Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

ditte & menschenkind

Backstein-Schinkel

„Kennst du den linken Fuß vom Eiffelturm, allein auf weiter Flur, mitten in Berlin? Wollen wir uns dort treffen?" So hat Menschenkind Dittes Neugier angefüttert.

Wenn man mit ihm telefoniert, muß man alle Nase lang Befehle ausstoßen wie: Nun latsch doch mal auf die Bruchstelle!, und manchmal tut er das auch, und dann ist Sense. So war es auch gestern, als er Ditte zur Besichtigung seiner schönen neuen Welt eingeladen hat, Ecke Hermann-Blankenstein-Stra-ße ­ zu einer Ecke gehören aber mindestens zwei Koordinaten, und Ditte war so, als hätte er durch das Knattern als zweite Koordinate die Darmschlämmerei gerufen, und nun steht sie hier und kann nicht anders, als Menschenkind zu verfluchen. Der glänzt nämlich durch Abwesenheit, wie hier fast alles durch Abwesenheit zu glänzen scheint, ausgenommen das lange Elend, die Laufbahn von der S-Bahn-Haltestelle Storkower Straße zur bereits erwähnten Hermann-Blankenstein-Straße direkt auf ein offenbar neues Einkaufsparadies zu, was durch überraschende Anwesenheit glänzte.

Nun werden Ureinwohner demonstrativ gähnen und einwenden, daß sie hier schon immer ihre geleimte Wandfarbe gekauft hätten (natürlich, schon immer, hört Ditte ihre Freundin Renate sagen, die natürlich schon immer in der dem ehemaligen Zentralviehhof anliegenden Hausburgstraße wohnt und zu den Mieterversammlungen gegangen ist und eine Betroffenenvertretung gewählt hat für das autofreie Wohnen auf dem geräumten Gelände des Zentralviehhofs), aber mit dem Realismus eines vom Lokalpatriotismus ungetrübten Blickes aus den Augenwinkeln der Kiezfernen sieht das alles noch ganz schön neu aus, auch wenn beispielsweise der Einrichtungsquader Zeichen macht, bald schon wieder zu verblühen, was aber auch Dittes desolatem Zustand zugeschrieben werden kann ­ wie sie da steht, das Haupt in Wolken, die hier offenbar tiefer hängen, die Ohren im Wind, der ungebremst toben kann.

Verdammt, dort, fast am Horizont, scheint die alte Darmschlämmerei zu sein. Da ging es früher um die Wurst, so viel weiß Ditte noch von der unvergessenen Ausstellung des Heimatmuseums Prenzlauer Berg vor fast zehn Jahren, als vor diesem Areal noch eine glänzende Zukunft lag. Ditte fröstelt. Irgendwie traut sie sich nicht die Überwindung der Distanz zu, die sie von der Darmschlämmerei trennt ­ merkwürdig, überall freies Gelände, am weiteren Horizont die beinahe wie eine griechische Tempelanlage anmutende Investruine an der Landsberger Allee ­ wie sie sich jetzt in diesem Augenblick, da das Einkaufszentrum schließt und Dittes letzte Chance zum Unterstellen verwirkt ist, tragisch von düsteren Wolken umhüllen läßt, da möchte Ditte am liebsten Jungfilmerin sein und aus jeder leeren Fensterhöhle Investoren in erdbeerfarbenen Jacketts winken lassen mit Bebauungsplänen, aber sie macht auf dem Absatz kehrt.

Menschenkind kann ihr gestohlen bleiben, zumal sie ahnt, als sie mit der S-Bahn das weitere Gelände passiert, was Menschenkind, die Unzuverlässigkeit in Person, mit dem linken Fuß des Eiffelturms gemeint haben könnte: den Strommast, der, einem Leuchtturm gleich, aus der Weite in die Weite ragt wie Hermann Blankenstein! Dieser hat neben dem Zentralviehhof noch über 120 Schulen gebaut, in der Gründerzeit, diese roten backsteinernen, in die ja fast jedes Berliner Kind im vergangenen Jahrhundert gehen mußte. 1872 bis 1896 war er Stadtbaurat von Berlin und ist am 6. März 1910 gestorben. Das hatte Ditte bereits aus dem Internet, und so manches andere mehr, damit wollte sie Menschenkind überraschen ­ Hermann Blankenstein, der Backstein-Schinkel, würde sich sicher über seine Straße freuen! Plantreue und Exaktheit! „Es ist allerhöchste Eisenbahn. Die Zeit ist schon vor drei Stunden angekommen", so witzelte einst Adolf, Adolf Glasbrenner. Es lebe Hermann Blankenstein! Es lebe die Berliner Stadtbauverwaltung! Nieder mit Menschenkind! Die Ecke Hermann-Blankenstein-Straße/Darmschlämmerei sollte man im März trennungsbereiten Paaren als Treffpunkt empfehlen!

Brigitte Struzyk

 
 
 
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