Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

widersinn

Selber!, möchte man Margarete Fuchs zu ihrer Architektur-Doku Für den Schwung sind Sie zuständig sagen. Schwung hat der Film nur im Namen. Er behandelt das Wirken des DDR-Schalenbauspezialisten Ulrich Müther (s. scheinschlag 11/02), der mit wenig Geld, schlechter Materialversorgung und netten Kollegen schöne Hallen baute. Viele stehen heute leer, wurden verschandelt oder ­ wie das berühmte Berliner „Ahornblatt" ­ abgerissen. Weitergehende Informationen oder tiefere Eindrücke bietet der Film nicht. Stattdessen peinliche Interviews und endlose Einstellungen von Stränden, Gärten und Landstraßen, während derer man darüber nachsinnen kann, was dieser Film eigentlich will.

> Vom 22. bis 29. April um 20.15 und 21.15 Uhr (Fr, 23. April nur um 20 Uhr) im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg

eigensinn

Nach ihrem Brasilien-Aufenthalt tritt die Kleingeldprinzessin nun wieder zusammen mit den Stadtpiraten auf. Das Repertoire ihrer sich durch Witz und Charme auszeichnenden Lieder wurde durch einige neue in Lateinamerika entstandene erweitert. Die Liedermacherin Dota Kehr beschreibt ihre musikalische Produktion als „neuen deutschen Bossa Nova". Schon allein wegen der unterschiedlichen Sprachen, in denen die Lieder dargeboten werden, wirkt diese Selbstcharakterisierung wie eine Untertreibung. Die Thematik reicht von der Liebe bis hin zu gesellschaftspolitischen Fragen und tangiert zuweilen sogar philosophische Problemstellungen.

> Dota, die Kleingeldprinzessin, zusammen mit einem Stadtpiraten am 8. April um 20 Uhr in Eggers Landwehr, Rosa-Luxemburg-Straße 17, Mitte, zusammen mit allen Stadtpiraten am 12. April um 21 Uhr im Schoko-Laden, Ackerstraße 169, Mitte, und am 23. April um 20 Uhr im Haus der Jugend, Argentinische Allee 28, Zehlendorf, www.kleingeldprinzessin.de

frevelsinn

Die Gruppe CBS hat inzwischen zu ihrer Intervention in der DDR-Logo-Ausstellung von Aage Langhelle am U-Bahnhof Alexanderplatz Stellung genommen. Sie hatte dort eines der DDR-Logos gegen ein CBS-Graffiti-Logo ausgetauscht (s. scheinschlag 2/04). In der Erklärung widerspricht CBS Langhelle, der mit seiner Arbeit „Vermarktungs- und Kommerzialisierungsprozesse" verdeutlichen will. Vielmehr habe er mit dem Warenlogo „DDR", das es auch auf T-Shirts gibt, selbst ein Verkaufsprodukt geschaffen. Die entwendete Arbeit soll in einem neuen Kontext, „einem ehrlicheren Zusammenhang", wieder auftauchen.

frohsinn

Was haben Grillen, Stabheuschrecken und Schnecken mit Ostern zu tun? Diese Tiere sind jedenfalls neben lebendigen Küken und ausgestopften Kaninchen in der Osterausstellung des Stadtmuseums zu sehen. Neben toten Osterhasen dreht sich die vornehmlich an Kinder adressierte Ausstellung um das Thema Ei. Die Eiersammlung des Berliner Ornithologen Oskar Heinroth, auf die sich das Stadtmuseum stützt, schließt Eier von Pinguinen, Kolibris und Straußen ein. Man kann in der Ausstellung auch mikroskopieren und sich über die Beurteilung des Frischegrades von Hühnereiern informieren.

> „Eier – Hasen – Frühlingsboten", noch bis zum 18. April im Stadtmuseum, Naturwissenschaftliche Sammlung, Schloßstraße 69a, Charlottenburg, Di bis So 10 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt

feinsinn

Im Musikclub des Konzerthauses sind im April zwei Stücke des Sizilianers Salvatore Sciarrino zu erleben: Vanitas. Natura morta in un atto und Infinito nero. Christian Kesten führt Regie, die Sängerin Anna Clementi und die Musiker des Kammerensembles Neue Musik Berlin bringen die so feinsinnige wie -gliedrige Musik zur Aufführung.

