen komme, sehe ich auf der Tribüne gegenüber Typen in schwarzen Anzügen, als ob sie zur Beerdigung kommen." Und sein Mitspieler Leboef meinte: „Das ist eine Beleidigung für den Fußball" und forderte Stadionverbot für Krawattenträger.

Seit einiger Zeit breitet sich eine Bewegung in den Fußballstadien aus, die sich der Kommerzialisierung entgegenstellt: die Ultras. Ihre Vorbilder stammen aus Italien. Die deutschen Ultras kommen derzeit noch recht friedfertig daher und setzen sich mit Feuerwerk, Fahnen, Gesängen und Choreographien mediengerecht in Szene. In Deutschland neu ist ihr Beharren auf einer Unabhängigkeit vom Verein. Sie verweigern den Kauf des Merchandising-Schnickschnacks und versuchen ein Gegengewicht zum Management aufzubauen. Ihre italienischen Vorbilder sind allerdings auch nicht wirklich als Waisenknaben aufgefallen. „Mir gefällt das total gut. Die Gewalt vom Stadion ist mehr eine Droge, als es die politische war. Die vom Stadion hat kein Ziel, sie ist reiner Selbstzweck."

Auch wenn es den großen Vereinen wohl gut gefiele, nur noch gediegenes Ausflugspublikum anzuziehen, das außer der obligatorischen Bratwurst auch sämtlichen Nippes kauft, der heutzutage im Stadion feilgeboten wird, läßt sich ein gewisser Widerstandsgeist der Fankurve eben doch nicht ausmerzen. Besonders die Versitzplatzung, die forcierte Abschaffung der Stehplätze in den Stadien, rüttelte die Szene auf. Wer wollte es einem mündigen Stehkurvenbesucher verdenken, wenn er die störenden Sitzschalen herausreißt, um sich etwas Bewegungsfreiheit zu verschaffen, und sie anschließend aufs Spielfeld schmeißt, dem Schiedsrichter direkt an den Kopf. Wer ginge schon zu einem bestuhlten Punkkonzert?

D. Skorupinski/S. Goes

Fotos: Knut Hidebrandt

 
 
 
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