Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Vom Regen in die Traufe

Strieder und Stimmann träumen von Italien auf dem Kulturforum

Städtebauliche Auseinandersetzungen haben in Berlin eine lange Tradition. Die Stadtentwicklung Berlins – speziell in den Jahren der „Hauptstadtwerdung" – war Anlaß für harte verbale Massenschlägereien. Aber um kaum ein Gebiet dieser Stadt ist länger gestritten worden als um das Kulturforum. In den Neunzigern galt für das Areal zwar eine Art Waffenstillstand, das Auge der senatsgesteuerten Stadtentwicklung lag auf dem Osten. Im Februar präsentierte aber nun ein sichtlich zufriedener Peter Strieder die lange angekündigten Pläne „zur Weiterentwicklung des Kulturforums", und erstaunlicherweise stecken sie voller hintersinnigem Humor. Um diesen Humor zu verstehen, muß aber zunächst klar sein, worum es sich bei dem Kulturforum handelt. Wir können uns keine Mißverständnisse mehr leisten.

Das Kulturforum ist als „Stadtlandschaft" entworfen worden. Das bedeutete in der Auslegung der Planer Edgar Wisniewski und Hans Scharoun 1959 ein an der natürlichen Landschaft orientiertes Miteinander solitärer Einzelbauwerke, die sich gemeinsam mit umgebenden Grünflächen und der städtischen Infrastruktur zueinander verhalten „wie Wald und Wiese, Berg und See". Diese Vision einer neuen Ethik im Städtebau proklamierte eine stark emotionale Herangehensweise an die Stadt. Die Beziehung zwischen Gebäuden und Freiflächen sollte durch „besonders kunstreiches Entwerfen" hergestellt werden.

Das Kulturforum formuliert eine deutliche Gegenposition zur traditionellen Stadtbauweise aus Parzelle, Block und Achse. Bewußt wurde es an einer der zentralen Stellen von Albert Speers Germania-Planungen errichtet, ein Zeichen der Überwindung eines durch das Menschenbild der Nationalsozialisten geprägten Städtebaus. Statt der Aufmarschachsen für Zehntausende ein ganzer Stadtteil für die öffentlich-kulturelle Bildung.

Das Kulturforum ist ein Ensemble mit einem überaus hohen ästhetischen und ethischen Anspruch. Darüberhinaus ist das Kulturforum aber auch äußerst gelungener Städtebau: Es fügt die einzelnen Architekturen so unzweifelhaft großartiger Gebäude wie der Nationalgalerie und der Philharmonie zu einem harmonischen Ganzen, ohne den Einzelgebäuden etwas von ihrer Bedeutung zu nehmen. Eines der größten Probleme des Kulturforums liegt darin, daß Scharoun starb, bevor die Planungen am Kulturforum abgeschlossen waren. Dadurch ist es mit dem Makel des Unvollendeten behaftet. Seit Scharouns Tod gibt es die Diskussion, wie es in „Scharouns Sinne" vollendet werden könne. Es steht als Ensemble nicht unter Denkmalschutz, nur die einzelnen Gebäude sind vor baulicher Veränderung geschützt.

Genau das scheint die Stadtentwickler des Senats besonders zu reizen. Die Pläne „zur Weiterentwicklung des Kulturforums" zeigen drei Eingriffe in die empfindliche Stadtlandschaft. Die Menschenleere und die schlechte Orientierung auf den weiten Freiflächen des Forums benennt die Senatsverwaltung als die deutlichsten Mängel, die durch diese Eingriffe behoben werden sollen.

Dazu sollen erstens an der Nahtstelle von Kulturforum und Potsdamer Platz zwei Torhäuser angelegt werden, deren Nutzung noch zu bestimmen sei. Dadurch soll der Übergang zwischen den beiden vollkommen unterschiedlichen Stadtteilen, die bisher eher Rücken an Rücken stehen, deutlicher und einladender gestaltet werden. Zweitens möchte man zwischen die Matthäikirche und die Potsdamer Straße eine viergeschossige Bebauung setzen, die den Straßenraum der sechsspurigen Straße definieren soll. Eine gemischte Nutzung aus Wohnen und Gewerbe soll den oft verwaisten öffentlichen Flächen zusätzliches Leben einhauchen.