> Salvatore Sciarrino am 10., 23., 24. und 30. April um 20 Uhr im Musikclub des Konzerthauses am Gendarmenmarkt, Mitte, www.konzerthaus.de

abersinn

Wenn am 9. April die Ausstellung „Projekt Panini ­ Teil 1" eröffnet, dann werden in Kreuzberg zwei Platzhirsche zueinander gefunden haben: Die Galeriekoteletten Knoth & Krüger und die alte Malersau Neiki. Mit der Ausstellung präsentiert Neiki den Abschluß des ersten Teils seines auf mehrere Jahre angelegten Kunstprojektes. In figurativen Bildern entfaltet er durch seine Computermalerei ein von Playmobil-Malern, stigmatisierten Generälen, freudlosen Mädchen und paranoiden Kunstgeschichts-Krüppeln wimmelndes Universum. Die Ausstellung wird von einem wilden Wettlauf weiterer Aktionen begleitet.

> „Projekt Panini – Teil 1", vom 9. bis zum 29. April in der Galerie Knoth & Krüger, Oranienstraße 188, Kreuzberg, Mo bis Fr 13 bis 20 Uhr, Sa 13 bis 16 Uhr, festliche Eröffnung am 9. April um 20 Uhr, www.neiki.net

erwerbssinn

Aus „Prinz Eisenherz" wird schlicht „Eisenherz". Europas größte Fachbuchhandlung für lesbisch-schwule Bücher, lange Jahre in der Bleibtreustraße in Charlottenburg ansässig, bezieht am 1. April neue, größere Räumlichkeiten mitten im schwulen Kiez in Schöneberg. Im neuen Laden in der Lietzenburger Straße 9a / Ecke Welserstraße soll der sogenannte Non-Book-Bereich ­ Zukunft des Buchhandels ­ ausgebaut und mit mehr als 100000 Titeln das weltweit umfangreichste Sortiment zum Thema Homosexualität angeboten werden. Bleibt zu hoffen, daß sich das Eisenherz-Team nicht übernimmt und die Homos sich in die Lietzenburger Straße bequemen und nicht alles im Internet bestellen.

> www.prinz-eisenherz.com

irrsinn

Viele Menschen können einfach nichts wegwerfen, horten sinnlos Plastiktüten oder alte Zeitungen. Im Extremfall aber benötigen „Messies" ärztliche Hilfe, müssen ganze Wohnungen entrümpelt werden. Die Künstlerin Andrea Theis geht mit ihrem Problem nun in die Offensive: In der Otto-Nagel-Galerie rückt sie jetzt in der Reihe „die deutsche bank" 14 Tage lang sieben Jahrgängen Zeit, vier Jahrgängen Kölner Stadtanzeiger und einem Jahr tageszeitung zu Leibe, sortiert und schneidet Artikel aus. (Den scheinschlag hat sie wohl immer gleich ausgewertet.) Das hat zwar keinen Sinn, weil man Artikel viel schneller online recherchieren kann, bringt aber immerhin die Papierberge zum Verschwinden. Die Veranstalter verkaufen das nicht als Spaßkunst, tragen vielmehr der Tatsache Rechnung, daß es sich um ein ernstes Problem handelt. Theis bietet Sprechstunden an, und außerdem trifft sich in der Ausstellung eine Selbsthilfegruppe.

> „die deutsche bank 3: Stapelverarbeitung. Selbstheilungsversuch als Permanentaktion", von 16. bis 30. April in der Otto-Nagel-Galerie, Seestraße 49, Wedding, Sprechstunde Di bis Sa, 17 bis 18 Uhr, Selbsthilfegruppe Mi ab 19 Uhr

 
 
 
Ausgabe 03 - 2004 © scheinschlag 2004