Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Im Universum des zufällig Immergleichen

Südost: Eine Kneipentour durch Schöneweide

Die Musik ist viel zu laut. Andererseits: Die Bierpreise sind äußerst moderat. 1,80 Euro für den halben Liter. Das ist der erste Eindruck in der SPREEHEXE. Wir bleiben nicht lang, wir haben ja noch einiges vor.

Wer sich auf Kneipentouren in Gegenden einläßt, die er kaum kennt, begibt sich zuverlässig in ein Univer-sum der Zufälligkeiten, eine Welt, die ihm so oder auch ganz anders begegnen kann. Schöneweide scheint dem zu widersprechen: Wir besuchen die HALTESTELLE, das SPECIAL-CAFE, die BIERGASTSTÄTTE SCHÖNE WEIDE, die SANZI-BAR und das EDI-SON-ECK und müssen immer wieder Gleiches erfahren, sagen wir besser erdulden.

Auffällig die allgemeine Vorliebe für dröhnende, unsinnig vor sich hin brüllende Musik jeglicher Couleur – von Böhse Onkelz über ausgesucht bösen Salsa-Pop bis zu mittelalterlichen Saufliedern – auf jeden Fall zu laut, blinkernde Lichterketten, eine disparate Wandgestaltung (eine Ehrenurkunde, erworben im ND-Gaststättenwettbewerb, neben scheinromantischen Landschaftsbildern und albernen Sinnsprüchen), auch nicht selten die Garnierung des Mobiliars mit Faschingsschmuck, immer wieder das Gefühl, daß eigentlich nichts zueinanderpaßt. Trotzdem sind die Lokale voll: Der Schöneweider Kneipenbesucher ist offensichtlich ein gutmütiger Mensch. Allerdings stimmen die Preise auch uns freundlich.
Foto: Jörg Gruneberg

Eine Gastwirtschaft auf dem Weg von Niederschöneweide nach Oberschöneweide hinter der Treskowbrücke lassen wir aus – sie war uns zuvor als besonders gruselig beschrieben worden, nach einem Blick auf die Karte befanden auch wir sie als durch und durch verdammenswert: 3 Euro für einen halben Liter Bier! Das ist und bleibt eine Frechheit, gleichgültig ob nun in Schöneweide oder Mitte. Acht, Bann und Pestilenz über diese Kneipe! Und jedem, der sie beim Namen nennt, ewige Höllenqualen!

Schließlich landen wir in der SANZI-BAR an der Kreuzung Edison-/Wilhelminenhofstraße. Auch diese Kneipe so voll, daß wir zunächst unschlüssig mitten im Raum stehenbleiben, bis uns die Wirtin aufmerksam an den Tisch eines jugendlichen Pärchens plaziert. Die trinken ein offenbar ortsübliches oberfieses Mixgetränk und freuen sich über unsere lärmige Gesellschaft, gleichwohl man uns die Spuren der vorangegangenen Recherche-Arbeit mittlerweile deutlich anmerkt. Auch in der SANZI-BAR: zu laute Musik, immerhin aus einer Juke-Box. Ein komischer Raum, eigentlich mehr hoch als weit, komisch angestrichen, gelb-dunkelgrün-kackbraun, antike Bierwerbung an den Wänden, auch komisch, weil nicht das gewohnte Durcheinander, gemischtes Publikum. Das billigste Bier 2,50 Euro.

Ein fanatischer Musikliebhaber, alkoholisiert und mit etwas außer Form geratener Schüttelfrisur, stürzt auf uns zu und meint, weil wir doch neu hier seien, sollten wir erstmal fünf Euro in die Juke-Box stecken. Wir geben einen Euro und müssen dann über eine Stunde auf die von uns gewählten Lieder warten, weil der außer Form geratene Musikverwalter zuvor schon 20 Euro in die Box gesteckt hat, um die Kneipeninsassen mit einem Potpourri gräßlichster Hardrocksongs zu beglücken. Als dann endlich das von uns gewünschte „Ein bißchen Frieden" ertönt, verfliegt immerhin unser Verdacht, die Juke-Box sei eine besonders perfide Attrappe, um Touristen um ihr Geld zu erleichtern. Von Bier zu Bier werden auch wir gutmütiger, Wirtin und Gäste reden fröhlich auf uns ein; wir glauben, in einer Dorfkneipe zu sitzen. Schließlich stimmen wir beseelt in die Jukebox-Gesänge ein.

Gertrude Schildbach

 
 
 
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