Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Erfolgreiche Imitation

Idioten sieht man im Theater gern. Sie stehen meistens für Wahrhaftigkeit und Tiefgründigkeit. In ihrer Unkonventionalität führen sie die verlogene Gesellschaft vor. Auch im neuen Stück des Orphtheaters Die sexuellen Neurosen unserer Eltern hält uns eine Verrückte den Spiegel vor. Doch nicht, weil sie so unschuldig und authentisch ist, sondern weil sie bis zu ihrer Pubertät mit Psychopharmaka vollgestopft wurde, so daß sie erst nach dem Absetzen der Medikamente auf ihre Umwelt reagieren kann. Aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht, macht Dora dann genau das, was normalerweise kleine Kinder tun: Sie imitiert die Erwachsenen. Die aufgeschnappten Sätze, Gesten und Verhaltensweisen wendet sie unzensiert, weil unverstanden an. Die Normalität wird so zu einer Farce.

Hier steht die Idiotie mal nicht für Tiefe, sondern für reine Oberfläche, auf der sich die gesellschaftlichen Konventionen sezieren lassen. Am Ende wird Dora eine fast normale Erwachsene, eine Mischung aus all den Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensmustern, die man ihr während der Erziehung eingegeben hat. Sie hat endlich gelernt, welche Sätze in welcher Situation angemessen sind. Symphatischer wird sie dadurch nicht.

Matthias Horn hat das Stück in kleinen abgehackten Szenen in fünf Bühnenabschnitten inszeniert, so daß die Zuschauer sich zwischendurch immer wieder an der herrlich quietschenden Drehbühne erfreuen können. Leider kleben die Darsteller von Doras Erziehern übermäßig an Lukas Bärfuss' zum Teil sehr gestelzten Text. Dadurch verfehlen sie oftmals das Ziel, unseren Alltag abzubilden. Anika Mauer dagegen versteht es in ihrem zurückhaltenden Spiel ausgezeichnet, Dora gerade nicht zu einer Identifikationsfigur werden zu lassen.

ks

> „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern", von 2. bis 4., 8. bis 11., 14., 16. bis 18., 21. und 23. April, jeweils um 20 Uhr im Orphtheater, Ackerstraße 169, Mitte. Karten 12 bzw. 8 Euro

 
 
 
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