Als dritten Eingriff sehen die Planungen einen restlosen Abriß der „Piazzetta" vor, jener schrägen Ebene, die als zentraler Eingangsort von Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum in der Tat nicht zu überzeugen weiß. Nach der Entfernung der Piazzetta samt der zugehörigen Tiefgarage möchten Strieders Senatsplaner gerne einen ebenen, zentralen Eingangsplatz schaffen, der den angrenzenden Museen eine Eingangsfassade zugesteht und dadurch die Orientierung verbessern soll. Geschmückt werden soll dieser Platz durch eine umlaufende Kolonnade, die vor dem Kupferstichkabinett in einem etwa 40 Meter hohen Turmbau enden soll, der Verwaltungsräume, ein Café und Museumsshops aufnehmen könnte.

So unterschiedlich diese drei Baumaßnahmen anmuten, eines ist ihnen doch gemeinsam: Sie sind ungeschickt geklaute Kopien aus ganz anderen Teilen Berlins. Dabei sind die Inspirationsquellen der Senatsverwaltung so offensichtlich, daß es schmerzt. Strieder sagt, das Kulturforum würde nicht genug vom erfolgreichen Nachbarn Potsdamer Platz profitieren, und daß die Kulturtouristen eher zur Museumsinsel kämen als zum Kulturforum. Also nehme man einen am historischen Stadtgrundriß orientierten Block für Wohnen und „Kulturshopping" (hierunter versteht Strieder „zum Beispiel einen Buchladen"), so wie am Potsdamer Platz. Dann nehme man Kolonnaden, wie auf der Museumsinsel, und stelle sie vor die Gemäldegalerie, schon werden sich die niedrigen Besucherzahlen vervielfachen. Noch schmerzhafter wird es, wenn der Senator den Turmbau einen fürs Kulturforum dringend benötigten „point de vue" nennt, und wenn sich die Senatsverwaltung vorstellen kann, daß die Grundrisse der Turmhäuser zum Potsdamer Platz auch anders gestaltet werden können, „etwa trapezartig".

In diesen Aussagen findet sich das zentrale Problem der Planungen: Bürokratisch und phantasielos wird mit der Axt gegen ein äußerst sensibles architektonisches Gefüge vorgegangen. Die Analyse der städtebaulichen Mängel im Ensemble des Kulturforums ist richtig. Die schlechte Orientierung könnte aber beispielsweise mit einem funktionierenden Leitsystem einfach, kostengünstig und behutsam verbessert werden. Dann müßte die Piazzetta nicht zerstört werden. In dieser Stadt wird schon lange zu schnell zum Preßlufthammer gegriffen, wenn es um Architektur geht, die nach 1950 entstand. Wir brauchen aber ganz besonders in bezug auf das Kulturforum ein Verständnis von Städtebau, das nicht bei Schinkel und Hobrecht endet.

Die Idee, den Wohnblock an der Potsdamer Straße in den Dimensionen des historischen Berlins wieder aufzubauen, kann im gegebenen städtebaulichen Kontext ebensowenig funktionieren wie die Idee der Kolonnaden. Die ehemalige Stadt ist auf dem Kulturforum nicht mehr existent, also kann weder dem Matthäikirchplatz noch der Potsdamer Straße das einstige Bild zurückgegeben werden. Die Wiederherstellung des kaiserzeitlichen Berlins, so gerechtfertigt es an vielen Stellen unserer Stadt sein mag, darf nicht zur einzig gültigen Maxime des Berliner Städtebaus werden. Nicht an Stellen wie dem Kulturforum. Hier hat die Kaiserzeit überhaupt nichts mehr verloren.

