Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Elevin auf Azur

Miss Krechel unterweist, wie alle schreiben

Ursula Krechels Handbuch wendet sich an Schreibwillige, die noch nicht begonnen haben, aber vermutlich In Zukunft schreiben werden. Zwischen Gegenwart und Zukunft steht so ein Ratgeber, nimmt an der Hand und trägt Sorge, daß aus dem Willigen eine Schreiberin werde. Dieser Ratgeber, der sich allen anbietet, suggeriert, daß auch allen geholfen werden kann. Die Hilfe zur Selbsthilfe führt jedoch sogleich ein, was den Unterschied macht: „Es ist ja ein Menschenrecht, sich mitzuteilen", aber „ein Menschenrecht, in seiner Mitteilung verstanden zu werden, gibt es nicht." Krechel plaziert diese Opposition, um die Willigen an Gattungen heranzuführen, also an jene Kanonisierung der Verfahren, die bei Beachtung von Regeln das Freispiel mit Inhalten erlauben.

Er erfährt, daß „wir in den großen Prosabüchern Anteil an Menschen nehmen", weshalb „der Roman mehr als jede andere Form ein Übertragungssystem von Empfindungen" ist. Im Gedicht hingegen, so wird er belehrt, „ist es möglich, Unsinniges oder gar Falsches zu behaupten, und unter der Hand entsteht Sinn." Akzeptiert der Willige derart eherne Funktionsprinzipien und kann sie reproduzieren, wird er mit Verständnis belohnt. Daß es „um eine starke Individualisierung von Welt" gehe, daß das eigene „Erleben auf das exemplarisch Erlebbare" zuzuspitzen sei, um literaturwürdiges Material herzustellen, wird als Erfahrung der Meisterin eingebracht, ohne das Herkommen solch spezifi-scher Ausgangsbedingungen offenzulegen. Darin offenbart sich, wie sehr die ihre Profession unterrichtende Meisterin am eigenen Zur-Schrift-Kommen orientiert bleibt, weshalb auch die Geschichte des „jungen Mädchens auf einem azurblauen Sesselchen in der Stadtbibliothek", das zur Meisterin wird, dieses Handbuch grundiert. Es ist die Geschichte des Krechel-Werdens, die diese Anleitung rahmt, ohne daß die Geschichte jener anderen auch nur angedeutet wäre, die „als Heizer auf einer Seereise" begannen oder „als Kesselreiniger in den Kavernen des Sozialismus".

Am Anfang also steht die Opposition, zwischen dem, der etwas schreibt, und jenen, die schreiben. Bleiben wir im Bild, so unterscheiden sich Schreiber im Unterscheidenkönnen, was Krechel zum Erkennen der Gattungsbedingungen für Proseminaristen verkürzt. Die Unterweisende strukturiert einen geschlossenen Raum, dem sich das Ungerichtete des Wollens einzupassen hat, um Schreiberin zu werden. Die Unterweisende reinigt sodann das krause Wollen in Etüden, gibt all die Übungen an die Hand, die in den Schreibschulen von Leipzig bis Wien zum Repertoire gehören, nachdem sie aus den transatlantischen Schreibschulen importiert worden sind ­ aus jenem Amerika, wohin sich Kafka im Fragment Der Heizer schrieb, ohne die Seereise selbst unternommen zu haben. Sehr freundlich lanciert Krechel da kleine Schnitten aus den Hausaufgaben ihrer Lieblingsschülerinnen, die es ihr sicher danken werden, da genannt zu sein. Die Heizer jedoch und die osteuropäischen „Kesselreiniger", bei denen es anders angefangen haben mag, sind an proletpathetischem Klischee kaum zu übertreffen. Daß die akademische Schriftstellerin Krechel für außeruniversitäre Arbeitsbedingungen diesen belesenen Rückspiegel ins Soziale benutzt, läßt erahnen, was sie so exemplarisch erlebt ...

Ein letztes Wort zum Umschlagfoto, das jene Ausgangssituation illustriert, die Krechel vor Augen hat: Die Meisterin sitzt mit offenem Haar bei günstigem Seitenlicht in einem losen Pullover mit tiefem V-Ausschnitt an einem Tisch, die Hände flach neben das leere Blatt Papier gelegt. Kaum zu erkennen ist die Silhouette des Schreibstiftes neben der linken Hand, die zwischen Stift und Blatt auf der Schreibtischplatte liegt. Die Meisterin in den besten Jahren hat sich hier exemplarisch ins Porträt „Die Willige" arrangiert, der Blick des von ihr dargestellten Mädchens geht aufrecht zum Betrachter, der Daumen der rechten Hand fixiert das weiße Blatt Papier. Sie scheint sich da an etwas festzuhalten.

Ralf B. Korte

> Ursula Krechel: In Zukunft schreiben. Handbuch für alle, die schreiben wollen. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2003. 19,80 Euro

 
 
 
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