Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Bücher statt Schokolade

Lesehefte in Süßwarenautomaten ­ gekühlt und frisch

Wer kennt sie nicht, die großen Süßwarenautomaten auf den Bahnhöfen, bestückt mit Müsliriegeln, Keksen und Schokolade. Meist stehen kleine Kinder davor und quengeln, weil sie Gummibärchen wollen. Neben den Süßwaren findet sich seit Dezember letzten Jahres auch Unerwartetes in den Automaten: kleine Lesehefte. Diese Vertriebsidee wurde vom Berliner Verlag SuKuLTuR wiederbelebt, schon von 1912 bis 1940 betrieb der Reclam Verlag eigene Automaten. Neu ist hingegen, daß die Konkurrenten Süßwaren sind, und die Lesehefte sich neben Weingummi und Zwiebelringen behaupten müssen. „Wenn wir umsatzmäßig mit den anderen Produkten nicht mithalten können, fliegen wir raus", erzählt Marc Degens, der Programmleiter des Verlags. Doch darüber brauchen sie sich erstmal keine Gedanken zu machen, denn die Resonanz auf die kleinen Hefte mit gelbem Einband, die sehr an die Reclam-Hefte erinnern, ist durchweg positiv.

Im Vorfeld des Projektes mußten jedoch einige Hürden genommen werden. So bestand das Hauptproblem darin, die Hefte in den gekühlten Automaten aufrecht aufstellen zu können und geeignetes Papier dafür zu suchen. Mit der Automatenfirma Quickland wurde dann ein Testlauf vereinbart, der erfolgreich war, und so konnte es mit dem Vertrieb losgehen. „Die Hefte werden in der Firmenzentrale abgegeben. Gebündelt zu Fünfer-Packen, denn im Automaten befinden sich pro Spirale einundzwanzig Hefte mit jeweils fünf verschiedenen Titeln. Das heißt, wenn ein Heft gekauft wurde, steht ein neuer Titel vorn. Die Fahrer bringen die Hefte dann zu den jeweiligen Standorten und verteilen sie in den Automaten. Dann entscheiden allein die Verkaufszahlen und der Vergleich mit anderen Produkten", sagt Degens.

Neben Schokoriegeln finden also immer mehr Hefte den Weg in die S-Bahnen und können als Versuchung für Zwischendurch gut mithalten. „Wir wünschen uns für die Leseheftreihe Käufer, die aufgeschlossen für ungewöhnliche Erzeugnisse deutschsprachiger Gegenwartsautoren sind. Unser Wunschkunde speziell am Automaten ist der gewöhnliche Esser. Denn ihn wollen wir zum Kauf und zur Lektüre verlocken", erzählt Degens weiter. Doch wie rentabel ist es eigentlich, Bücher am Automaten für nur einen Euro anzubieten? Marc Degens: „Kleinverlage kalkulieren sehr scharf, und mit Leseheften reich werden kann man erst mit gigantischen Auflagehöhen. Geringe Herstellungskosten senken aber nicht nur das eigene Risiko, denn wenn sie auf die Hefte umgelegt werden und diese echt preisgünstig sind, verlockt es auch potentielle Leser zum Ausprobieren."

Viele Autoren, wie etwa Ilse Kilic, Fritz Widhalm oder Guillaume Paoli, sind keine Unbekannten. Doch der Anspruch des Verlags, auf ungewöhnliche Texte aufmerksam zu machen, gibt auch unbekannten Jungautoren eine Chance. „Entscheidend ist allein die handwerkliche Qualität und inhaltliche Originalität. Man sollte sich einfach, bevor man uns Texte schickt, ausgiebig mit unserem Programm beschäftigen und sich fragen, ob man dort hineinpaßt", so Degens. Veröffentlicht werden Erzählungen, Gedichte und kurze Theaterstücke. Bestimmte Genres sind nicht vorgeschrieben, doch die Wurzeln liegen laut Programmleiter in der Comic- und Punkszene, im alternativen Literaturraum der Neunziger, in Sci-Fi und Pop.

Mandy Fox

> Automatenstandorte u.a. im Generator Hotel in der Storkower Str. 160, Prenzlauer Berg, und im Hotel Transit Noll, Hagelberger Str. 53/54, Tiergarten, Informationen unter: www.sukultur.de

 
 
 
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