Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Berlin 1904

1. bis 28. April

Der 13. Deutsche Turntag: Die erwählten mehr als 300 Vertreter der deutschen Turnerschaft finden sich während des Osterfestes in der Reichshauptstadt zusammen, um in zweitägigen arbeitsreichen Verhandlungen für die weitere Förderung der Turnsache einzutreten. Zum dritten Mal heißt Berlin die Abgeordneten zum deutschen Turntag in seinen Mauern willkommen. Aber in wesentlich größerer Zahl als sonst kommen diesmal aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes die berufenen Führer der deutschen Turnerschaft hier zusammen, begrüßt von den hiesigen Turnern, von den Vertretern der Staatsregierung und von den städtischen Körperschaften.

Die Geschichte der deutschen Turntage umfaßt einen Zeitraum von 44 Jahren, in welchem mit dem bevorstehenden 13 Turntage abgehalten wurden. Die ersten drei in Koburg 1860, Berlin 1861, Leipzig 1863 sowie der fünfte in Bonn 1872 waren mit den daselbst stattgehabten deutschen Turnfesten verbunden. Später ergab sich die Notwendigkeit, Theorie und Praxis in der Turnerei voneinander zu trennen, und so legte man die Turntage mit ihren Beratungen zwischen die der turnerischen Übung, dem Spiel und dem geselligen Verkehr gewidmeten Turnfeste. So war schon der vierte deutsche Turntag in Weimar 1868 nur für Beschlußfassungen bestimmt, und von gleicher Beschaffenheit waren die folgenden, in einem Zeitraum von vier zu vier Jahren wiederkehrenden deutschen Turntage in Dresden 1875, Berlin 1879, Eisenach 1883, Koburg 1887, Hannover 1891, Eßlingen 1895 und Naumburg 1899.

Es sind also jetzt genau 25 Jahre seit dem letzten in Berlin stattgehabten Turntage vergangen, dessen Hauptergebnisse die endgültige Festsetzung der „Deutschen Turnfest- und Weltturnordnung" und die Wahl von Frankfurt a. M. als Festort für das fünfte Deutsche Turnfest im Jahre 1880 waren. Wie hat sich in diesem Vierteljahrhundert die deutsche Turnerschaft kraftvoll entwickelt, wie hat sie sich seitdem von Jahr zu Jahr in aufsteigender Linie bewegt bis zu ihrem heutigen Bestand von rund 8000000 Vereinsmitgliedern. Auch das Berliner Turnwesen breitet sich wie ein weitverzweigter grünender Baum über alle aus, die sich lehrend oder lernend, praktisch oder theoretisch als Jünger Jahns bekennen.

Der Ausschuß der vier Berliner Turngaue hat unter Hinzuziehung einer größeren Anzahl hiesiger Turngenossen eine Reihe von Unterausschüssen gebildet, den Empfangs- und Wohnungsausschuß, den Turnausschuß, Presseausschuß, Turnfahrten- und Vergnügungsausschuß, während als Vorsitzender des Gesamtausschusses der Kreisvertreter Kanzleirat Otto Atzrott-Steglitz gewählt wurde. Zahlreiche namhafte Persönlichkeiten aus den Reichs-, Staats- und städtischen Behörden sind zu einem Ehrenausschuß zusammengetreten. Vom Presseausschuß ist eine Festschrift bearbeitet worden, welche Nachrichten über die turnerischen Verhältnisse der vier Berliner Gaue und sonstige wichtige Angaben über die Abgeordneten enthält. Am letzten Märztag sind die Mitglieder des Ausschusses der deutschen Turnerschaft in Berlin versammelt und werden vom hiesigen Festausschuß begrüßt.

In der Mittagspause des ersten Osterfeiertages findet auf dem historischen Turnplatz in der Hasenheide eine Huldigungsfeier für den Turnvater Jahn statt, der am Abend ein Festkommers in der Philharmonie folgt. Am nächsten Tag lädt man zu einem Festessen im Kaiserhof und einem großen Schauturnen in der Zentral-Turnhalle in der Prinzenstraße. Möge aus den Verhandlungen und Beschlüssen des 13. Deutschen Turntages reicher Segen hervorgehen für die gesamte deutsche Turnsache, diesem wichtigen Bestandteil der Volkserziehung in unserem Vaterland!?

Falko Hennig

 
 
 
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