Wie so etwas aussieht, wenn an den modernen Stellen der Stadt sogenannte historische Blockbebauungen (wieder) erstellt werden, das kann jeder an der Leipziger Straße besichtigen, wo einmal das Ahornblatt stand. Dort steht nun eine dieser tragikomischen Schöpfungen der „kritischen Rekonstruktion": Blockbebauung mit Wohnen, Geschäften und einem Hotel. Präzise in den Dimensionen einer Stadt, die hier früher stand. Jetzt allerdings gegen die Kulisse der Fischerinselhochhäuser und der vorbeidonnernden Leipziger Straße verloren und fremd und nicht einmal historisch wertvoll.

Hier wird keine Weiterentwicklung betrieben, hier soll ein Stadtkonzept zerstört werden, daß entweder nicht verstanden oder nicht gemocht wird. Da verwundert es nicht, daß die Neuplanung in Zusammenarbeit mit Hans Stimmann, ewiger Verfechter des Berlins der Mietskaserne und bekennender Feind der Stadtlandschaft, erarbeitet wurde. Verwundern kann nur die Lächerlichkeit der Vorschläge, hier die altbekannte Idee des historischen Stadtgrundrisses, aber dort die Idee der Kolonnaden, die hier nun wirklich noch nie standen und hoffentlich auch nie stehen werden. Es sei den Senatoren Stimmann und Strieder gegönnt, in bester deutscher Romantik ab und an händchenhaltend von Italien zu träumen. Bedenklich wird es aber, solche Schwärmereien auf Stadtgebiete zu projizieren, die damit gar nichts zu tun haben, und wenn die Berliner Zeitung sofort von einem „Markusplatz mit Campanile fürs Kulturforum" mitträumt.

Die vorgestellten Pläne mögen sehr gut dazu taugen, den von Strieder gewünschten „gesellschaftlichen Dialog" zu fördern. Es bliebe nur zu wünschen, daß in einer solchen Diskussion die tatsächlich vorhandenen Qualitäten des Kulturforums, so wie es sich derzeit darstellt, benannt, gestärkt und geschützt würden. Was das Kulturforum heute braucht, sind sensible und kleine Eingriffe, die die städtischen Qualitäten stärken und offenkundige Mängel beseitigen. Aber im Sinne des zugrundeliegenden Konzepts der fließenden Landschaft, nicht, indem ein vollkommen gegenläufiges Blockkonzept in das Kulturforum hineingewürgt wird. Es ist wichtig zu erkennen, daß dieser Entwurf eines Stadtbildes, das dem offiziell verordneten des „Steinernen Berlins" auf durchaus überzeugende Weise zu trotzen weiß, akzeptiert werden muß. Und daß sich auch der Senat dieser Stadt endlich dazu bekennt, daß durch das Berliner Stadtbild Brüche gehen, die es nicht im Sinne einer hübschen, heilen Stadt der Mietskaserne zu kitten gilt, sondern daß genau in diesen Rissen das enorme Potential dieser Stadt liegt.

Das Berlin der Mietskaserne war nur eine relativ kurze Periode und nicht, wie Stimmann seit vielen Jahren glauben machen will, das wesentliche Charakteristikum des Berliner Stadtbildes. Der zentraleuropäische Städtebau hat auch nach Schinkel und Hobrecht noch Visionen und Realitäten produziert, die es aus Liebe zu unserer Kultur und Geschichte zu bewahren gilt. Jeder leidlich tolerante Mensch kann das leicht verstehen.

Sollten die Vorschläge des Senats ernst gemeint sein, dann sind es – mit allem Respekt – die dümmsten Vorschläge, die in all den Jahren zum Thema Kulturforum gemacht worden sind. Dann bleibt uns nur die immerhin realistische Hoffnung, daß Berlin auf sehr lange Zeit das Geld fehlt, diese Pläne umzusetzen.

Florian Heilmeyer

Foto: Antje Lüdecke

 
 
 
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