Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Foto: Jörg Gruneberg

Schlechte Pornographie oder „Bist du wahnsinnig? Guck doch mal, was hier los ist mit der Springer-Presse, mit Rudi Dutschke, mit Vietnam. Da kann man doch jetzt keine Galerie aufmachen."

Aus den „hubs" der Biennale 3 strömt saturierende Wiederholung

Dans la chambre de la répétition bzw. „CD-Loop" an: Wohnzimmer. In diesen Räumen bist du ganz bei dir. Nichts stört dich; neben der Tür hängt das Hinweisschild und führt dich. Und du bist von Anfang an der einmillionste Besucher dieses ausgetrockneten Seitenarms ei-nes Fellini-Storyboards. Leises Rauschen und eine Musik, die aus einem noch nicht entdeckten Ort an dein Ohr dringt. Ich weiß das. Kennst du das nicht auch schon? Zur Genüge? Ist aber toll. Die Biennale 3 ist in einer ästhetisch reizvollen Kongruenz mit dem Gebäude verschmolzen. Motto: Rummelplatz wochentags. Nicht ganz humorlos reflektiert sich die Ausstellung dann auch in den Werken von Mika Vainio oder Maria Bustnes ironisch ein wenig selbst.

Zuhause, da habe ich nie Zeit zum Lesen. Jetzt die zwei CDs durchhören ­ „hub: Sonische Landschaften". Die Re-Punk Electronic Music!-Zusammenstellung von Christine Erharter und Sonja Eismann ist revolutionär wie das Loch im Käse, aber doch besser als ich das von einer INTRO-Redakteurin erwartet hätte. Leider wird mir der Mix vergällt durch Musik von Peaches, auf CD noch um ein Mehrfaches fader als ihre porno-kabarettistische Rockshow. Eben die kannte ich bislang nur von phallozentrischen Männerbands à la Und Im Publikum Wichsen Alle Mit Auf Der Luftgitarre. Dagegen wirkt eine x-beliebig aus der Geschichte herausgegriffene Patti Smith-Platte wie Körpersäfte, die man in einem UFO gefunden hat. Da ist man schnell (es stimmt wirklich!) im Vorprogramm von Marilyn Manson. Diese lauwarmen Verknüpfungen an einen mehr als fraglichen Hype lassen aufhorchen. Die Texttafel sagt: „Es sind hauptsächlich Frauen, die seit geraumer Zeit mit dezidiert performativen Ansätzen die interessantesten Impulse in der elektronischen Musik geben und Geschlechterklischees dekonstruieren." Die Auswahl der Bands überrascht danach ein wenig. Rhythm King And Her Friends, Chicks On Speed oder Le Tigre sind toll. Die Schublade Feministisch Determinierter Elektro-Punk klemmt insgesamt aber etwas arg. Protagonistinnen wie etwa Kathleen Hanna von Le Tigre (Ex-Bikini-Kill) haben doch nun wirklich keinen solch haarigen, marktstrategischen Kniff mehr nötig! Ihre Musik ist längst stilbildend!

Im Wohnzimmer oder in der Mediathek gibt es Mülleimer. Hier fehlen sie. Ich spüre den Steady-State des Magischen Recyclings, wie man sich anschickt, wirklich alles ins Schwerelose zu blasen. Ich entdecke eine weitere Musikbude. Es läuft ein Video, das eine Band, bestehend aus jungen Frauen vorstellt (The Girl Band Project: Chilimango), die das Rolling Stones-Stück „Paint It Black" spielen. In der Ästhethik einer Beat-Club-, oder Rockpalast-Aufzeichnung ­ in Schwarz-Weiß, drei, vier Kameraeinstellungen und einem Live-Schnitt ­ präsentieren sich die Musikerinnen auf einer Studio-Bühne. Gleichzeitig bleibt erkennbar, daß es sich hier nicht um professionelle Musikerinnen handelt. Die Haltung, das Outfit, die kleinen Fehler. Alles deutet auf Anfängerinnen hin. Vielleicht ist alles auch nur ein Playback-Trick. Ihre Haltung spiegelt aber in genial einfacher Weise die Mechanismen der populären Vermarktung von Musik wieder.

Gäbe es nichts auf dieser Biennale außer diesem Video, sie wäre perfekt und vollständig. Maria Bustnes hat hier ein sehr schlichtes, kurzes Stück unserer Kultur konstruiert, das alles enthält, was von Bedeutung ist. Und es steht für all das, was diese große Schau leisten will. Ginge es in Wahrheit nur um diese Botschaft, um diese eine Frage ­ so reichte ein Video aus, es auszudrücken. So naiv und tief kann Kunst sein, das steht hier geschrieben. Das kann man hier hören. Aber diese Beschränkung wäre natürlich eine Farce, ein Gesichtsverlust. Die Bücher, die Videos, die Musikkonserven, all das dominiert diesen einen Teil der Biennale in den KunstWerken. Die leeren Schaubuden und Bretterverschläge für die Abspielgeräte und Zuseher unterstreichen die universelle Verfügbarkeit und Verortbarkeit ­ und damit die Macht ­ dieser Medien, ohne über die Konsequenzen offen zu sprechen. Ich spüre darin einen gewaltigen Mißton in bezug auf den Anspruch, eine Aktualitäten-Schau zu sein, weil gegenüber dem Austausch vor Ort kapituliert wird.

