Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Steppenwölfe auf Selbsterfahrungstrip

Klasse der Besten im GRIPS-Theater

Wie Gleichaltrige zur Disco oder Party treffen sich im neuen GRIPS-Stück Klasse der Besten von Melanie Gieschen, das Ende November seine Uraufführung erlebte, fünf Oberschüler zu einem Selbsterfahrungsseminar. Trotz des an pathetische DDR-Ehrungen erinnernden Titels geht es hier um selbstorganisierte Nachhilfe für eine individualistisch verstandene Persönlichkeitsentwicklung im kapitalistischen Wettbewerb. Als Elite gilt dabei, wer die anderen im knallharten Konkurrenzkampf aussticht.

Ort des Zusammentreffens ist die mondäne Villa der Eltern des verwöhnten Unternehmersöhnchens Balthasar, der in seiner protzigen Umgebung samt Swimming Pool und Videoüberwachung jovial den Gastgeber mimt. Zwischen der politisch aktiven Silke, die als gewählte Klassensprecherin und Mitglied der Schülervertretung durch routiniertes Reden glänzt, und der eher auf erotische Reize setzenden Sunny ist das Verhältnis von Anfang an gespannt. Sie nerven sich schon im schulischen Alltag und wären am liebsten gleich wieder auseinandergerannt, wenn dies nicht als Feigheit ausgelegt werden könnte. Zudem sind beide natürlich viel zu gespannt darauf, was sie erwartet. Adam und Krzysztof dagegen sondern nach ihrem Auftauchen erst einmal unisono das selbstzufriedene Imponiergequatsche ab, das sie wohl als Ausdruck wahrer Männlichkeit empfinden.

Wie sonst zum Schulunterricht hat jeder ihm nützlich erscheinende Bücher mitgebracht. Das reicht von einer Art Carnegie-Ratgeber Erfolgreich in 30 Tagen bis zu Hermann Hesses Bekenntnisbuch Der Steppenwolf, das Adam so aufschlußreich findet, weil er lieber heute als morgen aus seinem ungeliebten Elternhaus flüchten würde.

Mit angeblich psychologisch sinnvollen Streß-Interviews beginnt der Showdown aufgestauter Aggressionen und egozentrischer Geltungssucht. Aufgestachelt durch den experimentellen Rahmen zu schonungslosem Ausprobieren steigert sich Silke in eine ruppige verbale Entgleisung gegenüber Adam. Krzysztof, der Sohn einer alleinerziehenden polnischen Putzfrau, fällt körperlich über Sunny her, daß es schon an versuchte Vergewaltigung grenzt. Am widerlichsten demaskiert sich jedoch der Pseudo-Junior-Chef Balthasar, Kind einer Klasse, die es gewohnt ist, mitleidlos soziales und materielles Schicksal zu spielen.

Die ungeselligen Steppenwölfe charakterisierte Hermann Hesse 1927 als Bestien, „nur mit einem dünnen Überzug von Erziehung und Menschentum darüber", deren Charakter er nicht als Schrulle einzelner, sondern als Neurose ansah, „von welcher keineswegs nur die schwachen und minderwertigen Individuen befallen scheinen, sondern gerade die starken, geistigsten, begabtesten." Durch ihr Leiden an sich wie der Gesellschaft lehrten sie, „daß ohne Liebe zu sich selbst auch die Nächstenliebe unmöglich ist, daß der Selbsthaß genau dasselbe ist und am Ende genau dieselbe grausige Isoliertheit und Verzweiflung erzeugt wie der grelle Egoismus."

GRIPS-Regisseur Werner Gerber gelingt die zeitgemäße Illustrierung von Melanie Gieschens modernen Steppenwölfen für Menschen ab 16 in nicht einmal zwei Stunden. Ein eindrucksvoller, wenn auch zutiefst unharmonischer Theaterabend.

Franz-Josef Paulus

> „Klasse der Besten" wieder am 15. Februar um 19.30 Uhr, sowie am 16. und 17. Februar um 18 Uhr in der Schiller-Theater-Werkstatt, Bismarckstr. 110, Charlottenburg. Weitere Termine unter www.grips-theater.de, Vorbest. unter fon 39747477

 
 
 
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