Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Pioniere vor und hinter der Kamera

Eine Ausstellung über Juden in der frühen Filmwelt

Das Foto zeigt im Hintergrund eine Tür mit der Aufschrift „Filmfabrik". Im Raum davor ist eine bunt gemischte Gruppe versammelt, darunter gut gekleidete Damen und ein Junge im Anzug. Sie warten vielleicht auf ein Vorsprechen, vielleicht auf die Gelegenheit, Paul Davidson, den Chef der Produktions AG Union, persönlich von ihren Talenten zu überzeugen. Das junge Unterhaltungsmedium Kinematograph, unter selbsternannten Volkspädagogen und Kunstkritikern noch lange Gegenstand hitziger Debatten, war für die Berliner in den 1910er Jahren schon eine feste Größe als Freizeitvergnügen. Bald wollte man nicht nur ins Kino, sondern auch „zum Film", und Paul Davidson war zwischen 1910 und 1925 einer der Männer, die dazu verhelfen konnten: Mit dem „richtigen Riecher" für Geschäft und Talent entdeckte er Ernst Lubitsch, Pola Negri und Emil Jannings. Monumentalfilme, für die an den Stadträndern exotische Kulissenlandschaften emporwuchsen, setzten außerdem auch Massen von Komparsen, Technikern und Bühnenmalern in Lohn und Brot.

Diesen turbulenten Aufbruchsjahren der Filmgeschichte widmet sich eine Ausstellung im Centrum Judaicum mit speziellem Blickwinkel: Viele Pioniere des deutschen Kinos vor und hinter der Kamera waren Juden, darunter auch Davidson. Laut Katalog will man jedoch nicht „das Andere und Besondere" ihrer Lebensläufe, Sujets und Themen hervorheben. Jüdische „Pioniere in Celluloid" scheinen wegen ihrer Außenseiterstellung Seismographen gewesen zu sein, die für Spannungen und Möglichkeiten ihrer Epoche besonders sensibilisiert waren. Die Filmwelt mit ihren flexiblen Strukturen wirkt als ein gesellschaftlicher und künstlerischer Katalysator. Schon die Schau zum Leben des Dichters Jakob van Hoddis, für die die Ausstellungsleiterin Irene Stratenwerth drei Jahre zuvor verantwortlich war, kennzeichneten Anschaulichkeit und die Fähigkeit, statt einer Masse von Objekten eine aussagekräftige Auswahl zu präsentieren. Dies gelingt ihr wieder ausgezeichnet.

Im ersten der drei dunklen Räume herrscht Leichtigkeit, von der Decke hängende Exponate bestimmen den Eindruck. Neben geschickt beleuchteten Fotos und Dokumenten fallen allerlei Insignien der „Pioniere hinter der Kamera" ins Auge. Den Besucher überkommt bald das Gefühl, sich selber durch einen Schwarzweißfilm zu bewegen. Sogar das Vorführkabinett in der Mitte mit seinen rundum geklebten Set-Bildern sieht aus wie eine Cinematographentrommel. Begleitet von Klarinetten- und Streicherdissonanzen, wandert man anschließend von Charlie Chaplin, der den jüdischen Amerika-Emigranten allerdings nur spielte, zu Richard Oswald und seinem Homosexualität behandelnden Aufklärungsfilm Anders als die anderen (1918), der wütende antisemitische Proteste auslöste, und zum berühmten Komiker Ernst Lubitsch, der hier ein eigenes Minikino eingerichtet bekommen hat. Als wiederkehrende Kurzfilm-Figur „Sally Mayer aus Schöneberg" hat er mit „erotischer Dreistigkeit" großen Erfolg bei den Frauen und bewegt sich gekonnt auf der Grenze von judenfeindlichem Klischee und Parodie.

Wie ernst die Lage anderswo war, zeigen die Umstände der Entstehung des Films Die Gezeichneten von 1922, in dem ostjüdische Pogromflüchtlinge als Komparsen ihre eigene Geschichte auf die Leinwand bringen. Viele erfolgreiche Regisseure und Schauspieler erweiterten schon früh ihr Netzwerk in Richtung Hollywood und konnten daher als Exilanten mehr oder minder gut an ihre Berliner Zeit der „frühen Sternstunden" anknüpfen. Doch gelang es bei weitem nicht allen, sich nach Übersee zu retten. Einige Schicksale konnte das Ausstellungsteam nun rekonstruieren. Stellvertretend für diese endet die Ausstellung mit einem todtraurigen, gemalten Weihnachtsbrief des Schauspielers und Regisseurs John Gottowt alias Isidor Gesang an seine Familie in Schweden. Er wurde 1942 bei Krakau erschossen.

Annette Zerpner

> „Pioniere in Celluloid: Juden in der frühen Filmwelt" ist bis zum 30. April in den historischen Räumen der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum in der Oranienburger Str. 28/30, Mitte, zu sehen. So-Do 10-18 Uhr und Fr 10-14 Uhr. Ein ausführlicher Katalog ist im Henschel Verlag, Berlin, erschienen.

 
 
 
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