Im zweiten Teil im Martin-Gropius-Bau findet man dann hauptsächlich die Gemälde, Skulpturen, Foto-Tableaus. Dazu sind hier die international bekannteren Künstler versammelt. Der Charme der Biennale verflüchtigt sich hier noch rapider, weil deutlich wird, daß es keine Umkehr – aus dem Museum heraus auf die Straße, die Konzerthalle, das Wohnzimmer – mehr gibt. Riesige Schauflächen, Projektionen, Installationen. Warum sind sie riesig? Weil dies ein Staatszirkus ist? Weil man auch einmal etwas Großes sehen sollte? Sinnentleert begrüßen einen die Arbeiten im Gropius-Bau aber nicht. Es sind gute, sinnvolle, perfekte, schockierende, belehrende Werke. Das kann nur die große Kunstschau leisten, mag man sich spontan zuflüstern. Beim Hinsehen wird aber schnell klar, daß diese Dinge sehr wohl auch an spartanischere Orte passen würden. Viele Stücke zeichnen sich durch Mobilität und Flexibilität aus, hätten also vielleicht auch in die zugemachte und dann verramschte Kinderbibliothek in der Turmstraße gepaßt. Oder in das leerstehende Hallenbad um die Ecke. Zumal einige Künstlerinnen genau diese Mißstände in ihren Arbeiten thematisieren. Als Beispiel seien die Fotos von Ruji Miyamoto genannt. Er zeigt darin Obdachlosenbehausungen in Tokio. Sie wurden bewußt überstilisiert, so daß man auf den ersten Blick nur erstklassige, tolle Schwarzweiß-Abzüge in perspektivisch ausgetüftelter Weise erkennt. Dann begibt man sich in die Hocke und sieht – also nur, wenn man will – Details, d.h. die selbstgebauten Unterkünfte der Odachlosen. Der zusätzliche, kopfstehende Monitor mit Passanten in Shopping-Zonen wirkt dazu aber leider wie ein Zaunpfahl im gut funktionierenden Sehapparat und soll wohl Kunsterzieher mit ihren Schulklassen zum didaktischen Overkill herausfordern.

Apropos Kill: Ute Meta-Bauer, die Leiterin der Biennale, bezeugt im Katalog selbst, daß sie sich bewußt in diesen Widerspruch von Aufmerksamkeitssteigerung durch mediale Vermarktung und dem Sichtbarmachen kritischer, zeitgenössischer Tendenzen im Kunstschaffen begibt. Der Wirkungs- und Informationsgehalt ihrer Sammlung und der angeschlossenen Film-Schau im Arsenal ist beachtlich, wobei sie auf elektronische Vernetzung verzichtet. Allein sendende Oberflächen. Die Bücher an den Ausstellungsständen liegen teilweise angekettet, ebenso die Kataloge zur Ausstellung. Der Distributions- und Mehrwertapparat läuft auf unerträgliche Limitierung hinaus. Neugierige Besucher dürfen sich (natürlich) auch kein selbstgemachtes Foto mit nach Hause nehmen. Diese Mediathek bleibt osmotischer Zirkus. Die ungebildeten Besucher werden über diverse Aufmerksamkeitsschleusen direkt in eine Info-Blase hinein fluxiert, die rasch anschwillt, aus der sie sich nicht mehr herauswinden können.

Der Versuch, mit einer großen Kunstausstellung irgendetwas bewirken zu wollen, einen Austausch anzuregen, gar zuzulassen, wurde hier erst gar nicht mehr gestartet. Gute Informations-Sendungen, keine billige Unterhaltung, ja. Aber (willige) Teile der Subkultur Berlins mit dem Sauger noch mit ins Geschäft nehmen, um danach die Kanäle nach außen sofort wieder mit Sterilität und Exklusivität zu verpfropfen? Ein Vergleich mit schlechter Pornographie bzw. Aufklärung wäre hier angebracht. In dem Sinne, daß nicht in/an ihr gearbeitet wird, um unbefriedigte Bedürfnisse zumindest träumbar zu gestalten, sondern daß von vornherein ein Ausbeutungsmechanismus, mit Methoden zur Förderung von Abhängigkeiten und falschen Versprechungen, in Kauf genommen und honoriert wird.

Ein schlechter Witz ist halt auch eine gelungene Kunstausstellung. Dazu versprach Mika Vainio einen passenden Beitrag und wurde mit seinem „CD-Loop" zur Biennale eingeladen. Im feuchten, engen Gewölbe gibt sich der folterunerfahrene Kunstschüler freiwillig den Attacken auf sein Hörorgan in Hifi-Qualität hin. Sein Loop ist nicht so toll, nein. Er ist zynisch und präsentiert das mehr als liederliche Gegenstück zu Maria Bustnes' nostalgisch-bitterem Verweis auf eine bloß imaginierte Pop-Kultur. Diese wird hier – auf der Biennale – zudem in ein Vakuum geleitet, halbdurchlässig verwaltet und damit unerfahrbar und unwirklich gemacht. Resezierender kann man mit den Utopien, gerade der Jugend (als Hauptkonsumenten von Popkultur), nicht mehr umgehen. Nein, halt – es gab ja auch noch ein Fucking-Alibi-Konzert mit der Band Rechenzentrum, und es wird noch eine Finissage-Jam, ein Potpourri von Vorträgen aus den im Moment leeren Kirmesbuden heraus, geben. Da schickst du dann aber besser Tante Westwood und Onkel McLaren hin, Kleiner!

Jörg Gruneberg

 
 
 
Ausgabe 03 - 2004 © scheinschlag 2004